Autor Thema: VG Saarlouis vom 17.06.2020, 6 K 1147/18, Reichi zahlt für Polizeieinsatz  (Gelesen 1059 mal)

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Zur Rechtmäßigkeit der Heranziehung für Kosten für vollzugspolizeiliche Maßnahmen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.


Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu Kosten für vollzugspolizeiliche Maßnahmen.

Am 29. Oktober 2017 gegen 00:15 Uhr wurde der Kläger an seiner Wohnanschrift durch Polizeibeamte unter Anwendung unmittelbaren Zwangs in Gewahrsam genommen. Vorausgegangen war ein Anruf seines Nachbarn, wonach der Kläger betrunken sei, gegen die Tür des Nachbarn schlage und ihn beschimpfe.

Im Bericht des Polizeikommissars (PK) ... heißt es zum Einsatz vom 29. Oktober 2017, die Örtlichkeit sei nach Eingang der telefonischen Meldung durch drei Polizeibeamte aufgesucht worden. Bei ihrem Eintreffen vor Ort hätten die Beamten großen Lärm (Schreie und Gepolter) aus der Wohnung des Klägers vernommen. Zunächst sei der Nachbar, Herr ..., befragt worden, der ihnen mitgeteilt habe, der Kläger habe an seine Tür geklopft und ihn unvermittelt mit der Faust auf die linke Schulter geschlagen. Anschließend habe der Kläger versucht, ihn im Bereich des Gesichtes zu treffen; nachdem er die Tür habe schließen können, habe er, Herr ..., die Polizei gerufen. Es sei ein dauerhaftes Problem, dass der Kläger sich betrinke und ihn danach körperlich aggressiv angehe, da er als Syrer für den Kläger nichts wert sei. Im Einsatzbericht vom 29. Oktober 2017 heißt es weiter, die Beamten hätten sodann an der Wohnungstür des Klägers geklingelt, um ihn zu befragen. Ein Bekannter des Klägers habe die Tür geöffnet. Danach sei der Kläger aufgesprungen, und habe – lautstark brüllend auf die Beamten zulaufend – verlangt, dass die Polizei verschwinden solle. Er habe sich vor PK ... drohend aufgebaut und die Arme erhoben. Entgegen der Aufforderung stehenzubleiben, habe der Kläger mit der linken Hand ausgeholt und versucht, PK ... körperlich anzugreifen. Der Angriff habe unterbunden werden können, indem der Beamte den Arm des Klägers festgehalten und den Kläger gegen die Küchenzeile zurückgedrängt habe. Da der Kläger versucht habe, mit der rechten Hand zum Schlag auszuholen, habe PK ... ihn gemeinsam mit PK ... mittels des „Kopfkontrollgriffs“ zu Boden gebracht. Weil der Kläger sich weiter massiv zur Wehr gesetzt habe (vehementes Umherwinden seines Oberkörpers, Verschränken der Arme vor der Brust), sei es nur unter erheblicher Kraftanstrengung mehrerer Beamter und unter Zuhilfenahme des Einsatzstocks als Hebelwerkzeug gelungen, dem Kläger Handfesseln anzulegen. Der Kläger habe stark alkoholisiert gewirkt (gerötete Augen, verwaschene Aussprache, deutlicher Alkoholgeruch in der Atemluft); er habe sich, so der Einsatzbericht weiter, sodann tatkräftig dagegen gewehrt, zum Funkstreifenwagen verbracht zu werden, indem er sich in Rage immer wieder gegen die Beamten gestellt oder sich mit seinen Füßen von der Treppe abgedrückt habe. Der Kläger habe unter großem Kraftaufwand fast vollständig zum Fahrzeug getragen werden müssen; nur unter Mühe habe ein Sturz verhindert werden können. Auch während der Fahrt zur Dienststelle habe der Kläger zu Eigensicherung im „Kopfkontrollgriff“ gehalten werden müssen, da er seinen Kopf zuvor stoßartig in Richtung der Beamten bewegt habe. Auf der Dienststelle sei dem Kläger, der sich weiterhin sehr aggressiv und stark alkoholisiert gezeigt habe, nach staatsanwaltschaftlicher Anordnung eine Blutprobe entnommen worden. Da er keine Gewährsperson habe benennen können, die sich seiner hätte annehmen können, sei der Kläger – nach ärztlicher Untersuchung – in eine Gewahrsamszelle verbracht worden. Gegen 6 Uhr sei überprüft worden, ob der Kläger entlassen werden könne. Er habe jedoch weiterhin ein aggressives Verhalten an den Tag gelegt und habe kaum ausgenüchtert erschienen, sodass ein Richter des Bereitschaftsgerichtes die Ingewahrsamnahme des Klägers bestätigt und bis 14 Uhr angeordnet habe. Am 29. Oktober 2017 um 14 Uhr sei er sodann entlassen worden. Während der gesamten Einsatzzeit habe der Kläger die Beamten mit derben Schimpfworten beleidigt und sich selbst mehrfach als Reichsbürger bezeichnet, der den deutschen Gesetzen nicht unterliege und nicht nach deutschem Recht bestraft werden könne, weil er die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkenne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Polizeibericht vom 29. Oktober 2017 (Bl. 11 ff. der Verwaltungsakte) verwiesen.

