Hier noch zwei Berichte zur "Anti-Corona-Demo" in Italien. Man hatte wohl den "Spitzenpolitiker" Voigt erwartet, der ist aber nicht aufgetaucht.
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Aus: Ausgabe vom 07.09.2020, Seite 7 / Ausland
Italien
An Berlin angeknüpft
Anticoronademonstration in Rom »solidarisiert« sich mit deutschem Auflauf. Einfluss des faschistischen Lega-Chefs schwindet
Von Gerhard Feldbauer
In der italienischen Hauptstadt Rom haben am Sonnabend rund 2.000 Personen gegen die Pandemiemaßnahmen der Regierung und die »Gesundheitsdiktatur« protestiert und ein Ende der »Fake News zu Covid« und ein »freies Italien« gefordert. Darunter Faschisten, Masken- und Impfgegner, Fußballultras, aber auch Taxifahrer, Hotelbesitzer und Geschäftsleute, wie die italienische Nachrichtenagentur ANSA berichtete. Teilnehmende Eltern nannten Schutzmaßnahmen wie die Maskenpflicht in Schulen »kriminell« und verlangten, die Kinder müssten vor Impfungen bewahrt werden.
Auf Plakaten mit Aufschriften wie »Italien ist mit Berlin« und in Reden solidarisierten sich die Teilnehmer mit den Aktionen der Neofaschisten bei den Anticoronaprotesten vor einer Woche in Berlin. Angekündigt war auch die Teilnahme des wegen »Verherrlichung des Nationalsozialismus« und Volksverhetzung verurteilten deutschen NPD-Politikers Udo Voigt, über dessen Verbleib jedoch nichts bekannt wurde.
Zu der Veranstaltung auf der Piazza del Popolo hatte mit Unterstützung von Lega-Führer Matteo Salvini die faschistische Forza Nuova, bekannt als ihr Sturmtrupp, aufgerufen. Zu den Organisatoren gehörte Vittorio Sgarbi, ein früherer EU-Parlamentarier und Staatssekretär der Regierung von Silvio Berlusconi. Der jetzige Bürgermeister der Ortschaft Sutri in der Provinz Viterbo hatte schon früher verbreitet, dass das Virus »seit dem 31. Mai klinisch inexistent« sei. Zu den Kritikern des »Alarmismus« der Regierung gehört auch der Professor für Anästhesie und Intensivmedizin des renommierten privaten Sankt-Raffael-Krankenhaus in Mailand, Alberto Zangrillo. Er ist seit Jahrzehnten Leibarzt von Expremier Berlusconi, der heute Chef der faschistischen Forza Italia (FI) ist.
Zum obskuren Hintergrund dieser Kampagne gehört, dass in diese Klinik einen Tag vor der Demo in Rom Berlusconi mit einer Lungenentzündung, die als Covid-19 diagnostiziert wurde, eingeliefert worden war. Bereits wenige Stunden später meldete Rai TV, dass der 83jährige fieberfrei sei, die Nacht ohne Probleme verbracht habe und nach Hause in Quarantäne entlassen worden sei. Noch am 25. August war Berlusconi nach der Rückkehr aus einem Urlaub auf Sardinien negativ getestet worden.
Der politische Hintergrund ist indessen, dass die Coronapandemie den Masseneinfluss von Lega-Chef Salvini eingeschränkt hat. Seit der Verhängung von Coronaschutzmaßnahmen fehlt ihm das »Bad in der Menge«, in Meinungsumfragen sind seine Zustimmungswerte von bis zu 38 Prozent im August 2019 auf zuletzt 24 Prozent gesunken. Und so versucht er, den zunehmenden Unmut über Maskenpflicht, Versammlungsverbote und Lockdown zu nutzen, nennt die täglichen Bulletins über die Ansteckungen »medialen Terrorismus« und fordert »Gedankenfreiheit«. Das Virus sei »nur ein Hirngespinst«, und deshalb werde er »von nun an ohne Maske in den Senat gehen«, zitierte ihn das Onlineportal »Aus Sorge um Italien« am vergangenen Freitag.
