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. Passt!
Dem Ego ist nichts heilig: Auch mit Yoga und Achtsamkeitsmeditation holt es sich Bestätigung. Der Psychologe Scott Barry Kaufman hat darin eine neue Form von Narzissmus entdeckt.
Angeblich bringen spirituelle Praktiken wie Yoga, Meditation und Energieheilung das Ego zur Ruhe. Sie sollen helfen, mit der Wirklichkeit im Hier und Jetzt in Kontakt zu kommen, auch mit den weniger erwünschten Seiten der eigenen Person. Und sie haben das Potenzial, unser Mitgefühl und unsere bedingungslose Wertschätzung für andere zu fördern.
Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn der Mensch hat ein unstillbares Bedürfnis, sich in einem positiven Licht zu sehen und aufzuwerten. Der indische Philosoph Sri Aurobindo notierte: »In jedem Augenblick muss [der Suchende] ein wachsames Auge auf die Maskerade des Egos und die Hinterhalte dunkler Mächte haben, die sich selbst als einzige Quelle von Licht und Wahrheit inszenieren und deren göttlichen Schein nutzen, um sich der Seele des Suchenden zu bemächtigen.«
»Wir können uns selbst so täuschen, dass wir meinen, uns spirituell zu entwickeln, während wir stattdessen unseren Egozentrismus stärken«(Buddhist Chögyam Trungpa)
Spoiler
Ähnliches schrieb der Buddhist Chögyam Trungpa in seinem Buch »Cutting Through Spiritual Materialism« über den spirituellen Pfad: »Es gibt zahlreiche Abwege, die in eine verdrehte egozentrierte Form der Spiritualität führen. Wir können uns selbst so täuschen, dass wir meinen, uns spirituell zu entwickeln, während wir stattdessen unseren Egozentrismus mit spirituellen Praktiken stärken.«
Auch Psychologen haben darauf aufmerksam gemacht, dass Spiritualität der Selbstaufwertung dienen kann. Einer der Väter der Psychologie, William James, sagte: »Jede Fähigkeit, die ihre Bedeutung für das Selbst erhöht, bringt wahrscheinlich die Neigung zur Selbstaufwertung hervor. Es gibt anscheinend unter den menschlichen Fähigkeiten keine einzige Ausnahme davon. Dieses ›self-centrality principle‹ scheint ein untrennbarer Teil der menschlichen Natur zu sein.«
Der eigentliche Zweck: Sich den eigenen Problemen nicht stellen zu müssen
Das gilt auch für den Bereich der Spiritualität. Die Selbstaufwertung mit Hilfe spiritueller Praktiken kann uns glauben machen, wir würden als Menschen wachsen, während eigentlich nur unser Ego wächst. Einige Psychologen haben gezeigt, dass spirituelle Selbstaufwertung zu einem Syndrom führt, dass sie »Ich-bin-erleuchtet-und-du-nicht« nennen. Es handle sich um einen »spirituellen Bypass«: Spirituelle Überzeugungen, Praktiken und Erfahrungen würden genutzt, um sich den eigenen Problemen nicht stellen zu müssen. In meinem Buch »Transcend« bezeichne ich das als »Pseudo-Transzendenz« – eine Transzendenz, die auf einem sehr wackligen Fundament steht.
Was bedeutet Transzendenz?
Das Wort kommt aus dem Lateinischen und bedeutet »Überschreitung, Durchdringung«. Bei der Selbsttranszendenz geht es darum, die eigene Begrenztheit zu überwinden und mit dem eigenen Sein über sich hinauszuweisen.
Aber ist das wirklich so ein großes Problem? Was sagt die Wissenschaft zu einer der Paradoxien unserer Zeit: Wenn Yoga das Ego zum Schweigen bringen und die Aufmerksamkeit nach innen richten soll, warum fotografieren sich dann so viele in Yoga-Posen für Instagram?
In den vergangenen Jahren hat die Forschung das Phänomen des spirituellen Narzissmus und der spirituellen Selbstaufwertung entdeckt. In einer großen Studienreihe untersuchte der Psychologe Jochen Gebauer von der Universität Mannheim gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen die Wirkung von Yoga und Meditationspraktiken. In ihrem ersten Experiment befragten sie 93 Yoga-Übende wiederholt über 15 Wochen hinweg direkt nach den Training und nach einer mindestens 24-stündigen Yoga-Pause.
