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Es ist auch gut möglich, dass sich die Konflikte in unserer Gesellschaft bei einem nächsten Lockdown noch einmal verstärken, wenn nämlich Impfverweigerer für die entsprechenden Maßnahmen verantwortlich gemacht werden "Wir sind keine Impfverweigerer. Wir weigern uns, Laborratten zu sein". – eine Minderheit, die der Mehrheit ihre Freiheit nimmt, so oder ähnlich könnte es dann heißen. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als nachvollziehbar, dass man auf eine andere Strategie setzt, um der anhaltenden Pandemie Herr zu werden: die Erhöhung der Impfquote.
Für eine solche Strategie kann es keine idealen Lösungen, sondern lediglich bestmögliche Annäherungen im Spannungsfeld von Gesundheit, Freiheit und sozialem Frieden geben. Um die Diskussion einer Impfpflicht jedoch dürfte man gleichwohl nicht herumkommen.
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Gibt es eine moralische Pflicht des Einzelnen?
Wir wollen eine Impfpflicht zunächst begrifflich als eine moralische Pflicht des Einzelnen verstehen, einer Impfung auch dann zuzustimmen, wenn sie oder er es aus persönlichen Gründen vorzöge, nicht geimpft zu werden. In einem zweiten Schritt muss man fragen, ob eine Impfpflicht auch gesellschaftlich oder staatlich durchgesetzt werden soll und kann.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in der Medizinethik ein weitgehender Konsens herausgebildet, anhand welcher Kriterien eine Rechtfertigung politischer Maßnahmen wie eine Impfpflicht erfolgen sollte. Dabei geht es primär um eine Rechtfertigung staatlichen Handelns, aber die Argumente lassen sich auch für die Frage anwenden, ob es eine moralische Pflicht des Einzelnen gibt. Der zentrale Zielkonflikt wird zwischen individueller Entscheidungsfreiheit auf der einen und dem Gemeinwohl auf der anderen Seite gesehen, denn die Entscheidung der einzelnen Person, sich impfen zu lassen oder nicht, hat Konsequenzen für Dritte. In der Ökonomik nennt man so etwas einen externen Effekt, und dieser treibt einen Keil zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl. Diese Perspektive wird auch von der Medizinethik geteilt, denn dieser Externe Effekt macht die Impfentscheidung erst zu einer ethischen Frage.
Eine Impfpflicht wird als angemessen angesehen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind: Erstens schädigt sich die geimpfte Person nicht unverhältnismäßig selbst.
"Wer entscheidet, was verhältnismäßig ist, wenn ich mich schädige, und was unverhältnismäßig? Ich krieg bei dem Artikel das blanke Grauen."
Impfungen reduzieren zweitens nicht nur die Wahrscheinlichkeit, selbst zu erkranken, sondern auch substanziell die Ansteckung Dritter. Impfungen weisen drittens im Vergleich zu anderen Maßnahmen das beste Nutzen-Schaden-Verhältnis auf.
Eva könnte an die Decke gehen.
Die wissenschaftliche Evidenz zu diesen drei Bedingungen ist deutlich: Die zugelassenen Impfstoffe sind gegen die derzeitigen Virusvarianten hocheffektiv, die Nebenwirkungen sind — obwohl vorhanden — in der überwältigenden Zahl der Fälle tolerierbar, und die Impfstoffe reduzieren auch die Ansteckung Dritter signifikant.
"Warum stecken sich dann Geimpfte permanent an, wenn das Zeug so toll ist? Und warum haben wir so viele Nebenwirkungen?"
Wie viele sind es denn?
Was folgt hieraus für den Einzelnen aus einer ethischen Sicht? Die Mehrzahl der gegenwärtig diskutierten Ethiken würde aus diesem Umstand eine moralische Impfpflicht ableiten, und der Konsens reicht von sogenannten konsequenzialistischen Ethiken wie dem Utilitarismus bis hin zu sogenannten deontologischen Ethiken wie derjenigen Immanuel Kants. Sehr unterschiedliche Begründungsmodelle einer ethischen Pflicht führen zum selben Ergebnis: Wenn nicht für den individuellen Fall gesundheitliche Risiken dagegensprechen, bedeutet moralisches Handeln, sich impfen zu lassen. Dies nicht zu tun, bedeutet, seiner moralischen Pflicht gegenüber der Gesellschaft nicht gerecht zu werden. Und dies aus eigenem Antrieb aus einem Gefühl der Verantwortung zu tun, schützt auch die eigene, persönliche Freiheit, weil dadurch staatliche Eingriffe (wie ein neuer Lockdown) unnötig werden.
"Das heißt, das was wir sei 16 Monaten gesagt haben, dass man nämlich uns die freie Entscheidung weg nimmt, durch Erpressung und durch eine drohende Verpflichtung, weil es ist nicht freiwillig wenn man mir droht, meine Freiheiten, meine Grundrechte einzuschneiden und mich dafür zu diskriminieren, wenn ich das nicht mit mache. Das ist nicht Freiheit. Das heißt es wird gedroht, es wird erpresst, damit erpresst, dass wir Schuld sind, die keine experimentellen Medikamente nehmen möchten, wenn wir das nicht mit machen."