Anlässlich der Ingewahrsamnahme wurde der Kläger am 29. Oktober 2017 um 00:55 Uhr von Amts wegen und – auf eigenes Verlangen wegen Schmerzen im rechten Unterschenkel – erneut um 02:50 Uhr auf seine Gewahrsamsfähigkeit untersucht. Die Gewahrsamsfähigkeit wurde ärztlich bescheinigt. Im (ersten) ärztlichen Untersuchungsbericht vom 29. Oktober 2017 heißt es unter anderem, der Kläger spreche „verwaschen“, verhalte sich „abweisend, herausfordernd, aggressiv, redselig“, sei „gereizt“ und stehe unter starkem Alkoholeinfluss (vgl. Bl. 17 d. Akte ...)).

Eine durch die Universität des Saarlandes, Institut für Rechtsmedizin, am ... ... durchgeführte Blutalkoholbestimmung auf Grundlage der Blutprobe vom 27. Oktober 2017 ergab eine BAK von 2,5 Promille.

Mit Schreiben vom 1. November 2017 erstattete der Kläger Strafanzeige gegen die handelnden Polizeibeamten. Er führte aus, er sei abends am 28. Oktober 2017 im Treppenhaus auf zwei Polizeibedienstete gestoßen. Als er seinen Staatsangehörigkeitsausweis habe holen wollen, habe einer der Polizisten unaufgefordert die Wohnung des Klägers betreten, ihn mit der Faust in den Rücken geschlagen und dazu aufgefordert, die „Fresse zu halten“. Er, der Kläger, sei zu Boden geworfen und gefesselt worden. Auf seinen Hinweis, die Polizisten begingen einen schweren Fehler, habe einer der Polizisten gesagt, man werde ihm, dem Kläger nicht glauben, weil er besoffen sei.

Im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft A-Stadt wegen einer Straftat zum Nachteil des Klägers (...) wiederholte der als Zeuge befragte Herr ... im Wesentlichen seine bereits zuvor abgegebene Schilderung; wegen der Einzelheiten wird auf die Vernehmungsniederschrift (...) verwiesen. Der Kläger ließ sich unter anderem dahingehend ein, er sei am 29. Oktober 2017 nur deswegen nicht bereits um 6 Uhr aus der Gewahrsamszelle entlassen worden, weil er angekündigt habe, gegen die handelnden Polizeibeamten Strafanzeige zu erstatten. Die Staatsanwaltschaft A-Stadt stellte das Ermittlungsverfahren ... im Juli 2018 nach § 170 Abs. 2 StPO ein.