Wie wichtig ihnen Yoga für ihr Selbst war (die »Selbst-Zentralität« von Yoga), wurde an Aussagen gemessen wie »Ein achtsamer Fokus auf die Übungen während des Yoga-Kurses ist für mich wichtig«. Um die Selbstaufwertung zu erfassen, gab es Fragen zum Selbstwertgefühl, zur Selbstbeurteilung im Vergleich mit anderen sowie zu dem weniger bekannten gemeinschaftsbezogenen (»kommunalen«) Narzissmus. Wer dazu neigt, bestätigt Aussagen wie »Ich werde einmal für meine guten Taten berühmt sein«, hält sich für überaus hilfsbereit und glaubt, im Alleingang die Welt retten zu können. Die Forschung zeigt, dass diese Art von Narzissmus mit typisch narzisstischen Eigenschaften wie Anspruchsdenken, Arroganz und übersteigertem Selbstvertrauen zusammenhängt.
Die Gruppe um Jochen Gebauer beobachtete kurz nach den Yoga-Übungen einen höheren Grad an Selbst-Zentralität und Selbstaufwertung. Außerdem fand sie Hinweise darauf, dass die verstärkte Selbstaufwertung für das gesteigerte Selbstwertgefühl und Wohlbefinden nach dem Yoga eine Schlüsselrolle spielt. Die Vorteile spiritueller Praktiken könnten also tatsächlich auf Ego-Boosting zurückgehen – nicht auf eine Mäßigung des Egos.
In einer zweiten Studie untersuchte das Forschungsteam 162 Meditierende über vier Wochen. Wiederholt sollten sie nach ihren Übungen beurteilen, wie wichtig die Meditation für sie war und wie es um ihr Selbstwertgefühl bestellt war. Diesmal wurde auch das Wohlbefinden miterhoben, darunter Glück und Lebenszufriedenheit, gute Beziehungen, das Gefühl von Autonomie und persönlichem Wachstum, Sinnerleben und Selbstakzeptanz. Zur Bedeutung der Meditation für das Selbst gab es Fragen wie »Wie wichtig ist es für dich, keinen Neid zu empfinden?«, und Selbstaufwertung wurde gemessen mit Aussagen wie »Im Vergleich zum Durchschnitt der anderen Teilnehmenden bin ich nicht neidisch«. Nach der Meditation stieg deren Bedeutung für das Selbst, und das verbesserte Wohlbefinden ließ sich mit einer verstärkten Selbstaufwertung erklären.
Die Versuchspersonen kamen in beiden Studien aus dem westlichen Kulturkreis; ihre Yoga- und Meditationspraktiken (unter anderem Hatha Yoga und die Meditation der Liebe und Güte) lassen sich also nicht unbedingt auf alle Arten von Yoga und Meditation übertragen. Doch die verstärkte Selbstaufwertung nach Yoga und Meditation wurde selbst unter Fortgeschrittenen beobachtet. Das legt nahe, dass – anders als erwartet – die Praktiken das Ego boosten und dass es dieser Ego-Boost ist, der zum gesteigerten Wohlbefinden beiträgt.
Bei den spirituellen Personen hingen spirituelle Überlegenheitsgefühle und Selbstwertgefühl enger zusammen als bei nicht spirituellen. Je mehr sie ihren Selbstwert aus spirituellen Praktiken zogen, desto mehr fühlten sie sich anderen spirituell überlegen.
Noch stärker als mit dem Selbstwertgefühl war die spirituelle Überlegenheit allerdings mit gemeinschaftsbezogenem Narzissmus verbunden – ein Hinweis auf »spirituellen Narzissmus«. Ein gesundes Selbstwertgefühl entsteht auf natürliche Weise aus authentischem Können und guten Beziehungen. Wenn spirituelle Praktiken das Selbstwertgefühl steigern, muss das noch kein Zeichen für spirituellen Narzissmus sein. Problematisch ist das Bemühen um einen hohen Selbstwert, nicht dieser selbst.
Besonders überlegen fühlen sich die Anhänger von Energiearbeit
Die Forschenden entdeckten aber Unterschiede je nach Art der spirituellen Praxis. Das Überlegenheitsgefühl war höher bei denen, die sich mit Energiearbeit befassten; sie hielten sich in Sachen Achtsamkeit sogar für bewanderter als jene, die selbst Achtsamkeit praktizierten. Die Energieheiler zeigten auch eher ein übersteigertes Selbstvertrauen bei übernatürlichen Themen, zum Beispiel »Wenn ich zufällig ein Buch auf einer Seite öffne, die für mich besondere Bedeutung hat, ist das kein Zufall« oder »Ich kann anderen positive Energie aus der Ferne schicken«.
