Die NZZ mit einem "Porträt" über den Möchtegern-OB von Stuttgart, Ballweg.
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Biedermann und Brandstifter: Der Querdenker Michael Ballweg will Oberbürgermeister von Stuttgart werden
Geschickt wie kein Zweiter kanalisiert der 46-Jährige den Unmut gegen das Pandemie-Management in Deutschland. Ein ungeklärtes Verhältnis zu Antisemitismus und Rechtsextremismus bestreitet er vehement. Seine Financiers will Ballweg nicht namhaft machen – trotz der Transparenz, die er selbst stets vom Staat einfordert. Ein Porträt.
Im März hat sich Michael Ballweg noch vor dem Coronavirus gefürchtet. Statt wie geplant auf Weltreise zu gehen, erzählt er, habe er sich zu Hause in Stuttgart mit seiner Familie zwei Wochen lang eingeschlossen. In dieser Quarantäne habe er zu zweifeln begonnen – am Umgang mit dem Virus und vor allem daran, ob dieser rechtmässig sei. Heute sagt der 46-Jährige Sätze wie diesen: «Die Pandemie ist dann vorbei, wenn die Bevölkerung entscheidet, dass sie vorbei ist.»
Die Wandlung des Michael Ballweg vom IT- zum Protestunternehmer, vom Bürger zum Demagogen, dauerte nur wenige Monate. Er ist der Kopf hinter der Plattform «Querdenken», die Unzufriedene aller Couleur, Verschwörungstheoretiker und mitunter auch rabiate Reichsbürger auf ihren Demos versammelt. Ballweg kanalisiert geschickt wie kein Zweiter den wachsenden Unmut gegen das Pandemie-Management in Deutschland. Dieser Groll soll ausgerechnet ihn, der dauernd über ausserparlamentarische Opposition spricht, nun auch in die Politik tragen. Am Sonntag tritt er als parteiloser Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters in Stuttgart an.
Grundgesetz, Tempo 50, Tierliebhaber
Auf seinen Wahlplakaten ist er als Verteidiger des Grundgesetzes, als Hundefreund oder als Befürworter von Tempo 50 (statt 40) zu sehen. Bei Wahlversammlungen spricht er über Radwege, das Tiny-House-Konzept oder Bürgerbeteiligung. Es ist ein wildes Sammelsurium von Sachverhalten. Er und seine Mitarbeiter, erklärt Ballweg im Gespräch mit der NZZ, hätten diese aus Diskussionen mit Teilnehmern von Querdenken-Demos herausdestilliert. Dass sie kaum zusammenhängen, stört ihn wenig. Sein alles überstrahlendes Thema ist ohnehin Corona.
Noch vor wenigen Wochen fragte er in einer Rede: «Wo ist die Pandemie?» Er sehe nachweislich keine steigende Infektionsrate, keine sich füllenden Intensivbetten und keine zunehmende Zahl von Corona-Toten. Schon damals stellte sich die Faktenlage für die meisten Menschen anders dar. Auf die derzeit tatsächlich exponentiell wachsenden Zahlen angesprochen, erwidert Ballweg, positive Tests bedeuteten noch keine Infektionen. Er glaube eher den Zahlen der Helios-Kliniken (86 Standorte in Deutschland) als jenen des Registers der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, dem 1286 Krankenhäuser Daten über die intensivmedizinische Versorgung von Covid-19-Patienten melden.
An der Quelle nachfragen
Warum? Erstere seien transparent, sagt Ballweg. Bei Letzteren müsse «man erst mal gucken, wer das finanziert». Ausserdem habe es da ja immer wieder einmal Probleme mit Meldungen gegeben. Und ganz grundsätzlich: Querdenken habe es sich zur Aufgabe gemacht, «an der Quelle nachzufragen». Das Ergebnis solcher «Nachforschungen» ist in den meisten Fällen eine Mischung aus Mutmassungen, Unterstellungen und einem scheinbar eingeweihten Raunen. Aber das bleibt das alleinige Problem der Gegner der «Querdenker».
Ballweg ficht Kritik wenig an. Er tritt mit dem Habitus des sanften, zuweilen biederen Rebellen auf. Zum mitreissenden Volkstribunen fehlt ihm Verve, rhetorische Kadenzen hat er nicht im Repertoire. Stattdessen hat er eine adrette Frisur, ein Querdenken-T-Shirt, Jeans und Turnschuhe zu bieten. Würde der Prototyp des netten Kumpeltyps unter den Verschwörungsmystikern gesucht, die Wahl fiele auf den 46-Jährigen. In seinem weissen Kapuzenpulli wirkt er beinahe so, als wäre er noch immer der computerbegeisterte Student, der vor 25 Jahren «vom Dorf» (Ballweg) nach Stuttgart kam, um BWL zu studieren.