Mit Bescheid vom 28. Dezember 2017 wurden gegen den Kläger für den Polizeieinsatz vom 29. Oktober 2017 Kosten in Höhe von insgesamt 175,41 Euro festgesetzt. Der Betrag umfasst 89,60 Euro für die Ingewahrsamnahme, 6 Euro für die Personenbeförderung sowie 79,81 Euro für die ärztliche Untersuchung.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und erklärte im Wesentlichen, er habe den Bescheid vom 28. Dezember 2017 als „Angebot“ erkannt, dass er anzunehmen gewillt sei, wenn eine notarielle Beglaubigung der Gründungsurkunde des Staates vorgelegt werde, der die Polizeibeamten vereidigt habe. Für die künftige „Zusammenarbeit“ mit dem Beklagten lege er seine „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ zugrunde.

Am ... erließ das Amtsgericht A-Stadt wegen des Geschehens am 29. Oktober 2017 einen Strafbefehl gegen den Kläger unter anderem wegen Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung (Az. ...); wegen der Einzelheiten wird auf den Strafbefehl verwiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2018, zugestellt am 30. Juli 2018, wies der Beklagte den Widerspruch unter Festsetzung einer Widerspruchsgebühr zurück und erhöhte die Gebührenforderung gegen den Kläger um 250 Euro (Kosten für die Anwendung unmittelbaren Zwangs). Zur Begründung heißt es, die Ingewahrsamnahme beruhe auf § 13 Abs. 1 Nr. 2 SPolG. Sie sei – wie sich am Verhalten des Klägers vor Eintreffen der Polizei, seiner Alkoholisierung sowie seinem durchgängig aggressiven und unkooperativen Verhalten gegenüber den Beamten gezeigt habe – erforderlich gewesen, um zu verhindern, dass der Kläger Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung begehe. Ein weniger einschneidendes, gleich effektives Mittel habe nicht zur Verfügung gestanden. Insbesondere habe der Kläger auf eine beruhigende Ansprache nicht reagiert. Eine richterliche Entscheidung sei zunächst nicht eingeholt worden, da davon auszugehen gewesen sei, dass der Grund für die Ingewahrsamnahme entfallen würde, bevor die Entscheidung ergangen wäre. Nachdem der Kläger jedoch um 6 Uhr nach wie vor aggressiv gewesen sei, sei die Fortdauer des Gewahrsams richterlich angeordnet worden. Auch die mehrfache Anwendung unmittelbaren Zwangs (einfache körperliche Gewalt, Handfessel, Fixierung im Streifenwagen) sei erforderlich gewesen, da der Kläger sich der Polizei widersetzt und versucht habe, die Beamten zu verletzen. Die polizeilichen Maßnahmen am 29. Oktober 2017 seien folglich rechtens. Zu niedrig sei hingegen die mit Bescheid vom 28. Dezember 2017 ausgesprochene Kostenfolge. Es sei versehentlich unterlassen worden, nach § 1 Abs. 7 SPolKV Kosten für die erfolgten Zwangsmaßnahmen zu erheben. Das nach § 1 Nr. 7 SPolKV insoweit eröffnete Ermessen werde angesichts der mehrfachen und heftigen Widerstandshandlungen des Klägers dahingehend ausgeübt, dass ein Betrag von 250 Euro festgesetzt werde.

