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Woche um Woche gehen Menschen auf die Straße, um gegen die Coronaregeln zu demonstrieren. Sie selbst bezeichnen sich als Querdenker. Die breite Allianz von Verschwörungstheorieanhängern, Putinfans, Esoterikern, Reichsbürgern, Antisemiten, Rassisten und anderen Verfechtern kruder Weltbilder lässt sich treffender allerdings als Querfront bezeichnen. Und die eint vor allem eines: Die Verachtung des politischen Systems. Im Interview mit den Dresdner Neueste Nachrichten erklärt die Dresdner Politikwissenschaftlerin Anja Besand, warum die Bewegung für die Demokratie so gefährlich ist.
Seit Wochen gehen Menschen gegen die Coronaregeln auf die Straße, vielen pfeifen bewusst auf Hygienevorschriften. Frau Professorin Besand, was treibt diese Leute an?
Die Zumutungen zu ertragen, die sich für uns alle im Rahmen der Coronapandemie ergeben, ist nicht leicht. Menschen erleben und verarbeiten diese Belastungen unterschiedlich. Einige reagieren ängstlich, andere gefasst und wieder andere werden wütend oder leugnen die Gefahr. Viele Menschen haben gar keine Möglichkeit, sich vor dem Virus zu schützen – sei es aus beruflichen Gründen oder weil sie schulpflichtige Kinder haben. Eine derartige Gefahr über Monate – wenn nicht vielleicht Jahre – für sich ständig präsent und real zu halten und mit dieser Verantwortung zu leben, ist nicht einfach auszuhalten. Das an sich ist nicht schwer zu verstehen. Herausfordernder ist dagegen die Frage, warum die, die unzufrieden sind mit der Coronapolitik der Bundes- und Landesregierung, keinerlei Scheu haben, sich mit Rechtsextremen und Verschwörungstheoretiker*innen zusammenzutun. Tatsächlich vertreten viele Teilnehmer absurde Weltbilder, stellen wissenschaftlich unhaltbare Theorien auf und nicht wenige zeigen sich offen rassistisch und antisemitisch.
Wie gefährlich ist der krude Querfront-Brei für die demokratische Gesellschaft? Das ist super gefährlich – wie gefährlich, kann man in Amerika schon ganz gut erkennen. Wenn sich relevante Gruppen der Gesellschaft vom rationalen Diskurs und jeglicher Form wissenschaftlicher Erkenntnisse verabschieden, wird es schwer sein, zukünftige Herausforderungen zu meistern und da geht es – mit Verlaub – nicht nur um eine kleine Pandemie, sondern weit schwerwiegendere Probleme wie den Klimawandel und den Umgang mit globalen sozialen Ungleichheiten, um nur zwei Stichworte zu nennen. Das Querfrontphänomen gibt es nicht erst seit Corona. Gerade in Ostsachsen hat sich über die Jahre eine breite Szene etabliert, die längst alle gesellschaftlichen Schichten durchdringt.
Wie konnte das passieren? Das stimmt, das ist gar nicht so neu – Esoteriker*innen, die nicht an (schulmedizinische) Aussagen glauben, Rassist*innen, die weiße Menschen für überlegen halten, oder auch Reichsbürger*innen gibt es schon sehr lange. Das Problem ist, dass diese Gruppen sich selbstbewusster als je zuvor sichtbar machen und zusammenschließen. Dahinter steckt viel Arbeit und Geld, das aus der rechten Szene investiert worden ist, um genau das zu erreichen, aber auch die Unentschlossenheit – man könnte sagen der Schmusekurs, mit dem diese Gruppen in der Vergangenheit politisch und medial behandelt worden sind. Wie oft haben wir in den vergangenen Jahren gehört, dass man auf diese Menschen zugehen müsste. Ihnen geduldig zuhören sollte, den Dialog suchen. Mir wäre lieber, man würde sich mal mit Hausbesetzer*innen um Dialog bemühen, vielleicht käme dabei etwas Sinnvolleres raus.
Die Erfahrungen belegen deutlich, dass viele dieser Menschen nicht mehr oder nur noch schwer zu erreichen sind.
Sehen Sie überhaupt noch Möglichkeiten, diese Leute mit rationellen Argumenten zu erreichen?
Nein. Vielmehr geht es um Tabus, sich menschenfeindlich zu äußern. Das geht einfach nicht. Den Tod von Mitmenschen in Kauf zu nehmen, auch nicht.