Man versuche, Geimpfte gegen Ungeimpfte aufzuhetzen.
Eva, dass schafft ihr auch ganz alleine.
Das sei ein Aufruf. Sie fragt, ob Ungeimpfte jetzt vogelfrei wären.
Das sei unethisch, unmoralisch und undemokratisch, geht gar nicht.
Wenn jetzt nicht Millionen demonstrieren...in welchem Land ist Eva bloß gelandet. Ihr Vater ist geflohen vor Unrecht und Diktatur...
Och, hör doch mal mit DEM Scheiß auf
...damit seine Kinder in Diktatur aufwachsen...
Folglich werden jetzt alle Migranten gefragt, warum sie nicht auf die Straße gehen. "Wir dürfen nicht zuschauen wie alles kaputt gemacht wird", zusammenhalten, sich wehren, alle egal wer.
Sie hat Sorge, dass es in eine üble Richtung läuft Die Sorge habe ich auch. Aus anderen Gründen.
Jaaa, in Frankreich, da gehen sie auf die Straße...und hier?
"...ja, es kann sein, dass `n Rechtsradikaler dabei ist, ja ich weiß, ich find das nicht gut, aber ich kann`s nicht ändern." Braucht man nur einen davon auf die Demo zu schicken, ist sie dann rechtsradikal? Nein !!1! Trotzdem Gesicht zeigen. Das sei wichtig für ihre von der griechischen Diktatur umgebrachten Großeltern. Framing muss aufhören.
Sie hätte sich positioniert und kriegt dafür Shitstorm von rechts und links.
Sie kann die Rechten nicht verhindern, aber solange die in der Unterzahl sind und "für die gleiche Sache" eintreten, müsse sie das in Kauf nehmen.
"Und das müssen wir alle"
Nein. Müssen wir nicht.
Also, 1.8. in Berlin, wir schauen neidisch ins Ausland, Kassel fällt morgen aus..."lasst uns Millionen sein...", sie will nicht, dass schon wieder Menschengruppen verfolgt und vielleicht umgebracht werden...Dafür haben nicht viele Menschen, auch Juden, ihr Leben gelassen
So. Und vor lauter Aufregung hat Eva mal eben vergessen, den Rest des Artikels, also alles was jetzt noch folgt, zu Ende zu lesen. Und vielleicht noch zu kommentieren.
Ist wahrscheinlich nicht so wichtig, was da steht.
Was der Staat nicht regeln muss, sollte er nicht regeln
Eine Impfung als moralische Pflicht zu charakterisieren, mag hart klingen, denn sie besagt ja umgekehrt, dass Impfverweigerer gegen diese verstoßen. Hierzu sind zwei Bemerkungen angebracht. Erstens sieht man an der möglicherweise unbequemen Schlussfolgerung, dass wir es als Gesellschaft ein Stück weit verlernt haben, Interessenkonflikte als moralische Fragen der Eigenverantwortung wahrzunehmen. Zweitens hat diese Schlussfolgerung nichts mit einer "Moralisierung" zu tun, wie es mitunter negativ konnotiert in der öffentlichen Diskussion heißt. Es ist eine ethische Begründung einer Pflicht. Und Ethik als rationale Ableitung konkreter Pflichten aus allgemeinen Prinzipien ist das Gegenteil eines "Bauchgefühls", wenn es um moralische Fragen geht.
Es wäre naiv zu denken, dass sich viele Menschen allein von einer utilitaristischen, kantianischen oder wie auch immer gearteten ethischen Argumentation von einer Impfung überzeugen lassen werden. Daher wird in der Medizinethik nicht nur eine individuelle Pflicht, sondern auch die Rechtfertigung staatlicher Regulierungen ausführlich diskutiert. Diese leitet sich aus der individuellen moralischen Pflicht ab, geht aber weiter. "Der einzige Zweck, zu dem Macht rechtmäßig über ein Mitglied einer zivilisierten Gemeinschaft gegen seinen Willen ausgeübt werden kann, ist, Schaden von anderen abzuwenden", formulierte der liberale Philosoph John Stuart Mill.
Ein breiterer Blick in die Praxis zeigt: Der Staat folgt dieser Sicht in vielen Bereichen, in denen "Schaden von anderen abzuwenden" ist, so zum Beispiel mit Geboten (Versicherungspflicht), Verboten (Tempolimit in Städten) und Anreizen (Subventionen von sauberen Antrieben). Eine staatliche Impfpflicht ist jedoch ein in der heutigen Zeit ziemlich einmaliger Vorgang, da unmittelbar in die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen eingegriffen würde. Daher muss dies in besonderem Masse rechtfertigbar sein. Aus diesem Grund treten weitere ethische Kriterien hinzu.