Mit seiner Klage vom 27. August 2018 verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er bestreitet, Anlass zu einem Einschreiten der Polizei gegeben zu haben. Er sei durch Lärm im Treppenhaus auf die Polizei aufmerksam geworden. Die Polizei habe ihn dann ohne Grund geschlagen und auf dem Boden fixiert. Er habe weder randaliert, noch andere Nachbarn geschlagen. Erst recht habe er sich nicht gegen die Beamten gewehrt. Er sei dazu im Oktober 2017 wegen einer Erkrankung gar nicht in der Lage gewesen. Er sei zu 50 Prozent schwerbehindert und habe die linke Hand nicht heben können. Hierzu hat der Kläger einen physiotherapeutischen Abschlussbericht vom ... zur Akte gereicht, wonach er seit einer Operation ... von „einem deutlichen Kraftverlust der rechten oberen Extremität [... und] zweitweisen Verspannungen im Schulternackenbereich“ berichte und aktuell schmerzfrei sei. Im Befund auffällig sei die „atrophierte Muskulatur des rechten Oberarms“; die „Kraftgenerierung der rechten oberen Extremität [sei] im Seitenvergleich reduziert“. Zudem ist eine ärztliche Bescheinigung vom ... aktenkundig, aus der sich ergibt, dass der Kläger „seit einer Dekompressionsoperation im Bereich der HWS ... noch bis Ende des Jahres mit einer ausgeprägten Armhebeschwäche mit deutlicher Muskelatrophie [ärztlich] vorstellig war“ sowie ein ärztliches Attest vom ..., wonach ihm „schweres Heben mit dem rechten Arm [...] nicht zuzumuten“ ist.

Der Kläger hat in der Folge Einspruch gegen den Strafbefehl vom ... erhoben. In der Hauptverhandlung am ... sind unter anderem Herr ..., PK ... und PK ... als Zeugen vernommen worden; insofern wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen (...)). Im Fortsetzungstermin am ... ist der Einspruch verworfen worden, da der Kläger der Verhandlung unentschuldigt ferngeblieben war.

Der Kläger beantragt,

den Kostenbescheid des Beklagten vom 28.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.7.2018 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er wiederholt und vertieft die Gründe der angefochtenen Entscheidung und führt aus, das Vorbringen des Klägers zum Ablauf des Polizeieinsatzes sei als Schutzbehauptung zu werten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Akten der Staatsanwaltschaft A-Stadt ... und ... auf die wegen der weiteren Einzelheiten ergänzend verwiesen wird, sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.


Entscheidungsgründe

1. Die Entscheidung ergeht gemäß Übertragungsbeschluss der Kammer durch den Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 VwGO) und im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

2. Die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

Der angefochtene Kostenbescheid des Beklagten vom 28. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die hier streitgegenständlichen Kosten für die Ingewahrsamnahme des Klägers, für die Personenbeförderung sowie für die Anwendung unmittelbaren Zwangs sind § 90 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, § 49 Abs. 7 Saarländisches Polizeigesetz – SPolG –, § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a), § 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Erhebung von Verwaltungs- und Benutzungsgebühren im Saarland – SGebG – und § 1 Nr. 1 und Nr. 7, § 2 Nr. 1 der saarländischen Polizeikostenverordnung – SPolKV – in der zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung geltenden Fassung.

Die Umwälzung der Kosten für die ärztliche Gewahrsamfähigkeitsuntersuchung fußt auf § 2 Abs. 1 Satz 3 SGebG, § 3 Satz 3 SPolKV. Danach können besondere Auslagen, wozu nach § 3 Satz 2 SPolKV unter anderem die Beträge, die anderen Personen für ihre Tätigkeit zu zahlen sind, neben der Gebühr geltend gemacht werden.

Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Heranziehung des Klägers ist dabei zum einen die Rechtmäßigkeit der kostenauslösenden Amtshandlung und zum anderen die – ggf. auch unter Ermessensgesichtspunkten auszufüllende – Einhaltung des vorgeschriebenen Gebührenrahmens.

