Autor Thema: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt  (Gelesen 18437 mal)

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dtx

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Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« am: 16. Oktober 2019, 15:26:51 »
Zitat
Nach bald 75 Jahren: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
 
Vor dem Landgericht Hamburg muss sich in dieser Woche der 93-jährige Bruno D. verantworten. In den letzten Monaten des »Dritten Reiches«, vom Sommer 1944 bis zum Frühjahr 1945, war Bruno D. Wachmann im Konzentrationslager Stutthof. Er habe als SS-Schütze dabei geholfen, das Vernichtungslager am Laufen zu halten – so lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Zu seinen Aufgaben gehörte es, die Flucht von Häftlingen, Befreiungsversuche, Revolten oder das Hineinschmuggeln von Lebensmitteln zu verhindern.

Seit Kriegsende lebte Bruno D. als unbescholtener Bürger in Hamburg; die Ermittlungen gegen ihn haben im Herbst 2016 begonnen. Von Donnerstag an kommt der Greis vor eine Jugendschwurgerichtskammer, weil er zur Tatzeit erst 17 und 18 Jahre alt war. Da der Angeklagte gesundheitlich angeschlagen ist, soll jeder Verhandlungstag maximal zwei Stunden dauern. Bruno D. hat gegenüber den Ermittlern bereits eingeräumt, zur Wachmannschaft in Stutthof gehört zu haben. Es könnte der letzte Prozess gegen einen NS-Täter überhaupt werden, da die Beschuldigten immer älter werden oder längst tot sind.

Quelle: "Die Zeit" Elbvertiefung Hamburg
 
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #1 am: 22. Oktober 2019, 10:17:01 »
Ein neuer Artikel bei Zeitonline zum Prozess

https://www.zeit.de/hamburg/2019-10/ns-prozess-kz-wachmann-bruno-d-hamburg

Zitat
Aber Bruno D. will sich erklären, er will berichten über seine Zeit als Wachmann im KZ. Allerdings scheint sich durch sein Statement und seine Antworten eine große Skepsis zu ziehen – ganz so, als verstehe der Angeklagte gar nicht, warum er sich hier, im Saal 300 des Strafjustizgebäudes, für seinen Dienst in Stutthof rechtfertigen müsse. Immer wieder klingt Selbstmitleid durch. So habe er sich sein Alter nicht vorgestellt, sagt Bruno D., durch den Prozess werde sein Lebensabend zerstört.

Zitat
In Stutthof sei er nicht freiwillig gewesen. Gleich nach dem Erhalt des Einsatzbefehls zum KZ habe er versucht, sich versetzen zu lassen, in eine Bäckerei oder Küche der Wehrmacht.

Klar, Bäcker waren 1944 das, was die Wehrmacht am meisten benötigte. Sich an die Front versetzen zu lassen ist ihm offensichtlich nicht eingefallen. Logisch, Rotarmisten und G.I.s pflegten zurückzuschiessen, KZ-Häftlinge taten das eher selten.
Anscheinend damals ein Drückeberger und Feigling, der den Wachdienst im KZ der Front vorzog.
Er HAT einen Lebensabend, ganz im Gegensatz zu seinen Altersgenossen, die an die Front gingen und dort, gerade ab Juni 1944, zu Tausenden fielen.

Er traf eine Entscheidung, nämlich sich nicht für die Front zu melden.

Jetzt kommt halt die Quittung.
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #2 am: 22. Oktober 2019, 10:24:24 »
Er traf eine Entscheidung, nämlich sich nicht für die Front zu melden.


Im Gegenteil scheint es so gewesen zu sein, daß er von der Wehrmacht zur SS kam und dann ins Vernichtungslager Stutthof (warum auch die ZEIT verharmlosend von einem KZ spricht, ist mir nicht klar)..

Die als Gutachter täten Historiker werden darlegen, was sie dazu herausgefunden haben, die Stammkarten der SS sind ja oft erhalten. Zur SS ging man freiwillig.

Man wird derzeit vorsichtig folgern dürfen, er habe ein gefährliches Leben an der Front mit einem ruhigen im Hinterland vertauschen wollen.

Die Feststellung, er habe überwiegend Mitleid mit sich selbst, dürfte wohl zutreffen.
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #3 am: 22. Oktober 2019, 10:27:54 »
Zur SS ging man freiwillig.