Die Ultima Ratio
Nutzen und Schäden sollten fair verteilt sein, die Privatsphäre respektiert und Informationen nach bestem Wissen transparent bereitgestellt werden, insbesondere auch, um Ängste und Vorbehalte zu adressieren. Und, welche Maßnahmen auch immer ergriffen werden, sie sollten stets die Ultima Ratio in einem Gesamtpaket von Maßnahmen bleiben und dabei dem Prinzip der Subsidiarität folgen: Was der Staat nicht regeln muss, sollte er nicht regeln, sondern dem Einzelnen überlassen. Eine Steigerung der Impfquote zum Beispiel durch Maßnahmen wie Anreize oder Impfprivilegien sollten in einer liberalen Gesellschaftsordnung möglichst Vorrang haben.
Gehen wir einige Möglichkeiten durch und schauen, wie sie sich zur persönlichen Freiheit des Einzelnen verhalten. Einen ersten Ansatz konnten wir in den vergangenen Wochen beobachten: Man lanciert Kampagnen und arbeitet mit harten Anreizen wie Impflotterien, Stipendien oder dem kostenlosen Besuchen von Freizeitparks. Neuere Vorschläge aus der Verhaltensökonomik bringen sogenannte nudges ins Spiel, wie die unaufgeforderte Versendung eines Impftermins, der abgesagt werden muss, wenn er nicht wahrgenommen wird. Ein Nichterscheinen beim Impftermin könnte zusätzlich mit einer Strafe belegt werden. Eine Kombination aus Sensibilisierungskampagnen und Anreizen kann ein erstes Handlungsfeld für die Erhöhung der Impfquote darstellen.
Eine zweite Option, um die Zahl geimpfter Personen zu erhöhen, wäre die indirekte Durchsetzung von Impfungen durch nicht staatliche Akteure, indem andernfalls eine Diskriminierung stattfindet. Arbeitgebende, seien es Unternehmen oder andere Organisationen, können unter bestimmten Bedingungen ihre Mitarbeitenden zu einer Impfung verpflichten. Dies ist für Mitarbeitende im Pflege- und Gesundheitswesen plausibel nachvollziehbar (Frankreich will dazu eine gesetzliche Pflicht anordnen), kann aber auch weitergedacht und beispielsweise auf Lehrpersonal an Schulen und Universitäten, den Einzelhandel, die Gastronomie und so weiter ausgedehnt werden. Arbeitgebende sind je nach Rechtssystem in Deutschland, Österreich und der Schweiz teilweise befugt, ihre nicht impfwilligen Mitarbeitenden in andere Abteilungen zu versetzen oder sogar Kündigungen auszusprechen.
In einer gewissen Analogie dazu wäre eine indirekte Durchsetzung von Impfungen im Konsumbereich denkbar, indem der Kauf von Produkten (im Einzelhandel) oder die Inanspruchnahme von Dienstleistungen (der Restaurantbesuch, die Theaterveranstaltung, Fußball im Stadion genießen) an ein Impfzertifikat gebunden wird. Derartige Regelungen zu treffen, steht Unternehmen im Rahmen einer Vertragsfreiheit durchaus frei, wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel.
Diskriminierungen für Ungeimpfte
Für indirekte Durchsetzungsszenarien bei Mitarbeitenden beziehungsweise bei Konsumierenden wären selbstverständlich Ausnahmeregelungen erforderlich, zum Beispiel für Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können. Es ist sicherlich aus praktischen Gründen empfehlenswert, negative Corona-Tests als Alternative zu einem Impfzertifikat zuzulassen. Hier entsteht gleichwohl eine Abwägung: Wichtig für die Erhöhung der Impfquote ist, dass diese Tests kostenpflichtig sind, damit die gewünschte Anreizwirkung für eine Impfung resultiert. Gleichzeitig wird damit die Testbereitschaft gesenkt.
Letztlich bleibt als dritte Option eine staatliche und im Extremfall allgemeine Corona-Impfpflicht. Man darf sich dabei eine Impfpflicht nicht als einen durch Behörden angeordneten physischen Zwangsakt vorstellen. Es handelt sich um eine Impfpflicht, nicht um einen Impfzwang. Es könnte folglich eine gesetzliche Anordnung zur Corona-Impfung geben, deren Nichtbefolgung eine Ordnungswidrigkeit darstellte, die entsprechend gebüßt würde. So wird ein Verstoß gegen die Masern-Impfpflicht in Berlin mit bis zu 2.500 Euro geahndet; eine Maßnahme, die sich seit ihrer Einführung im letzten Jahr im Übrigen als wirkungsvoll erwiesen hat.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Gesetzgebenden im deutschsprachigen Raum eine allgemeine Corona-Impfpflicht für die gesamte Bevölkerung einführen werden. Wenn man das gesamte Spektrum der Möglichkeiten betrachtet, die zur Erhöhung der Impfquote beitragen, zählt jedoch auch eine staatliche Impfpflicht zum Repertoire von Handlungsoptionen. Sie sollte nicht vorschnell politisch zu den Akten gelegt werden. Denn im Fall der Fälle könnte sie sich als eine letzte Notwendigkeit erweisen. Aus einer ethischen Sicht ist eine staatliche Impfpflicht vertretbar. Zugleich sollten wir eine derartige Maßnahme dem Subsidiaritätsprinzip folgend und um des sozialen Friedens willen möglichst vermeiden.