1996 hat er dort seine Firma, die Media Access GmbH, gegründet. Sie bietet Software an und hat sich auch an einer App zur Überwachung von Kindern versucht. Ein paar Tage vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie hat Ballweg sein Hauptprodukt, ein Programm zum Projektmanagement mit pensionierten Experten, verkauft. Auf der Website des Unternehmens ist er noch in Anzug, Hemd mit Manschettenknöpfen und mit dicker Uhr zu sehen. Heute steht er den neuen Eigentümern noch einige Zeit für die Übergabe zur Verfügung, muss aber nicht mehr für Geld arbeiten.
Inzwischen interessiert er sich mehr für die spirituelle Seite des Lebens. Den Eindruck zu erwecken, er ruhe in sich und müsse niemandem mehr etwas beweisen, ist ihm wichtig. Er sei gern in der Natur und brauche weder ein grosses Auto noch ein Boot, sagt Ballweg über sich. Religiös sei er nicht. Aber er meditiere viel, trinke keinen Alkohol und lebe sehr gesund. Bis vor wenigen Monaten sei er ausserdem völlig unpolitisch gewesen. Auch das hat sich geändert. Neben den Querdenken-Hoodies trägt er heute ganz leger Polohemden mit seinem Wahlkampf-Logo – MB20, Michael Ballweg 2020.
Klage um den «Goldenen Aluhut»
Eine besondere Art von Entspanntheit manifestiert sich auch inhaltlich: Ballweg fordert die Abdankung der Bundesregierung so ruhig, als würde er Apfelschorle bestellen. Ganz nebenbei lädt er Donald Trump und Wladimir Putin zu Demos nach Deutschland ein, damit diese den Europäern Friedenspolitik erklären. Dann will er unbedingt seinen angeblichen Sieg bei der Verleihung des Negativpreises «Der goldene Aluhut» einklagen. Und schliesslich wundert er sich, dass sich niemand darüber Gedanken mache, ob achtlos weggeworfene Mundschutzmasken für ausgeführte Hunde gefährlich sein könnten.
Mögen seine Themen auch variieren, die Redefiguren sind immer die gleichen. Es geht stets um die Andeutung einer grossen Verschwörung. Um Hintermänner, die den Menschen ihr selbstverantwortliches Leben und die Demokratie wegnehmen wollen. Wenn Ballweg so raunt, scheint hinter dem Biedermann auch der Brandstifter durch.
Den ruhigen, kontrollierten Chef-Querdenker bringt erst aus der Ruhe, wer ihn unnachgiebig «an der Quelle» befragt, wie er es selbst gerne propagiert. Wer etwa seinen OB-Wahlkampf mit finanziellen Zuwendungen in Form von Schenkungen unterstützt, will Ballweg partout nicht sagen. Seine Bewegung unterliege ja auch nicht dem Parteiengesetz. Hat die Öffentlichkeit im Sinne seiner Forderung nach Transparenz nicht dennoch das Recht, das zu wissen? Nein, man gebe nur das bekannt, wozu man auch verpflichtet sei.
Antisemitismus- und Rechtsextremismusvorwürfe
Seinem Pressesprecher Stephan Bergmann, der Mitbegründer eines vom Landesverfassungsschutz Baden-Württemberg als rechtsextrem eingestuften Vereins ist, attestiert Ballweg, «ein herzensguter Mensch» zu sein. Antisemitische Tendenzen, die der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume bei Querdenken feststellt, führt Ballweg auf dessen «Wahrnehmungsschwäche» zurück. Auch über den umstürzlerischen Verschwörungsapostel Ken Jebsen, der wegen Antisemitismusvorwürfen aus dem öffentlichrechtlichen Rundfunk entfernt wurde, lässt er nichts kommen. Schliesslich war Jebsen im Mai einer der prominentesten Redner bei einer Querdenken-Demo in Stuttgart und bietet dem OB-Kandidaten heute über seine Online-Kanäle grosse Publizität.
Auch über seine genaue Herkunft hält sich Ballweg bedeckt: Er sei aus Wertheim am Rhein, der nördlichsten Stadt in Baden-Württemberg. In welchem Dorf genau er mit seinen vier Brüdern aufgewachsen ist, will er nicht sagen. Denn dann müssten sich die Leute dort von neugierigen Reportern bedrängen lassen. Die Mainstream-Medien liessen ja üblicherweise kein gutes Haar an seiner Bewegung. Bis vor kurzem wollte Querdenken deshalb Journalisten vor Interviews eine «Erklärung zur journalistischen Arbeit» unterzeichnen lassen. Inzwischen ist Ballweg davon abgerückt. In Wahlkämpfen, so scheint es, ist schlechte Mainstream-Presse immer noch besser als keine Mainstream-Presse.
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Gut, ich lese nicht alles aus der Lügenpresse, aber die wollten doch eigentlich primär die Busse "abfangen" um Kontrollen bezüglich der (gefälschten) Masken durchzuführen und die Leute dann gleich nicht reinlassen.