Auch wenn es sich um eine Korrelationsstudie handelt, so ist es doch wahrscheinlich, dass der Einfluss in beide Richtungen geht. Das heißt: Spirituelle Praktiken können das narzisstische Selbst aufbauen, also das Anspruchsdenken und das Gefühl fördern, etwas Besonderes zu sein. Aber ebenso wahrscheinlich ist es, dass sich gerade jene Menschen von spirituellen Praktiken angesprochen fühlen, die sich in diesem Sinne weiterentwickeln wollen. Wie die Forschenden anmerken, ist die Vorstellung, das eigene Innenleben zu ergründen und erleuchtet zu sein, für narzisstische Menschen besonders attraktiv. Ihr Fazit: »Das Motiv der Selbstaufwertung ist so mächtig, dass es Methoden vereinnahmt und für sich nutzen kann, die eigentlich das Ego transzendieren sollen.«
Der Pfad zur spirituellen Erleuchtung könnte auf altbekannte weltliche Irrwege führen, wie Selbstaufwertung, die Illusion der Überlegenheit, Engstirnigkeit und Vergnügungssucht, und das alles unter dem Deckmantel von vermeintlichen »höheren« Werten.
Gesunde Transzendenz erfordert, sich der Realität zu stellen
Gibt es einen Weg, den Verlockungen des spirituellen Narzissmus zu widerstehen? Ich denke ja. Doch der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen, wie unglaublich schwierig das ist. Ein ernstes Hindernis ist die Art, wie spirituelle Praktiken angepriesen werden. Die Achtsamkeitsmeditation ist in den USA ein großes Geschäft; ihre Versprechungen haben eine milliardenschwere Industrie hervorgebracht. Im westlichen Kulturkreis ist Yoga die beliebteste Übung für Körper und Geist. Viele Programme werben damit, Stress und Ängste zu mindern, Essgewohnheiten und den Schlaf zu verbessern, Selbstvertrauen, Kreativität, Aufmerksamkeit, Leistung, Erfolg und sogar das Glück zu steigern.
Aber gesunde Transzendenz erfordert, sich der Realität zu stellen, mit Gelassenheit und liebevoller Güte. Es geht nicht darum, Teile von sich abzuspalten und sich über den Rest der Menschheit zu erheben, sondern darum, die Wirklichkeit klar zu sehen. Oder wie die Psychotherapeutin Nancy Colier sagt: Der Sinn von Achtsamkeit ist, »wahrzunehmen, was in uns selbst passiert, ohne es zu bewerten oder verändern zu wollen«. Es sei gefährlich, wenn der achtsame Zeuge zu einer anderen Art von Ego wird, »einer neuen Identität, die wir mit Stolz zur Schau tragen«.
Der eigentliche Sinn von Yoga ist nicht, dass körperlich attraktive Menschen stolz vorführen, wie sie ihren Körper zu einer Brezel formen
Man möge mich nicht falsch verstehen: Ich freue mich über all die verschiedenen komplizierten Yoga-Posen auf Instagram. Doch der eigentliche Sinn von Yoga ist nicht, dass körperlich attraktive Menschen stolz vorführen, wie sie ihren Körper zu einer Brezel formen.
Vielmehr haben wir am meisten davon, wenn wir die spirituellen Praktiken nicht als Werkzeug nutzen, um irgendwelche Bedürfnisse zu befriedigen, ob nach Sicherheit, Zugehörigkeit oder Selbstaufwertung. Wir können reifer, weiser, mitfühlender werden und Akzeptanz sowie bedingungslose Wertschätzung entwickeln, wenn wir uns darin üben, das eigene Denken und Verhalten zu beobachten, und das clevere Ego dabei erwischen, wie es aus den Praktiken einen Nutzen ziehen will.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass Yoga- und Achtsamkeitsschulen aufhören, mit allen möglichen Benefits wie Gesundheit, Erfolg und besserem Sex zu werben, und dass sie beim Wesentlichen helfen: zu realisieren, wann es mal wieder nur ums Ego geht. Sich dessen bewusst zu werden, wäre schon genug Erleuchtung.
Scott Barry Kaufman
Scott Barry Kaufman
Der Psychologe promovierte an der Yale University und schreibt jetzt als freier Autor unter anderem für »Scientific American« über Themen wie Intelligenz, Kreativität und Selbstverwirklichung.