St. Rspr. der Kammer, u.a. Urt. v. 25.5.2018, 6 K 166/18, juris Rn. 21 und v. 24.4.2019, 6 K 1404/17, juris Rn. 26

Beide Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

a) Die kostenauslösenden Amtshandlungen gegen den Kläger waren rechtmäßig.

aa) Die Ingewahrsamnahme des Klägers ist auf der Grundlage von § 13 Abs. 1 Nr. 2 SPolG rechtmäßig erfolgt. Nach dieser Vorschrift kann die Vollzugspolizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. § 13 Abs. 1 Nr. 2 SPolG setzt i.V.m. § 8 Abs. 1 SPolG das Bestehen einer konkreten Gefahr voraus. Eine konkrete Gefahr ist eine Lage, in der bei ungehindertem Geschehensablauf ein Zustand oder Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für ein polizeirechtlich geschütztes Rechtsgut führen würde. Hinreichende Wahrscheinlichkeit verlangt dabei einerseits nicht die Gewissheit, dass der Schaden eintreten werde, andererseits genügt die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts grundsätzlich nicht zur Annahme einer Gefahr. Der Begriff der polizeilichen Gefahr enthält eine Prognose; es bedarf einer Einschätzung über einen zukünftigen Geschehensablauf, die aufgrund der im Zeitpunkt der polizeilichen Entscheidung über ein Einschreiten zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu treffen ist. Geboten ist eine objektivierende (ex-ante-)Betrachtung im Hinblick auf die Frage, ob und gegebenenfalls welche polizeilichen Maßnahmen indiziert und gerechtfertigt sein können. Erforderlich, aber auch ausreichend ist insoweit die aus einer hinreichend objektivierbaren Tatsachenbasis abgeleitete Wahrscheinlichkeit der befürchteten Rechtsgutbedrohung und die Nähe der von der Maßnahme betroffenen Person zu dieser Bedrohung, wobei die Einschreitschwelle umso niedriger liegen kann, je größer die Wahrscheinlichkeit der befürchteten Rechtsgutbedrohungen und je höher die Bedeutung der bedrohten Rechtsgüter ist. Die Gefahrenprognose muss allerdings auf erkennbaren Umständen, also Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen greifbaren Anhaltspunkten beruhen. Ein bloßer Verdacht oder bloße Vermutungen reichen nicht aus.

Vgl. hierzu OVG des Saarlandes, Urt. v. 2.7.2009, 3 A 217/08, juris Rn 78 ff. m.w.N.

Hiernach bestehen an der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme des Klägers keine durchgreifenden Bedenken. Zum Zeitpunkt des Einschreitens der Polizeivollzugsbeamten lagen objektive und konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass von Seiten des Klägers ohne dessen Sicherungsgewahrsam die Begehung weiterer Straftaten, insbesondere solcher nach § 113 Abs. 1 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) bzw. § 223 StGB (Körperverletzung) unmittelbar bevorstand.