Nach Juli 1944 ( Übernahme des Ersatzheeres durch die SS, bzw. Obergruppenführer Jüttner, genau ab 21. Juli 1944) nicht mehr unbedingt. Auch vorher gabe es Unterschiede. "Volksdeutsche" sind häufig freiwillig gegangen worden. Noch anders sieht es bei den estnischen SS-Divisionen aus.
gut, beides trifft auf ihn nicht zu. 

Das er nicht an Front wollte, kann ich nach den Ereignissen zwischen Juni und August 1944 gut nachvollziehen.

Das er jetzt rumjammert, nicht.
« Letzte Änderung: 22. Oktober 2019, 10:49:52 von mork77 »
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #4 am: 22. Oktober 2019, 10:36:12 »
Das er nicht an Front wollte, kann ich nach den Ereignissen zwischen Juni und August 1944 gut nachvollziehen.

Selbstverständlich!

Aber dann steht man doch als echter arischer Deutscher dazu? Und jammert nicht rum wie ein Mädchen?
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #5 am: 22. Oktober 2019, 10:36:53 »

Im Gegenteil scheint es so gewesen zu sein, daß er von der Wehrmacht zur SS kam und dann ins Vernichtungslager Stutthof (warum auch die ZEIT verharmlosend von einem KZ spricht, ist mir nicht klar)..

Die als Gutachter täten Historiker werden darlegen, was sie dazu herausgefunden haben, die Stammkarten der SS sind ja oft erhalten. Zur SS ging man freiwillig.

Man wird derzeit vorsichtig folgern dürfen, er habe ein gefährliches Leben an der Front mit einem ruhigen im Hinterland vertauschen wollen.

Die Feststellung, er habe überwiegend Mitleid mit sich selbst, dürfte wohl zutreffen.

Jein, ab Ende 43/Anfang 44 wurde auch direkt eingezogen zur SS
https://www.mdr.de/zeitreise/ns-zeit/waffen-ss-100_page-1_zc-43c28d56.html

Historiker sprechen im allgemeinen von Vernichtungslagern für die Lager in Polen, die von vornherein dafür konzipiert waren, wie zum Beispiel Auschwitz.
Die Zeit verharmlost hier nicht, sondern bedient sich der allgemeinen Nennung.
An Rüdiger Hoffmann: Der Faschist sagt immer, da ist der Faschist  (in Anlehnung an die Signatur des geschätzten MitAgenten Schnabelgroß)

Wir kamen
Wir sahen
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #6 am: 22. Oktober 2019, 10:48:22 »
Zitat
Die israelische Historikerin Leni Yahil und die Zentrale Stelle Ludwigsburg stufen das Lager wegen organisierter Massentötungen von Juden für die Zeit von Juli 1944 bis zur Befreiung Anfang Mai 1945 als Vernichtungslager ein.[4] Rund 5000 Menschen starben laut Anklage von Oktober 1944 an im sogenannten Judenlager, in dem völlig entkräftete Gefangene zu Schwerstarbeit gezwungen wurden.[5] Viele wurden Opfer einer Typhusepidemie, die infolge der vorsätzlich katastrophalen Lebensbedingungen und der verweigerten medizinischen Hilfe auftrat.

https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Stutthof

Der Angeklagte kam im August 1944 nach Stutthoff und blieb wohl bis zum Ende. Deckungsgleich mit dem oben angegebenen Zeitraum.

Interessant wäre es zu erfahren, was denn der Angeklagte im Zeitraum nach der befohlenen Evakuierung des Lagers gemacht hat.

Zitat
Am 25. Januar 1945 ordnete der Lagerkommandant die Evakuierung des Lagers an. Etwa 11.600 Häftlinge mussten im ersten Evakuierungsabschnitt das Stammlager Stutthof verlassen und begaben sich auf einen Todesmarsch in Richtung Westen. Danach waren immer noch insgesamt 33.948 Menschen inhaftiert, 11.863 davon in Stutthof und 22.085 in den Außenlagern.

