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«Die wirksamste Medizin ist die natürliche Heilkraft, die im Inneren eines jeden von uns liegt.» Auf dieses eine Zitat des altgriechischen Arztes Hippokrates greifen Naturheilpraktiker gerne zurück, um ihrer Tätigkeit einen Anschein von Wissenschaftlichkeit zu verleihen. Auch auf der Website von Jeannette Daghari findet sich der Satz. Daghari ist nach eigenen Angaben «Aurachirurgin», «Reinklangcoach» und «zertifizierte Hypnotiseurin». Und neuerdings ist sie Mitglied des Initiativkomitees «Stopp Impfpflicht», das die Auffassung vertritt: «Der Nutzen einer Impfung ist eine Glaubensfrage, entweder man glaubt daran oder nicht.»
Gäbe es ein Komitee, das eine solche Aussage zum Klimawandel machen würde: Es wäre zu Recht die Hölle los. Wie der Klimawandel ist der Nutzen der Schutzimpfung eine wissenschaftlich längst erwiesene Tatsache. Vakzine gehören gar zu den grössten Erfindungen der modernen Medizin. Sie bedeuteten das Ende von schrecklichen Krankheiten wie den Pocken. Für notorische Impfgegner aber ist die Corona-Krise die perfekte Gelegenheit, um ihr altes Anliegen neu aufzulegen: Sie wollen ihre wunderliche Weltanschauung in die Verfassung tragen und erreichen, dass Impfkampagnen in Zukunft viel schwieriger werden.
Ein alter Hase unter den Impfgegnern
Nicht alle Mitstreiter sind Corona-Leugner oder Verschwörungstheoretiker. Es ist aber auch keine Überraschung, dass politische Schwergewichte im Initiativkomitee fehlen. Am bekanntesten ist der Komiker Marco Rima, der seit einiger Zeit etwas Glamour an die Demos gegen die «Corona-Lüge» bringt. Sein Name soll für die Zugkraft des Volksbegehrens sorgen. Inhaltlich scheinen aber vielmehr die alten Kämpen aus dem kampagnenerprobten Kreis der Impfgegner den Takt vorzugeben.
Daniel Trappitsch beispielsweise ist schon seit Jahren dabei, wenn es irgendwo gegen Schutzimpfungen geht. Vor acht Jahren gehörte er zu den Wortführern bei den Referenden gegen das Tierseuchen- und gegen das Epidemiengesetz. Schon damals warnte der Naturheiler vor einem Impfzwang, obwohl dies das Epidemiengesetz (EpG) nicht vorsieht. 77 000 Personen unterzeichneten das EpG-Referendum, an der Urne scharte Trappitsch 40 Prozent hinter sich und seine Ansichten. Auf Trappitschs Website Netzwerk Impfentscheid sind zum Thema Corona Verschwörungstheoretiker aus halb Europa verlinkt. «Impfungen dank Chemtrail unbemerkt über die Kopfhaut?», lautet nur eine von Trappitschs kruden Schlagzeilen.
«Alternative Informationen zum Corona-Hype»
Trappitsch verbreitet auf Impfentscheid.ch «alternative Informationen und Ansichten zum ganzen Corona-Hype, welcher im Moment stattfindet». So widersinnig manche Behauptungen klingen – sie erzielen Wirkung. Beispielhaft dafür stehen die Thesen des deutschen Arztes und früheren SPD-Politikers Wolfgang Wodarg, wonach aus epidemiologischer Sicht kein Grund zu Sorge besteht. Wodargs Videos kommen in nüchterner und wissenschaftlicher Sprache daher, und sie werden hunderttausendfach verbreitet. Die Idee, wonach Panikmache betrieben wird, um die Freiheit zu beschränken, verfängt bei vielen.
Auf seinem Feldzug gegen die Schutzimpfung kann Trappitsch auf treue Mitstreiter zählen, zum Beispiel den Bündner Homöopathen Manuel Padrutt, der schon beim EpG-Referendum mit im Boot war. Der beste Schutz sei nicht eine Impfung, sondern ein intaktes Immunsystem, sagt Padrutt auf seiner Website – auch wenn er den Preis für seine Methode erstaunlich offen beziffert: «Dieser Weg führt uns auch in die Sterblichkeit, der aber doch um einiges gesünder für die Menschheit ist, körperlich, seelisch, geistig wie auch spirituell.»
