Soso.
Spoiler
Kaum ein Querdenken-Aktivist äußerte sich im vergangenen Jahr so oft regierungskritisch zu den Grundrechtseinschränkungen in der Coronakrise wie der Leipziger Rechtsanwalt Ralf Ludwig. Bei einer Veranstaltung des Vereins „Bürger für Demokratie“ stand der umstrittene Redner am Wochenende in Weimar nun nach längerer Pause wieder auf der Bühne. Und das, was er dort sagte, sorgte bei kritischen Beobachtern der Querdenker-Szene für große Empörung. Sogar die Polizei wurde hilfesuchend angetwittert.
„Noch so ein Jahr wird nicht friedlich verlaufen“
Trotz sinkender Inzidenzwerte befindet sich die Republik weiter im Lockdown. Nachdem Ludwig bei seinem Aufritt in Weimar dargelegt hatte, für wie angespannt er die Lage in Deutschland hält und wie dramatisch sich seiner Meinung nach die Situation besonders in Familien verschlechtert (Existenzangst, drastische Zunahme familiärer Gewalt), sagte er im Schlussteil der Rede: „Und ich spreche in diesem Zusammenhang auch eine klare Warnung an die Regierung aus: Ich kriege ja relativ gut mit, was passiert. Und ich kriege mit, wie viele Menschen sich dieser Widerstandsbewegung anschließen. Wenn ihr wollt, dass das Ganze friedlich endet, wenn ihr wollt, dass das Ganze politisch endet,[...] dann guckt euch an, wer da alles auf der Straße unterwegs ist und redet mit denen. Genau das, was meine beiden Vorredner gerade gesagt haben. Die Regierung hat noch eine Möglichkeit: Nämlich, sich jetzt mit uns hinzusetzen [...] und mit uns zu sprechen. Denn noch so ein Jahr wird nicht friedlich verlaufen und ich möchte, dass es friedlich verläuft. Aber wenn die Regierung uns weiter die Rechte nimmt, werden wir sie uns zurückholen. Und das sogar mit Recht.“
Für Kritiker auf Twitter offenbar der eindeutiger Beweis, dass hier ein prominenter Querdenker mit Gewalt und Umsturz droht. Andere deuten die Passage gar als endgültigen Beleg, dass es sich bei den Spitzen der Bewegung um gefährliche Rechtsextremisten handelt – obwohl kein Wort in diese Richtung fällt.
Neben der Polizei in Leipzig wurde zu diesem Thema auch der Nordkurier angetwittert und gefragt, ob es zu den vermeintlich skandalösen Äußerungen des Redners nun wieder einen „unvoreingenommenen Bericht“ gebe.
Interview mit Ralf Ludwig
Der Nordkurier hat Ludwig als Sprachrohr der Querdenker natürlich gefragt, wie der verschärfte Ton und die umstrittenen Äußerungen seiner Rede zu verstehen sind. Im Interview stellt er klar, dass er Gewalt als politisches Mittel ablehnt – diese von seinen Gegnern inzwischen aber offenbar als realistisches Szenario wahrgenommen wird.
Ihre Worte in Weimar wurden von einigen Beobachtern als umstürzlerisch und eine Androhung von Gewalt wahrgenommen. Was sagen Sie zu dieser Einschätzung?
Ich verweise regelmäßig auf Art. 20 Abs. 4 GG, das Widerstandsrecht. Dabei erkläre ich immer, dass dieses Recht ein konservierendes Recht ist, dessen Ziel es ist, die Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen, wenn diese weitgehend außer Kraft gesetzt sind und andere Abhilfe nicht mehr möglich ist. Das Widerstandsrecht rechtfertigt aus meiner Sicht zivilen Ungehorsam bis hin zu einem Generalstreik.
Ich habe mich immer gegen Gewalt ausgesprochen. Ich habe natürlich nicht die Deutungshoheit über meine Aussagen. Ich kann nur erklären, was ich damit meine. Ich habe Gewalt als politisches Mittel immer abgelehnt und tue dies immer noch.