In tatsächlicher Sicht ist das Gericht dabei davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass – was im Übrigen auch dem nunmehr rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts A-Stadt vom ... gegen den Kläger zugrunde liegt – sich der Polizeieinsatz so zugetragen hat, wie im Einsatzbericht des Polizeikommissars ... vom 29. Oktober 2017 geschildert. Der Bericht zeichnet den Einsatz in seinem Verlauf nachvollziehbar und unter Angabe zahlreicher Details sowie raumzeitlicher Verknüpfungen nach. Zudem deckt sich der Bericht im Wesentlichen mit der Schilderung, die die Polizeikommissare ... und ... in der mündlichen Verhandlung am ... in der Strafsache gegen den Kläger (AG A-Stadt, Az. ...) abgegeben haben. Insbesondere haben die Polizeibeamten in ihrer amtsgerichtlichen Vernehmung überzeugend und übereinstimmend geschildert, der alkoholisierte Kläger sei nach dem Öffnen der Wohnungstür ohne erkennbaren Anlass sofort aggressiv auf sie zugelaufen. Auf die Aufforderung, stehenzubleiben, habe der Kläger nicht reagiert; vielmehr habe er zunächst versucht, PK ... mit der linken Hand zu schlagen. Nachdem der Schlag abgewehrt worden sei, habe der Kläger versucht, mit der rechten Hand nach PK ... zu schlagen. Nach Abwehr der Schlagversuche habe der Kläger sich unter anderem durch Verschränkung der Arme vor seinem Körper dagegen gewehrt, dass man ihm Handschellen anlegt und habe nur unter erheblichem Kraftaufwand zum Einsatzfahrzeug verbracht werden können (...)). Die Einlassung der Polizeibeamten waren auch frei von erkennbarer Belastungstendenz, wie sich etwa daran zeigt, dass PK ... angegeben hat, er habe im Gerangel einen weiteren Schlag abbekommen, sei sich jedoch nicht sicher, ob der Schlag vom Kläger oder von einem seiner Kollegen gekommen sei (...)). Im Übrigen stützen auch die weiteren aktenkundigen Umstände die im Einsatzbericht vom 29. Oktober 2017 abgegebene Schilderung, insbesondere zur starken Alkoholisierung und zum aggressiven Auftreten des Klägers: So betrug der Blutalkoholgehalt des Klägers ausweislich der Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes vom ... 2,5 ‰. Auch lässt sich der detailreichen Aussage des Zeugen ..., des Nachbarn des Klägers, in der mündlichen Verhandlung vom ... ... unter anderem entnehmen, der Kläger sei am Tag des Polizeieinsatzes betrunken und sehr aggressiv gewesen und habe versucht, ihn zu schlagen, weswegen er, der Zeuge, die Polizei verständig habe. Eine – ggf. alkoholbedingt – konfliktfreudige Grundstimmung des Klägers am Tag des Polizeieinsatzes spricht schließlich auch aus dem Vermerk des untersuchenden Arztes anlässlich der Gewahrsamfähigkeitsuntersuchung des Klägers am 29. Oktober 2017, der ihn unter anderem als abweisend, herausfordernd, aggressiv, redselig und gereizt beschrieb.

Widerlegt ist damit zur Überzeugung des Gerichts die – im Übrigen auch kursorisch gebliebene – Einlassung des Klägers, er sei unvermittelt durch die Polizisten angegriffen worden und habe insbesondere auch keine Gegenwehr geleistet. Ihm kann auch nicht geglaubt werden, er sei körperlich nicht dazu imstande gewesen, sich in der geschilderten Form körperlich zur Wehr zur setzen. Zwar folgt aus den aktenkundigen ärztlichen Stellungnahmen, dass der rechte Arm des Klägers nur beschränkt belastbar war. Indes lässt sich den Unterlagen nicht entnehmen, dass es ihm unmöglich gewesen wäre, wie seitens der Polizeibeamten geschildert, den rechten Arm zu heben bzw. zum Schlag damit anzusetzen. So führt etwa der Abschlussbericht vom ... nur aus, die Muskulatur des rechten Oberarms sei atrophiert; die Kraftgenerierung sei im Seitenvergleich reduziert. In diesem Sinne führt auch das Attest vom ... (nur) aus, dem Kläger sei schweres Heben mit dem rechten Arm nicht zuzumuten. Damit sind aber auch die weiteren Ausführungen der Beamten zu renitenten Handlungen des Klägers nicht infrage gestellt, umfassen sie doch im Wesentlichen das Verschränken der Arme vor der Brust, die Weigerung, die Beamten zum Einsatzwagen zu begleiten, das Abstoßen von der Treppe während des Verbringens zum Fahrzeug sowie – strafrechtlich relevante, vgl. hierzu den Strafbefehl vom 9... – verbale Entgleisungen.

