Absurder Vergleich
Flugblätter gegen Maskenpflicht: Weiße Rose Stiftung spricht von „Missbrauch“ von Sophie-Scholl-Zitaten
Andreas SeilervonAndreas Seiler
Es ist ein merkwürdiges Verständnis von Freiheit, das manche Gesichtsschutz- und Corona-Gegner pflegen. Denn in Flugblättern – zwei wurden im Staffelseeraum verteilt – stellen sie gerne eine Verbindung zu den NS-Widerstandskämpfern um die Geschwister Scholl her.
Landkreis – Die Region um Murnau gilt als Hochburg der Corona-Gegner und -Skeptiker: Mehrmals fanden dort schon Demonstrationen statt – mit einer Mischung aus Wutbürgern, Impf- und 5G-Gegnern, Verschwörungstheoretikern und Reichsbürgern. Und es wurden Flugblätter verteilt, in denen die anonymen Verfasser etwa gegen die Maskenpflicht in Geschäften zu Felde zogen.
Das Verstörende dabei: Gleich mehrmals waren darauf Zitate von Sophie Scholl abgedruckt – offenbar um die eigene Protestaktion zu untermauern. Die bekannte Studentin gehörte wie ihr Bruder Hans in Hitler-Deutschland der Widerstandsgruppe Weiße Rose an – und bezahlte dies mit ihrem Leben. Auf den Corona-Flyern war beispielsweise eine ihrer bekanntesten Aussagen zu lesen: „Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen.“
Wir missbilligen das.
Dr. Hildegard Kronawitter
Bei der Weiße Rose Stiftung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu erinnern und Zivilcourage, individuelle Verantwortung sowie demokratisches Bewusstsein zu fördern, verfolgt man diesen „Trend“ sehr genau – und verurteilt die Verwendung der Sophie-Scholl-Zitate in diesem Zusammenhang aufs Schärfste. Die Vereinsvorsitzende und ehrenamtliche Geschäftsführerin Dr. Hildegard Kronawitter spricht auf Tagblatt-Nachfrage von einem „Missbrauch“. Der Bezug zur Weißen Rose sei unhaltbar falsch. „Wir missbilligen das.“
Die aufgetauchten Schriftstücke sind offenbar keine Einzelfälle. „Solche Flugblätter kursieren in ganz Deutschland. Wir haben etliche zugeschickt bekommen“, berichtet Kronawitter. Allerdings habe man nicht feststellen können, wer dahinter steckt. Das Strickmuster sei jedoch immer das Gleiche: Es handle sich um einen „krampfhaften Versuch“, eine Verbindung zur Weißen Rose herzustellen, Aufmerksamkeit und eine Legitimation für das eigene Handeln zu erzielen, analysiert Kronawitter, die mit dem langjährigen, 2016 verstorbenen Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter verheiratet war.
Juristisch gegen Flugblätter vorzugehen, ist nicht möglich
Dabei ist nach Ansicht der Sozialdemokratin dieser Vergleich absurd: Denn die Geschwister Scholl und ihre Mitstreiter, zu denen auch der in Murnau geborene Christoph Probst gehörte, lehnten sich, wie sie ausdrücklich betont, gegen eine Diktatur auf, die keinerlei Meinungsvielfalt zuließ und Andersdenkende brutal verfolgte. Dagegen garantiere heute der Rechtsstaat die freie Meinungsäußerung und das Demonstrationsrecht.
Juristisch gegen die Pamphlete vorzugehen, sei allerdings nicht möglich, sagt Kronawitter. „Wir können die Verwendung dieser Zitate nur öffentlich verurteilen.“ Sie ist sich sicher: „Die Menschen können das einordnen.“
Sieht sie einen Bezug zur rechten Szene? Eine Vermutung, die in Murnau angestellt wurde. „Ich kann das nicht beurteilen“, erklärt Kronawitter. Aber es sei bekannt, dass die Corona-Demos von rechten „Trittbrettfahrern“ genutzt und auf deren demokratiefeindliche Ziele umgelenkt werden.