Was genau meinen Sie mit dieser Passage: „Die Regierung hat noch eine Möglichkeit: Nämlich, sich jetzt mit uns hinzusetzen und mit uns zu sprechen. Noch so ein Jahr wird nicht friedlich verlaufen und ich möchte, dass es friedlich verläuft. Aber wenn die Regierung uns weiter die Rechte nimmt, werden wir sie uns zurückholen. Und das sogar mit Recht.“
Die Passage sollte bedeuten, dass ich die Regierungen auffordere, das Gespräch mit uns, den Friedlichen, denjenigen, die eine Lösung auf Diskursebene suchen, zu suchen, um den Frust zu verstehen und einen gemeinsamen Weg zu finden. Wenn sie das nicht machen, werden die Demonstrationen anwachsen und die Spaltung der Gesellschaft noch tiefer. Dann spielt die Regierung denjenigen in die Hände, die nicht nach einer friedlichen Lösung streben.
Sie haben die Rede doch vorher geplant – war Ihnen beim Formulieren bewusst, dass Ihre Worte als Gewaltdrohung verstanden werden könnten?
Ich plane meine Reden sehr kurzfristig. Die Zeit ist ja sehr dynamisch. Ich dachte eher, dass die Aussage, dass Bodo Ramelow eine potenziell tödliche Gefahr sei, für Aufregung sorgen würde. Ich glaube, dass es letztlich auch diese Aussage war, die ja prägnant zusammengefasst die aktuelle Situation widerspiegelt. Der Mensch wird zur Gefahr erklärt und damit zum Objekt staatlichen Handelns gemacht, was Art. 1 GG widerspricht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das hat innerlich bei vielen für Unruhe gesorgt. Nach kurzem Nachdenken dürften aber Viele bemerkt haben, dass meine Aussage den Tatsachen entspricht. Die logische Folgereaktion ist, dass versucht wird, das empfundene Unbehagen in einen anderen Anwurf zu kanalisieren. Das ist dann der, dass ich mich angeblich für Gewalt aussprechen würde. Dieser Anwurf spiegelt aber nur die Gewalt, die derjenige in sich spürt, der mir eine solche Fantasie unterstellt.
Aber warum formulieren Sie plötzlich so drastisch, „Warnung an die Regierung“, „werden uns die Rechte zurückholen“ und so weiter?
Ich habe etwas ähnliches bereits früher in Leipzig gesagt, da hat das niemand thematisiert. Offensichtlich habe ich einen Punkt getroffen, der zwischenzeitlich als realistisches Szenario erscheint. Wir suchen den Dialog. Es hat sich historisch immer als Fehler herausgestellt, wenn die Machthaber einen solchen Dialog nicht angenommen haben. Und ob man die Maßnahmenkritiker nun mag oder nicht oder auch ihre Meinung nicht teilt: Wir haben eine relevante gesellschaftliche Stärke und sind so heterogen aufgestellt, dass repressive Mittel oder Framing schlicht nicht funktionieren.
Am Sonntag in München äußerten sie sich dann wieder gemäßigter. Um die Wogen zu glätten?
In München wusste ich noch nichts von der Aufregung, die meine Rede in Weimar erzeugt hat. Ich spreche fast ausschließlich frei. Mein Ziel ist es immer, den Menschen zu erklären, dass wir einen sehr guten Grundrechtekatalog in Deutschland haben und klarzumachen, was dies bedeutet.
Bürger eines Staats zu sein, bedeutet immer auch, Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen. Wir Menschen sind der Souverän in einem Staatswesen. Unser Grundgesetz gibt uns an vielen Stellen die Möglichkeit, diese staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wahrzunehmen. Im Sinne Hannah Arendts haben unsere Landesregierungen und die Bundesregierung die die Bundesrepublik Deutschland konstituierende Moral „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ durch die Moral „Alle Menschen sollen coronafrei sein“ ersetzt. Damit haben die Regierenden unseren gesellschaftlichen Nachkriegskonsens aufgekündigt. Für diejenigen, die auf die Straße gehen, ist aber die Würde des Menschen die Lehre aus Weimar. In dem Gefühl, dass das Recht hinter dieser Moral steht, will ich die Menschen mit meinen Reden bestärken.
Sie sagten mehrfach, Sie hätten keine politischen Ambitionen – klingt aber anders.
Klare Aussage: Ich habe keine Ambitionen, mich in ein Parlament wählen zu lassen. Ich will auch kein Staatsamt bekleiden. Meine Tätigkeit ist dennoch hochpolitisch. Und ich werde nicht aufhören, bis nicht der zivilisatorische Zustand von Anfang 2020 wieder hergestellt ist und eine konkrete Perspektive besteht, dass bessere Sicherungsmechanismen gegen staatliche Machtüberschreitung und Machtmissbrauch verfassungsmäßig installiert werden.
„Relativ gut“, aha.
Natürlich will er nicht drohen.
Er warnt nur.