Bei dieser Sachlage drohten von Seiten des Klägers weitere Verletzungen polizeilich geschützter Rechtsgüter i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 2 SPolG. Das Verhalten des Klägers gegenüber den Polizeibeamten am 29. Oktober 2017 erfüllte, wie dem in Rechtskraft erwachsenen Strafbefehl des Amtsgerichts A-Stadt vom ... im Einzelnen zu entnehmen ist, unter anderem die Straftatbestände der Körperverletzung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. Es drohte bei ungehindertem Fortgang des zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch die weitere Begehung von Straftaten gemäß §§ 113, 223 StGB, zumal der Kläger sich während des gesamten Polizeieinsatzes in hohem Maße aggressiv verhielt, wegen seiner erkennbaren Alkoholisierung einer reduzierten Steuerungsfähigkeit unterlag und letztlich nur durch den Einsatz mehrerer Polizeibeamter festgenommen werden konnte. Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Diensthandlungen der Beamten (§ 113 Abs. 3 StGB) sind weder geltend gemacht, noch sonst ersichtlich. Auf die Frage, inwiefern zugleich eine weitere Verletzung polizeilich geschützter Rechtsgüter des Nachbarn des Klägers zu befürchten stand, kommt es damit nicht mehr streitentscheidend an.

Die Anordnung der Ingewahrsamnahme des Klägers war auch unerlässlich im Verständnis des § 13 Abs. 1 Nr. 2 SPolG, nachdem der Kläger, wie dem Einsatzbericht vom 29. Oktober 2017 zu entnehmen ist, einer ernsthaften und vernünftigen Kommunikation zugänglich war und auf eine deeskalierende Ansprache nicht reagierte.

Auch sonst begegnet die Ingewahrsamnahme des Klägers keinen rechtlichen Bedenken. Die nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SPolG grundsätzlich unverzüglich herbeizuführende richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung war hier zunächst nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SPolG entbehrlich. Danach bedarf es der richterlichen Entscheidung nicht, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde. So lag der Fall hier zunächst. Im Moment der Ingewahrsamnahme des Klägers um 00:15 Uhr war eine richterliche Entscheidung nicht zu erhalten, da der richterliche Bereitschaftsdienst im Saarland eine Erreichbarkeit eines Richters nur von 6 bis 21 Uhr gewährleistet.

Urt. d. Kammer v. 25.5.2018, 6 K 166/18, juris Rn. 54 ff.

Als sich um 6 Uhr die Fortdauer des Gewahrsams wegen anhaltender Alkoholisierung und aggressiven Verhaltens des Klägers als erforderlich darstellte, wurde ausweislich unbestrittener Angabe des Beklagten die Ingewahrsamnahme richterlich bestätigt und die Fortdauer des Gewahrsams bis 14 Uhr richterlich angeordnet. Nach Ablauf dieser Frist wurde der Kläger entlassen.

bb) Soweit nach alledem die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Einschreitens auf Grundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 2 SPolG feststeht, gilt hier nichts anderes für die damit notwendig verbundenen weiteren Maßnahmen (hier: Beförderung zur Wache, Gewahrsamsfähigkeitsuntersuchung).

Vgl. im Einzelnen: Urt. d. Kammer v. 25.5.2018, 6 K 166/18, juris Rn. 54 ff. m.w.N.; OVG des Saarlandes, Urt. v. 2.7.2009, 3 A 217/08, juris Rn. 184

Insbesondere bestand aufgrund der erkennbar erheblichen Alkoholisierung des Klägers verbunden mit damit einhergehendem Verlust der Steuerungsfähigkeit ein hinreichender Anlass für eine ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung der Unterbringung in einer Gewahrsamszelle.

cc) Rechtmäßig war schließlich der gegen den Kläger zur Anwendung gebrachte unmittelbare Zwang in Gestalt einfacher körperlicher Gewalt und Fesselung bzw. Fixierung zur Durchführung der Ingewahrsamnahme. Rechtsgrundlage war insofern §§ 49, 55 SPolG, wonach die Polizei unmittelbaren Zwang anwenden kann, wenn andere Zwangsmittel nicht in Betracht kommen, keinen Erfolg versprechen oder unzweckmäßig sind; insbesondere kann eine Person, die festgehalten wird, nach § 55 Nr. 1 SPolG gefesselt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person Widerstand leisten oder Sachen von erheblichem Wert beschädigen wird. So lag der Fall hier mit Blick auf die aufgezeigten Drohgebärden, die erhebliche Alkoholisierung und das renitente Verhalten des Klägers. Auch sind Ermessensfehler der handelnden Polizeibeamten nicht zu erkennen. Ebenso wenig bestehen an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme begründete Zweifel. Dafür, dass die Polizeibeamten in exzessiver Weise von dem Zwangsmittel Gebrauch gemacht hätten, hat der Kläger greifbare Anhaltspunkte nicht dargetan.