Entgegen diesen Verharmlosungen gab es laut ANSA nach Behördenangaben am Freitag mit 1.695 Neuinfektionen den höchsten Anstieg seit Anfang Mai, 16 neue Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus waren zu beklagen. Insgesamt haben sich in Italien nach offiziellen Angaben bislang rund 276.000 Menschen infiziert, und es gab mehr als 35.500 Todesfälle in Verbindung mit Covid-19
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https://www.jungewelt.de/artikel/385832.an-berlin-angekn%C3%BCpft.htmlSpoiler
Coronavirus
Silvio Berlusconi und Italiens Covid-19-Skeptiker
In Rom haben 1.500 sogenannte Corona-Gegner protestiert. Aber Italien bangt um Berlusconi – dessen Infektion Verschwörungstheoretiker Lügen straft
Dominik Straub aus Rom
6. September 2020, 15:39
Es war eine überschaubare Menge, die sich am Samstag auf der Piazza vor der Bocca della Verità in Rom zu einer Kundgebung gegen die "Gesundheitsdiktatur" der Regierung Giuseppe Conte eingefunden hat. Die Überschaubarkeit lag auch daran, dass die Teilnehmer – fast alle ohne Gesichtsmaske – demonstrativ eng zusammenrückten, um zu zeigen, dass sie die Berichte über die Ansteckungsgefahr für ein Märchen oder zumindest für maßlos übertrieben halten. Die Organisatoren hatten auf 5.000 Teilnehmer gehofft; die Polizei sprach schließlich von 1.500.
Verschwörungstheorien
Die Thesen der italienischen "complottisti" und "negazionisti" sind mehr oder weniger identisch mit jenen der "Corona-Gegner" in Österreich: Die Epidemie diene der Regierung, die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger einzuschränken, das Virus sei von "Big Pharma", George Soros und der WHO in die Welt gesetzt worden, um damit Geschäfte zu machen.
Im Rahmen der angeblich angekündigten Zwangsimpfungen werde den Bürgern statt Impfstoff Abwasser gespritzt beziehungsweise ein Mikrochip eingesetzt, mit dem die Opfer überwacht und ferngesteuert werden könnten.
Und wie im Ausland ziehen bei den Covid-19-Protesten auch in Italien rechtsextreme Gruppierungen im Hintergrund die Fäden: Zu den Organisatoren in Rom zählte die neofaschistische Partei Forza Nuova.
Viele Opfer
Dass die Proteste in Italien kaum Zulauf haben, liegt zum einen daran, dass das Land mit mehr als 35.000 Toten schwer von der Corona-Epidemie getroffen wurde. Der Schock ist in weiten Bevölkerungsteilen noch sehr präsent; die von der Regierung verordneten Restriktionen werden von der überwiegenden Mehrheit der Italiener nicht nur gutgeheißen, sondern auch weitgehend mit beachtlicher Disziplin befolgt.
Vertreter der großen Parteien warfen den Organisatoren am Wochenende vor, auf Kosten der Alten, Kranken und Verwundbaren ihr politisches Süppchen zu kochen. "Die Demonstration erfüllt mich mit Schaudern", kommentierte etwa Gesundheitsminister Roberto Speranza.
Infektion Berlusconis
Den entscheidenden Schlag versetzt hat den rechtslastigen Skeptikern, Leugnern und Verschwörungstheoretikern aber nicht der empörte Chor von Ministern, Experten und politischen Kommentatoren, sondern ausgerechnet Silvio Berlusconi: Der vierfache ehemalige Ministerpräsident, TV-Tycoon und Multimillionär ist seit einer Woche an Covid-19 erkrankt und wird im Mailänder San-Raffaele-Krankenhaus in einer Suite mit neun Zimmern und 300 Quadratmetern behandelt.
Bei Berlusconi wurde eine beidseitige Lungenentzündung diagnostiziert. Der Patient sei ruhig und spreche gut auf die Medikamente an, erklärte am Sonntag Berlusconis Leibarzt, Professor Alberto Zangrillo. "Doch er befindet sich noch immer in einer heiklen Phase", betonte er.
Mit seinen knapp 84 Jahren ist der Cavaliere ein Risikopatient – außerdem leidet Berlusconi an Vorerkrankungen. Unter anderem wurde ihm vor vier Jahren bei einer Operation am offenen Herzen eine künstliche Herzklappe implantiert. Fast ganz Italien nimmt Anteil: Die Nachrichtensendungen werden seit Tagen mit den Neuigkeiten über Berlusconis Gesundheitszustand aufgemacht – nicht nur auf seinen eigenen Mediaset-Kanälen, sondern auch im Staatssender Rai. Die Demonstration der Corona-Gegner war in den Medien dagegen nur eine Randnotiz.
Unterstützung für Conte
Obwohl Berlusconi mit seiner Partei Forza Italia in der Opposition sitzt, hat er die Restriktionen der Regierung Conte immer unterstützt, selbst während des langen und harten Lockdowns. Der Ex-Premier hat auch immer wieder Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega kritisiert, der wie die Neofaschisten aus der Krise politisches Kapital schlagen wollte und demonstrativ gegen die Maskenpflicht verstieß. (Dominik Straub aus Rom, 6.9.2020)
https://www.derstandard.de/story/2000119819216/silvio-berlusconi-und-italiens-covid-19-skeptiker