Ungenutzte Gebäude verfallen schnell, auch im sonnigen Spanien. Und weil diese Geschichte hier wirklich passt, sei sie endlich einmal aufgeschrieben:
Paradise gone - die Tragik der Allmende
Die kleine Insel lag in der von Dali oft gemalten schönen Bucht von Port Lligat und war ein richtiger Geheimtipp. Denn auf der Insel war ein kleiner Palast von einem angeblich in Ungnade gefallenen und dann nach Südamerika geflohenen Franco-Günstling. Die recht abgelegene Insel und die noch weitgehend intakte Villa war von ein paar der Hippies aus dem nahegelegenen Cadaqués entdeckt worden.
Eine sehr aufwendige Anlage mit wunderschönen Gärten und Stallungen, Haupt- und Nebenhäusern, einem großen Hof, zwei Türmen, Tiefbrunnen und Zisternen, Wegen, einem kleinen Hafen, alles...
Ein bunt verwegener Trupp aus aller Herren Länder zog dort ein und verwandelte das verlassene Kleinod in eine sehr abenteuerliche Villa Kunterbunt. Ein paar resolute Frauen nahmen die Küche mit einem allabendlich lodernden Kaminfeuer wieder in Betrieb, während die Herren der Schöpfung sich einfallsreich aber oft eher schlecht als recht um Ersatz für die fehlenden Installationen mühten, die angeblich von den Handwerkern der Umgebung als erstes geraubt worden waren. Man wurde zu einem seefahrenden Volk und konstruierte aus leeren Wasserkanistern und Treibholz immer größere Flöße, um die notwendige Vorräte über die Meerenge zu schippern, die das Eiland vom Festland trennte.
Die Wände wurden mit Hingabe in den Regenbogenfarben der jeweiligen Räusche angepinselt. Und mein Zimmer wurde mit am Strand und im Meer gefundenen Muscheln sowie einem von irgendwem mitgebrachten Sack Zement so ausgeschmückt, daß es noch lange von den späteren Veränderungen verschont bleiben sollte.
Eine kleine Schar von Morgenanbetern begrüßte früh trommelnd die Sonne (gottlob am abgelegenen Strand hinter den Stallungen). Während das Ufer am Hafen sich jeden Abend füllte und man von dort auf den zentralen Hof wandeln konnte, der von einem riesigen (und schmackhaften) Maulbeerbaum überkrönt war. Irgendwer klimperte dort immer auf einer Guitarre. Am Abend wetteiferten dort die Künstler oder gaben sich ein Stelldichein. Und häufiger als nur manchmal schwebte der gesamte Hof ganz weit über dem Meer.
Von etwa Juni bis September währte die Freude. Dann waren auch für die letzten die Ferien vorbei und nur ein paar ganz hartgesottene verkündeten tapfer, dass sie bleiben würden. Aber im nächsten Jahr war keiner von ihnen mehr da.
Statt dessen hatte sich die Kunde von dem kleinen Paradies herum gesprochen. Und etliche von denen, die nun kamen, waren anders. Ich seh mich noch schreiend am Ufer stehen als hirnrissig überladene Flöße in der Strömung umschlugen und die wertvollen Einkäufe davon trieben. Plötzlich lag auch hier und dort Müll, der nur noch auf mehrfache Aufforderung widerwillig weggeräumt wurde (und sich später wieder in der Stallungen fand). Und ewig hörte man nun: "Haste mal Tabak?", "Haste Blättchen?", "Haste Wasser?", "Hast du Essen?", "Hast du Geld?"
Und während von der Substanz sowie weit mehr Luft als Liebe gelebt wurde, stieg der bunt vermengte Drogenkonsum in zuvor ungeahnte Höhen. An Drogen kam man dort weitaus leichter als an eine Scheibe Brot. Und bei einigen schien fraglich, ob die Wirkung überhaupt je wieder nachließ. Verwirrte und verirrte.
Von den Idealisten waren auch noch einige da aber die mussten nun um ihre Ideale kämpfen. Und während alles immer mehr verlotterte und die Pflanzen eingingen wuchsen nur noch Träume und Phantasmen in den Himmel.
Der richtige Kater kam aber spätestens im nächsten Jahr. Ein paar furchtbare ♥♥♥en hatten damit begonnen, Müll in die Brunnen zu werfen. Die ehemaligen Stallungen waren zu riesigen Toilettenbereichen verkommen. Als ich ankam waren die Türme und das Muschelzimmer schon besetzt und der Rest von den Gebäuden war derart verdreckt, dass ich mein Zelt auf einer Anhöhe über der Villa aufgeschlagen habe. Trotzdem kletterten nachts Ratten in die von mir vorsorglich in einem Baum aufgehängte Mülltüte.
In und um die Villa gab es nun häufiger Auseinandersetzungen. Streit um Geld, Streit um Drogen. Und kurz nach meiner Abreise soll es noch jemand geschafft haben, die verdorrte Vegetation in Brand zu setzen.
Ich kam danach nur noch einmal auf die Insel und hab mein Zelt gleich an der abgelegensten Stelle, weit jenseits aller Gebäude aufgeschlagen. Die Wege und Treppen waren verfallen, der Hafen teils unterspült halb ins Meer gerutscht, ein Turm und das Haupthaus teilweise eingestürzt, weil ein paar begnadete Vandalen die Stützbalken heraus gerissen hatten, um sie zu verfeuern. Fast alle Räume waren jetzt im Grunde unbewohnbar aber trotzdem hausten dort noch Menschen. Spanische Kleinkriminelle, Leute auf der Durchreise, einige gespenstische Drogen-Drop-outs und ein paar letzte Mohikaner, die ihren früheren Träumen nachhingen.
Die ganze Umgebung der Villa stank nach Pestilenz. Aber ironischerweise kam nun wöchentlich ein Boot mit französischen Touristen denen die Insel, die Reste der Villa und die wahrhaft pittoreske, an abgewrackte Piraten erinnernde Bevölkerung vorgeführt wurde. Dann schoben sie den Müll im Hof an den Rand, verspeisten an mitgebrachten Campingtischen ein Mittagessen und verschwanden wieder an Bord, wobei die essbaren Reste den Hungerleidern überlassen wurden und der restliche Müll in die letzte Zisterne flog, die noch nicht bis zum Rand gefüllt war.
Nach ein paar Wochen, die ich aber vorwiegend auf oder unter dem Wasser verbracht habe, hatte ich genug und bin nie wieder dorthin zurück gekehrt.