Es unterliegt auch keinen rechtlichen Bedenken, dass die Kosten für die Anwendung des unmittelbaren Zwangs (§ 49 Abs. 7, § 90 SPolG i.V.m. § 1 Nr. 2 SPolKV) erstmals mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2018 festgesetzt wurden. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. u.a. Urt. v. 29.8.1986, 7 C 51/84, juris

ist geklärt, dass eine reformatio in peius im Widerspruchsverfahren grundsätzlich zulässig ist. Wer einen ihn belastenden Verwaltungsakt anficht, muss grundsätzlich mit der Verschlechterung seiner Position rechnen, weil mit der Anfechtung der Verwaltungsakt nicht mehr Grundlage eines Vertrauensschutzes sein kann. Sie ist insbesondere dann zulässig, wenn die Widerspruchsbehörde ein Selbsteintrittsrecht hat oder – wie hier gemäß § 83 SPolG – die Fachaufsicht über die Behörde ausübt, die den Ausgangsbescheid erlassen hat.

Urt. d. Kammer v. 25.4.2019, 6 K 1404/17, juris Rn. 48 ff.

b) Der Kläger ist zu Recht auch als Kostenschuldner nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 SGebG i.V.m. § 4 Abs. 1 SPolG in Anspruch genommen worden. Nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 SGebG ist Kostenschuldner, wem die Amtshandlung zuzurechnen ist. Gemäß § 4 Abs. 1 SPolG ist die Maßnahme gegen die Person zu richten, die die Gefahr verursacht. Hier war in Bezug auf die (weiter) drohende Tatbestandsverwirklichung der §§ 113, 223 StGB eine konkrete Gefahr von Seiten des Klägers gegeben. Dies rechtfertigt die Heranziehung des Klägers als Kostenschuldner im Sinne der genannten Vorschriften.

c) Auch der Höhe nach ist der gegen den Kläger festgesetzte Betrag rechtens. Hierzu wird auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO), denen der Kläger nicht im Einzelnen entgegengetreten ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 461,11 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 3, § 63 Abs. 2 GKG).
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https://recht.saarland.de/bssl/document/JURE200008886
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Offline Anmaron

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Aha. Ich wusste doch, es muss auch Menschen mit zwei rechten Händen geben.

Und immer dasselbe. Widerspruch mit unentschuldigtem Fernbleiben und dann meckern.
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Merkwürdig, dass der Kläger mit einem mündlichen Verfahren einverstanden war. Die lassen doch sonst keine Bühne aus.  :scratch:
soɥdʎsıs sǝp soɥʇʎɯ ɹǝp 'snɯɐɔ ʇɹǝqlɐ –
˙uǝllǝʇsɹoʌ uǝɥɔsuǝɯ uǝɥɔılʞɔülƃ uǝuıǝ slɐ soɥdʎsıs sun uǝssüɯ ɹıʍ ˙uǝllüɟnzsnɐ zɹǝɥuǝɥɔsuǝɯ uıǝ ƃɐɯɹǝʌ lǝɟdıƃ uǝƃǝƃ ɟdɯɐʞ ɹǝp

P.S.: Cantor became famous by proving it can't be done.
 
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dtx

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...
Und immer dasselbe. Widerspruch mit unentschuldigtem Fernbleiben und dann meckern.

Einem schriftlichen Verfahren könnte höchstens der Richter fernbleiben. Da ein Richter aber auch zu Hause arbeitet und sich nicht ständig beim Discounter oder im Park aufhalten kann, wird das Verfahren kaum daran scheitern.

 
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