Nun ja. Wenn die Regierung nach den "ganz privaten" Äußerungen des Wissenschaftlers handelt und Grundrechte einschränkt, könnte das schon hinhauen.
Nur mit - äääähhh – „Einschränkungen“: Dazu ist leider wieder etwas weiter auszuholen:
1. Entscheidungen auf politischer Ebene sind meistens Prognoseentscheidungen. Man trifft eine Entscheidung in der Annahme, dass bestimmte Effekte in Zukunft eintreten werden. Dazu kann man sich vielfach auf Erfahrungen stützen. Trotzdem kann es sein, dass die Prognose sich hinterher als falsch herausstellt. Dann wird über die Unfähigkeit der Politiker/innen gemeckert. Ich halte es da mit E. Kästner: Prognosen sind halt schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.
2. In der derzeitigen Situation fehlt es an belastbaren Erfahrungen. Hier lassen sich die Verantwortlichen sachverständig beraten, um Prognoseentscheidungen treffen zu können. Hierzu kann Drosten als Virologe – nicht Epidemiologe – etwas beitragen, indem er etwa erklärt, welche Situationen „nach dem gegenwärtigen Stand des Irrtums“ (gängige Definition von Wissenschaft, Urheber leider unbekannt) besonders gefährlich sind (Massenaufläufe), wann man andere anstecken kann (offenbar ca. 4 Tage vor und nach den ersten Symptomen), ob sich Kinder infizieren können (wohl eher ja) und ob sie andere anstecken können (offenbar unklar, ob verminderte Infektiosität) und wie der natürliche R-Wert ist (3-4) etc.
Auf dieser Grundlage muss dann über Maßnahmen entschieden werden. Dabei sind andere Aspekte mit einzubeziehen (Belastungen der „Wirtschaft“ – dabei geht es nicht primär um Boni und Dividenden, sondern Vernichtung von Existenzen und am Ende sogar die Vermeidung von Hungersnöten) und Ziele zu priorisieren.
3. Aus grundrechtlicher Perspektive ist zu unterscheiden zwischen der Beeinträchtigung von Freiheit(en), wie sie derzeit stattfindet, und der Verletzung von Grundrechten. Freiheit wird alle Tage beeinträchtigt, ohne dass dies Grundrecht verletzt; auch das Verbot, mit einem Ferrari mit 200 km/h durch eine Fußgängerzone zu kacheln, beeinträchtigt Freiheit. Erst wenn der Freiheitsverlust nicht gerechtfertigt werden kann, wird das Grundrecht "verletzt", so dass es vor der Beeinträchtigung schützt. In den anderen Fällen ist ein Grundrecht zwar Prüfungsmaßstab, steht der Maßnahme aber nicht entgegen. Wer etwa seine Zweitwohnung nicht aufsuchen kann, muss sich sagen lassen, dass die „Freizügigkeit“ (Art. 11 GG, mit dem entsprechenden Adjektiv besteht kein Zusammenhang) bei „Seuchengefahr“ eingeschränkt werden kann.
4. Das Problem bilden auch hier Prognosen. Ein Beispiel: Das VG Hamburg hat die 800 qm-Regel gekippt, weil es (mE zu Recht) für eine unbelegte Mutmaßung hält, dass weniger Leute ein Einkaufszentrum aufsuchen, wenn die Fläche begrenzt wird, sich aber zugleich die Leute dann auf engerem Raum tummeln. Es kann sein, dass das „Wir halten alles“-OVG in Hamburg auch dies wieder anders sehen wird.
5. Mit Blick auf Covid-19 ist derzeit das Problem, inwieweit man jetzt (!) freiheitseinschränkende Maßnahmen ergreifen sollte, um die „zweite Welle“ zu verhindern oder abzumildern. Für eine solche Risikoabschätzung auf Grundlage der aktuellen Irrtumslage bei Virologen und Epidemiologen hält das Gefahrenabwehrrecht seit langem anerkannte Maßstäbe bereit. Über das Ergebnis sei nicht spekuliert (dazu fehlen mir derzeit auch hinreichende Informationen). Auch hier gilt aber: Entweder werden Grundrechte zulässigerweise eingeschränkt – dann sind Grundrechte nicht verletzt und schützen nicht. Oder die Maßnahme ist unverhältnismäßig – dann wird rechtswidrig in das „Grundrecht“ eingegriffen.
6. Ergebnis:
a) Ein Fachwissenschaftler macht Voraussagen über potentielle Entwicklungen. Was bitte will man ihm vorwerfen, wenn diese Angaben dem Stand der Erkenntnis / des Irrtums entsprechen?
b) Auf dieser Grundlage entscheiden Verantwortliche unter Einbeziehug weiterer Aspekte. Das ist dem Fachwissenschaftler schon nicht zuzurechnen.
c) Verletzt die Entscheidung Grundrechte, schützen diese vor der Beeinträchtigung. Ist das nicht der Fall, gibt es keinen Grund, sich aus grundrechtlicher Sicht zu beschweren.
Wals also will der Berliner Advokat eigentlich sagen? Bahnert er nur rum oder will er der bessere Virologe sein?