Ein bunter Strauss an Initiativen
Auch Yvette Estermann, Luzerner SVP-Nationalrätin, kann mit solchen Ideen offenbar unbesorgt leben – sie kämpft mit Padrutt und Trappitsch wie schon bei früheren Kampagnen an vorderster Front für die Stopp-Impfpflicht-Initiative. Estermann hat ihre medizinische Ausbildung in der Slowakei gemacht. 2012 wurde ihr untersagt, sich als Dr. med. zu bezeichnen, weil ihr dazu der nötige Abschluss fehle. Estermann ist mit Richard Koller bekannt, dem eigentlichen Kopf der Stopp-Impfpflicht-Initiative. Koller war Sekretär der Luzerner SVP, bis ihn seine Partei 2017 im Streit um eine Volksinitiative entliess.
Koller warnt vor der Übermacht des Staates. Er bezeichnet Corona als leichte Grippe und sieht sich nicht als Impfgegner. Er meint aber, dass Eltern, die ihr Kind nicht impfen lassen wollen, mit dem Eingreifen der Kesb rechnen müssen – eine These, für die es keinerlei Anhaltspunkte gibt. Kollers Freiheitliche Bewegung Schweiz (FBS) hat unterschiedliche Initiativen im Köcher, unter anderem für eine «bedingungslose Nahrungs-Grundversorgung». Die FBS mischt zudem bei einer 5G-Antennen-Volksinitiative mit, ein Thema, das auch andere Initianten umtreibt: So tingelt Albert Gort aus Titterten seit zwei Jahrzehnten in Sachen Elektrosmog durch die Schweiz. Und mit Charly Pache zieht ein weiterer 5G-Initiant mit am Strick.
Sophie Scholl wird instrumentalisiert
Der bunte Themen- und Thesenmix widerspiegelt die bedenkliche Mischung aus Widerspruch und Unfug in der Impfskeptiker-Szene. So betreibt die Mitinitiantin Annemarie Heisler mit ihrem Mann, dem Arzt Andreas Heisler, nicht nur eine Praxis in Ebikon, sondern auch die Website «Widerstand2020» samt Telegram-Kanal. Auf einer der Widerstand2020-Seiten schreckt man selbst vor der Instrumentalisierung von Sophie Scholl nicht zurück – der ermordeten Widerstandskämpferin gegen das Nazi-Regime.
In der Covid-Skeptiker-Szene stolpert man oft über den Namen Heisler. So soll Andreas Heisler gemäss verschiedenen Medienberichten wegen unbegründeter Masken-Dispense ins Visier der Behörden gekommen sein. Heisler tritt an Corona-Demos auf, zusammen mit Trappitsch, Koller oder dem bekannten Impfgegner und Zürcher Kantonsrat Urs Hans. Hans ist im Sommer von seiner Partei, den Grünen, wegen unsinniger Thesen aus der Partei ausgeschlossen worden. Er gehört dem Komitee allerdings nicht an.
Beruflich arbeitet Heisler mit dem Männer- und Potenzial-Coach Paul «Pablo» Hess zusammen, der sich während der Corona-Krise mit einer Corona-Petition sowie offenen Briefen an Sommaruga hervortat und sich nun ebenfalls im Impf-Initiativkomitee befindet. Und auch Verbindungen zu den Gegnern des Covid-19-Gesetzes bestehen. Im Initiativkomitee sitzt Marion Russek, Co-Präsident des Vereins «Freunde der Verfassung», der gegen das angebliche «Ermächtigungsgesetz» das Referendum ergriffen hat. Die Querverbindungen sind nicht erstaunlich: Auch für Gegner dieses Gesetzes stellt die mögliche Angst vor der Impfung einen der zugkräftigsten Aspekte dar. Das Netzwerk wächst.