Am Landesgericht in Wels geht es um die Jahre der Pandemie, eine Zeit, in der der Diskurs dermaßen aufgeheizt war, dass etwa ein Ärztekollege eine E-Mail an Lisa-Maria Kellermayr schrieb und sie unter Klarnamen als „abartige Corona-Drecksau“ beschimpfte. Das ist es auch, was Roman M. über sein dreiköpfiges Verteidigerteam zu Protokoll gibt: Er habe seine Mails „so scharf und direkt“ geschrieben, wie es dem „gesellschaftlichen Klima damals entsprach“.
Vor allem aber geht es vor Gericht um die Fragen: Trägt jemand die Verantwortung für den Suizid der Ärztin? Und wenn ja, ist diese Person Roman M.?
„Ich bin nicht derjenige, den man gesucht hat, sondern der, den man gefunden hat.“
Roman M. ist ein sportlicher Mann in Jeans und Lederjacke, der vor Gericht einen gutbürgerlichen Eindruck macht. Sagen will er nichts, lässt seine Verteidigerin aber erklären: Kellermayrs Tod sei für ihn „eine Tragödie, die mich nicht kaltlässt“. Er verstehe, dass man jemanden suche, der Schuld an ihrem Tod hat. Aber das sei er nicht. „Ich bin nicht derjenige, den man gesucht hat, sondern der, den man gefunden hat.“
Am ersten Prozesstag am Mittwoch schält sich heraus, wie komplex die Gemengelage ist. Kellermayr war, wie vor Gericht aus einem Arztbrief hervorgeht, seit langer Zeit suizidal. Im Laufe ihres Lebens hatte sie mehrere Suizidversuche unternommen und nahm Medikamente gegen Depressionen. Ihr Vater erzählt, dass die psychischen Probleme mit dem 14. Lebensjahr begannen und es während und nach dem Medizinstudium immer wieder Phasen gab, in denen seine Tochter „sehr belastet“ war.
Die Corona-Zeit war für Kellermayr dann wie für viele Ärzte äußerst aufreibend. Sie testete und behandelte Infizierte, impfte gegen Corona, informierte in den sozialen Medien über die Krankheit und die Impfung, gab Experteninterviews. In ihrem Fall kamen aber noch die massiven Anfeindungen hinzu. Ein Kollege, der sie manchmal in der Praxis vertrat, erzählt, wie hochgerüstet die Hausarztpraxis war. Es gab Videokameras, man musste durch eine Schleuse, an deren Ende ein Sicherheitsmann alle kontrollierte. Die Maßnahmen hätten Kellermayr 100 000 Euro gekostet, sagt der Arzt, als Grund für den Aufwand habe seine Kollegin „die Angst vor den E-Mails, die sie bekam“, angegeben.
Roman M. sagt, er habe sich damals als Aktivist gesehen und unzähligen Leuten geschrieben. Niemand habe auf seine Nachrichten geantwortet – bis auf Lisa-Maria Kellermayr. Tatsächlich entspann sich ein längerer E-Mail-Wechsel zwischen ihm und der Ärztin. Kellermayr drohte ihm rechtliche Schritte an, nannte ihn „Cov♥♥♥en“. Er nannte sie „Lügnerin“, schickte Links zu extrem rechten Portalen und kündigte an, sie wegen Volksverhetzung anzuzeigen, weil sie „über Impfgegner hergezogen“ sei. Er habe dabei jedoch nie den Eindruck gehabt, dass die Ärztin sich vor ihm gefürchtet habe, so Roman M. Auch habe sie ihm nie zu verstehen gegeben, dass sie den Mail-Wechsel beenden wolle. Die Polizei hielt später in ihrem Bericht fest, die Kommunikation zwischen M. und Kellermayr sei von „gegenseitiger Feindseligkeit“ geprägt gewesen.
Die Verteidigung glaubt, dass M.s Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt gewesen seien. So habe das Landgericht München, das den Fall ebenfalls behandelt hatte, 2023 festgestellt, dass mit „Tribunal“ auch ein rechtmäßiges Gericht gemeint gewesen sein könnte. Vor allem aber habe Roman M. aus dem Mail-Wechsel mit Kellermayr nicht erkennen können, dass sie sich von ihm bedroht fühle – genau das aber sei die Voraussetzung, um ihn für ihren Tod mitverantwortlich zu machen. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.
Anmerkung der Redaktion: Wir berichten in der Regel nicht über Selbsttötungen. Grund dafür ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen von Suizidgedanken, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (
www.telefonseelsorge.de ). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.