Alles nur Kommentare.
Warum kann unsere unfähige Presse nicht erst mal berichten, was eigentlich los ist, bevor sie sich in Meinungen darüber ergießt? Und die tatsächlich umstrittenen Fragen in der Rechtsprechung werden von den ganzen bunten Kommentaren gar nicht angerissen, und es werden die politischen und die juristischen Probleme kräftig umgerührt und vermischt. Wie kann man denn eine polnische gerichtliche Entscheidung kritisieren, die man noch nicht mal übersetzt hat? Mir scheint's, da werden nur Kommentare von Politikern und anderer Presse noch zweit- und drittverwertet.
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Du hast aber schon mitbekommen, daß vorgestern erst - mündlich - verkündet wurde und sich die polnische Regierung mit der Veröffentlichung, deren Übersetzung Du seitdem einforderst, vielleicht noch ein paar Monate Zeit läßt?
(Man weiß ja nicht, ob das Gericht das Urteil schon ausgefertigt hat. Sofern die Regierung wirklich abwarten ließ, ob die Kommission vielleicht doch noch auszahlt, wäre es blöd gewesen, wenn da etwas rumliegt, was womöglich zur Unzeit geleakt werden kann ...)
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Soweit es darum geht, ob polnisches oder EU-Recht Anwendungsvorrang hat, ist das eigentlich klar geregelt: EU-Recht hat Vorrang. Manchmal ist umstritten, wie weit die Kompetenzen der EU laut Vertrag gehen. Aber hier ist ebenfalls klar geregelt: Die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge ist laut den EU-Verträgen an den EuGH übertragen. Das BVerfG behält sich vor, bei offensichtlich kompetenzwidrigem Handeln des EuGH unter weiteren Voraussetzungen von diesem abzuweichen. Im Rahmen des Anleihenkaufverfahren hat es beklagt, dass das EuGH nicht alle Fakten eingeholt hat und ihm deswegen die Entscheidung des EuGH willkürlich und daher außerhalb seiner Kompetenz vorkam. Das BVerfG behält sich zudem vor, die letzte Instanz beim Schutz von Grundrechten zu sein, soweit das Schutzniveau der EU-Grundrechte geringer als das der GG-Grundrechte ausfällt.
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Alles richtig, nur im Verfahren von den Polen offenbar ausgiebig verdreht worden. Da war die Argumentation, daß Karlsruhe dem EuGH permanent auf den Kopf spucke und es äußerst unfair wäre, daß die Polen das nicht auch dürfen sollen. Soweit zu Deinem Hinweis auf Parallelen zu einem früheren US-Präsidenten.
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Um die polnische Entscheidung in dem Rahmen zu kritisieren, müsste man nun erst mal wissen, was sie eigentlich genau entschieden haben und was die Begründung ist. Was da so im Blätterwald alles verquast wird, macht keinen Sinn.
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Nimmt man die Rechtslage zur Grundlage der Betrachtung, ist das Urteil sinnwidrig. Und da muß sich die Berichterstattung leider anschließen, weil es zu den Hintergründen noch keine Informationen gibt, die man als Tatsachen ansehen kann.
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Soweit die polnische Verfassung den EU-Verträgen widersprechen, gelten innerhalb der an die EU übertragenen Kompetenzen die EU-Regelungen. Wer dem widerspricht, macht sich zum Trump. Genau das ist doch die Absicht der Verträge: Hoheitliche Kompetenzen werden an die überstaatliche EU übertragen.
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Was den derzeit im Amt befindlichen Figuren offenbar stinkt. Die wollen sich von Brüssel finanzieren, aber ansonsten in nichts reinreden lassen. Dabei geben diejenigen, die sich nicht die Blöße geben wollen, den Widerspruch intellektuell nicht erfassen zu können, die Parole aus, daß Polen auch ohne die Kohle ganz gut zurecht käme.
Im Übrigen sei die polnische Verfassung 1997 das letzte Mal geändert worden, liest man. Soweit das"Verfassungsgericht" also Diskrepanzen zwischen der Verfassung und den 2004 unterzeichneten Verträgen "aufgezeigt bekam", hätten die zum Zeitpunkt des Beitritts auch schon bestanden haben müssen. Meint die Regierung, daß ihr "Verfassungsgericht" ernstgenommen werden soll, müßte sie sich also jetzt entscheiden, wie sie die Sache bereinigen will.
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Ich schätze die Absicht der polnischen Regierung als langfristiger ein. Ähnlich wie beim Brexit wird eine Strategie der kontinuierlichen Abwertung der EU gefahren, bis dann irgendwann die Mehrheit für den Austritt ist. Und dann wird darüber abgestimmt.
Da der Streit mit der EU die Gefahr birgt, daß die Wahl 2023 verloren geht, werden die das noch in der laufenden Legislaturperiode erledigen.
Es heißt zwar, daß 80% der Bevölkerung in der EU bleiben wollen. Schaut man sich aber die Zusammensetzung des Sejm an, hat diese Feststellung, falls sie denn den Tatsachen entspricht, keine praktischen Auswirkungen. Die PiS allein hätte nur 193 von 460 Sitzen, würde also ohne die Unterstützung diverser Vasallen die Mehrheit klar verfehlt haben. Tatsächlich reagiert sie durch, als ob sie vom Wahlvolk mit einer Zweidrittelmehrheit gesegnet wäre ...