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Witze? Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner, die sich ausgegrenzt fühlen von Vance, finden das Thema überhaupt nicht lustig. Im Hauptquartier der Demokraten höhnte Alex Floyd, Rapid Response Director von Harris/Walz: „Jedes Mal, wenn Vance ein Mikrofon angesteckt bekommt, erinnert er Land und Leute daran, warum er so unbeliebt ist.“
Donuts besorgen? Nicht so einfach
Ähnlich sehen es mittlerweile viele Republikaner, sagen es aber nicht laut. Auch Trump selbst soll unzufrieden sein. Für Vance hatte sich Trump vor allem deshalb entschieden, weil der 40-Jährige in einer Arbeiterfamilie groß wurde. Seinen Werdegang hatte Vance in dem Bestseller „Hillbilly Elegy“ beschrieben, einem Buch, das auch in Europa viele Leserinnen und Leser beeindruckte.
Vance sollte, grob gesagt, dem bereits in Reichtum hineingeborenen Milliardär Trump helfen, einfache Leute an Bord zu holen. Doch daraus wurde nichts. Denn Vance, hochintelligent und extrem ehrgeizig, ist selbst alles andere als einfach.
Aus der rührend beschriebenen Schlichtheit seines einstigen Lebens in der Provinz holten ihn finanzielle Förderer wie Peter Thiel heraus. So stieß Vance vor in die zwielichtige ganz eigene Welt an der US-Westküste, in der sich Finanzfondsmanager und Techfaschisten abends bei eisgekühlten Cocktails mit Blick auf pazifische Sonnenuntergänge Gute Nacht sagen.
Und nun? Wirkt Vance so elitär, dass er nicht mal mehr in der Lage ist, unfallfrei zwei Dutzend Donuts zu holen. Jüngst ließ Vance in einer Wahlkampfpause seinen Tross halten und marschierte in eine Bäckerei. Normalerweise entstehen bei solchen Stopps am Straßenrand nette Filmchen, die dem Kandidaten helfen. In dem Vance-Video aus Valdosta, Georgia, aber reiht sich eine Peinlichkeit an die nächste.
Eine Mitarbeiterin will nicht gefilmt werden. Die anderen Angestellten im Laden sind kooperativer, bleiben aber einsilbig. Vance fragt jeden, um leutselig zu erscheinen, wie lange er schon in dem Laden arbeitet. Einer überlegt kurz, sagt dann: „Fast zwei Jahre.“ Vance erwidert: „Okay, gut.“ Ein weiterer Mitarbeiter sagt: „Ungefähr vier Jahre.“ Vance: „Ungefähr vier Jahre? Okay.“ Dann geht an den letzten die Frage von Vance: „Und wie lange sind Sie schon hier?“ Antwort: „Sechs Monate.“ Vance: „Okay.“
Dem Kandidaten geht nicht auf, dass er soeben niemandem nähergekommen ist. Im Gegenteil. Er fügt sich exakt in das furchtbare Klischee eines Politikers, der sein Interesse an anderen Menschen nur heuchelt. Sogar die Donuts sind ihm – traurig in einem Donut-Shop – egal. Vance bittet, ihm ein paar von den Glasierten einzupacken, ein paar Besprenkelte, ein paar mit Zimt ... – „whatever makes sense“.
Die bizarren Szenen beim Bäcker gingen, befeuert von der Harris/Walz-Kampagne, viral. Inzwischen ist das Netz voll von Parodien und Blödeleien, entwickelt von Kreativen, die mit Politik sonst nicht viel zu tun haben. In einem Selfie-Video auf Tiktok spaziert ein Vance-Imitator mit teilnahmsloser Miene durch einen Park und fragt andere Passanten, wie lange sie schon unterwegs sind. Noch bevor die Antwort kommt, sagt der Imitator immer wieder: „Okay. Gut.“
Der bürgernahe Walz zeigt, wie es geht. Bei einer Wahlkampfpause in Nebraska kaufte er Burger und sammelte gleichzeitig Punkte. Er sah Leuten in die Augen, schüttelte Hände, klopfte Schultern. „Der Kontrast könnte nicht größer sein“, schrieb Hannah Flom auf X. Die junge Frau arbeitet als Digital Director für Walz. Und sie muss ihrem Chef gar keine Weisungen geben. Auf Landwirtschaftsausstellungen nimmt der Gouverneur von Minnesota sogar Ferkel in den Arm und guckt begeistert. Vielleicht gaben Bilder wie diese für Harris den Ausschlag, sich für Walz als Vize zu entscheiden.
Facts And Figures: Mehr Geld für Harris
Die Harris/Walz-Kampagne hat Zahlen über jüngste private Spenden bekannt geben. Danach wurden in den vergangenen fünf Wochen Summen eingenommen wie noch nie in der Parteiengeschichte.
Allein während der vier Tage des Parteikonvents der Demokraten in Chicago wurden 82 Millionen Dollar eingesammelt. „Die Stunde nach der Rede von Harris war die beste Spendenstunde der Kampagne“, sagte Wahlkampfleiterin Jen O’Malley Dillon dem Sender ABC Chicago.
Insgesamt kamen für die Harris-Kampagne nach der Verzichtserklärung Joe Bidens Ende Juli bereits 540 Millionen Dollar zusammen.
Während des Parteitags der Demokraten meldeten sich weitere knapp 200.000 Amerikanerinnen und Amerikaner als Helfer, um ihre Bereitschaft zu Wahlkampfeinsätzen vor Ort zu bekunden.
Die Trump-Kampagne berichtet nichts Vergleichbares. Sie nahm seit Jahresanfang bis zum 31. Juli 2024 laut „Forbes“ 268,5 Millionen Dollar ein. Dies seien die jüngsten verfügbaren Zahlen, schreibt das Magazin.
Coming Up: Streit um den Ton beim TV-Duell
Das erste TV-Duell Trump/Harris soll am 10. September stattfinden. Veranstalter ist der Sender ABC. Derzeit streiten die beiden Wahlkampfteams aber noch über die Regeln.
Das Harris-Team will, dass die Mikrofone beider Kandidaten während der gesamten Sendung eingeschaltet bleiben. Bei der Begegnung Trump/Biden auf CNN gab es eine zuvor verabredete Stummschaltung desjenigen, der gerade nicht an der Reihe war. Biden hatte befürchtet, dass Trump ihm dauernd dazwischenredet. Tatsächlich aber gab es einen für Biden schädlichen Effekt: Trump machte irritierende Bemerkungen, während Biden sprach, war aber für die Zuschauenden wegen der Stummschaltung nicht zu hören. Unterm Strich erschien Trump deshalb, obwohl er störte, angenehm diszipliniert.
Harris wolle sich „in Echtzeit mit Trumps ständigen Lügen und Provokationen auseinandersetzen“, sagt ihr PR-Berater Brian Fallon. Das Trump-Team will an der Stummschaltung festhalten und droht mit Absage aller weiteren Debatten. Für den Fall der Absage wiederum will die Harris-Kampagne ihn als Feigling vorführen.