Wenn Coronaleugner*innen Polizist*innen anspucken: Wie soll man da diskutieren? Da werden Grenzen überschritten, die jeglichen Diskurs unmöglich machen. Wir sollten gleichzeitig aber auch nicht übersehen, dass diese Gruppe sowohl politisch als auch medial viel zu viel Aufmerksamkeit bekommt. Das muss aufhören, wir konzentrieren uns auf die Falschen.
Sie beschäftigen sich wissenschaftlich mit politischer Bildung und kritisieren die jetzige, an den Schulen praktizierte Form als nicht hinreichend. Was genau läuft da schief?
Ich ziehe meinen Hut vor den Aktiven im Feld politischer Bildung. Sie haben keinen leichten Job und damit meine ich explizit auch die Lehrerinnen und Lehrer, die in Sachsen Gemeinschaftskunde unterrichten. Das Kernproblem ist, dass wir diesem Bildungsbereich nicht genügend Raum geben. Über viele Jahre haben wir erst in Klasse 9 mit der politischen Bildung begonnen. Da ist der Zug längst abgefahren.
Was muss sich ändern?
Glücklicherweise ist es uns vor Kurzem gelungen, den Start auf Klasse 7 vorzuziehen. Aber wir haben noch immer viel zu wenig Zeit. Wenn wir wollen, dass junge Menschen sich in der Schule mit politischen und gesellschaftlichen Fragen beschäftigen, dann brauchen wir nicht nur eine Mindestausstattung des Bildungsbereichs mit zwei Wochenstunden von Klasse 5 bis 10, sondern auch Freiraum für die Thematisierung aktueller Fragen und Probleme in der Schule. Politische Bildung darf nicht das erste sein, was unter Coronabedingungen hinten runter fällt – gerade in einer solchen Situation brauchen wir politische Bildung dringender als Deutsch und Mathe.
Zugleich heben Sie auch die Bedeutung der politischen Bildung für Erwachsene hervor. Wie kann die denn konkret aussehen?
Das Selbstverständnis politischer Bildung ist es von jeher, dass sie sich an alle Menschen wendet. Wir bilden in der politischen Bildung nicht zukünftige Politiker*innen oder Greenpeace-Aktivist*innen aus – unsere Arbeit ist auf ganz normale Bürger*innen gerichtet. Leider hat das noch nie so richtig geklappt. Politische Bildung erreicht oft nur politisch Vorinteressierte. Das muss sich ändern. Die politische Bildung darf nicht auf ihrem hohen Berg sitzen bleiben und hoffen, dass die Menschen zu ihr finden, sie muss sich auf die Mühen der Ebene einlassen – um das hier mal ganz verkürzt zu sagen. Aber das ist natürlich wirklich nicht einfach. Die Coronakrise wird irgendwann einmal vorbei sein.
Was meinen Sie, hat diese Pandemie unserer Gesellschaft bereits jetzt schon nachhaltig und dauerhaft verändert?
Ja, das hat sie, aber es wird sich erst in einigen Jahren zeigen, in welcher Weise. Noch haben wir die Chance, aus dieser Sache ganz unterschiedliche Dinge zu lernen. Wir könnten lernen, eine solidarischere Gesellschaft zu werden. Es besteht aber leider auch die Gefahr, dass sich nach dem ganzen Stress jeder nur noch selbst der Nächste sein möchte. Von Sebastian Kositz
Geboren 1971 in Grünstadt (Pfalz). Studium 1991 bis 1999 an der JLU Gießen, Staatsexamen für das Lehramt an Haupt- und Realschulen in den Fächern Sozialkunde und Kunstpädagogik, Magister in den Fächern Kunstpädagogik, Politikwissenschaft und Didaktik der Gesellschaftswissenschaften. Promotion 2003 Habilitation 2009 Berufung auf die Professur für Didaktik der politischen Bildung an der Technischen Universität Dresden im April 2009. E-Learning Beauftragte der Philosophischen Fakultät seit 2011 Prodekanin der Philosophischen Fakultät 2015 bis 2017 Mitglied des Wissenschaftlichen Rates des ZLSB seit 2018. derzeit Mitglied des Senats Arbeitsschwerpunkte: Politische Bildung, Politikvermittlung, Fachdidaktische Lehr-/Lernforschung, Bedeutung von Medien im Politikunterricht