Nach Berichten wurden Marschkolonnen von je 1000 bis 1500 Häftlingen gebildet, die durch die kaschubische Schweiz Richtung Lauenburg marschierten. Zwischen den Kolonnen lagen jeweils sieben Kilometer Abstand. Jede Kolonne wurde von ca. 40 Wachmännern beaufsichtigt. Zurückbleibende wurden von ihnen getötet. Fast ohne Verpflegung dauerte der Marsch für die Überlebenden bei Schnee und schneidender Kälte zehn Tage statt sieben Tage lang. Am 31. Januar wurden beim  Massaker von Palmnicken rund 3000 jüdische Häftlinge von der SS mit Maschinengewehrfeuer in die Ostsee gehetzt oder erschossen, andere im Hof der Bernsteinfabrik erschossen. Es sollen nur 15 Menschen dieses Massaker überlebt haben
« Letzte Änderung: 22. Oktober 2019, 10:53:46 von mork77 »
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #7 am: 22. Oktober 2019, 11:58:11 »
Die Welt hat heute auch einen Artikel zum Prozess:

Zitat
Ein ehemaliger SS-Wachmann beschwert sich

Als Bruno D. am Montagvormittag um kurz nach elf Uhr sagt, dass er eine selbst verfasste Erklärung abgeben will, verstummt jedes Gespräch und bricht jedes Tastaturklappern der anwesenden Journalisten jäh ab. Jeder hier im Saal 300 möchte anhören, was der 93-jährige Angeklagte nun zu sagen hat, ob er etwas zu seiner Tätigkeit bei der SS im Konzentrationslager Stutthof erzählen wird und wie er dies heute sieht.

Die Erwartungshaltung unter den Prozessteilnehmern scheint beinahe physisch greifbar zu sein. Es ist eine der letzten Möglichkeiten, einen lebenden Zeugen zu hören, der zu den Helfern des Holocaust gehört hatte. Er war dabei, als Tausende starben, und er stand auf der falschen Seite: auf dem Wachtturm, in einer SS-Uniform und mit einem Gewehr in der Hand. Zu seinen Füßen krepierten die Unschuldigen.

„Es ist mir ein großes Bedürfnis, den Opfern zu sagen, wie leid es mir tut, welches Leid man den Menschen im KZ angetan hat“, sagt Bruno D. mit fester Stimme. Er habe seinen Wehrdienst an einem „Ort des Grauens“ ableisten müssen und sich nicht freiwillig zur SS gemeldet, fügt er hinzu. „Die Bilder des Schreckens haben mich mein ganzes Leben lang verfolgt“, so Bruno D. Er habe keine Möglichkeit gehabt, zu helfen, und habe nicht ein einziges Mal von seiner Waffe Gebrauch gemacht.

War das jetzt angemessen? Oder hätte man mehr erwarten können? Es ist jedenfalls ein Anfang, der Angeklagte nimmt Stellung und will berichten, was er wahrgenommen hat. Richterin Anne Meier-Göring nimmt seine Worte auf und fragt nach. „Wie sind Sie denn mit diesen Bildern umgegangen?“, will sie wissen.

„Ich habe versucht, nach dem Krieg alles zu verdrängen, ich konnte niemandem etwas sagen. Ich musste selbst zusehen, dass ich durchkam, und ich habe es geschafft.“

„Ihr Leben war nicht vorbei. Sie haben eine Familie begründet“, entgegnet die Richterin. „Welche Erinnerungen haben Sie?“

„Ich habe viele Leichen gesehen. Die Häftlinge haben sie aus den Baracken herausgezogen und auf einen Haufen abgelegt. Das war alles sehr grausam. Die Körper waren total nackt. Mitgefangene haben die herausgetragen, Leute in gestreiften Anzügen. Die Körper waren ausgemergelt, verhungert, durch Krankheit geschwächt. Sie taten mir furchtbar leid.“

„Was haben Sie denn da gedacht oder gefühlt, als Sie das gesehen haben?“, fragt Meier-Göring.

„Es war grausam, dass man das gesehen hat“, antwortet Bruno D. Die nackten, ausgemergelten Leichen seien eines der Bilder, das einen immer wieder verfolgte. „Ich war froh, dass ich Ruhe hatte, und jetzt wird alles wieder aufgewühlt, was ich nicht erinnern wollte“, beklagt er sich. „Mein Lebensabend wird zerstört. So habe ich mir das nicht vorgestellt“, sagt er. Es sind heute keine Überlebenden im Saal, die hören könnten, wie sich ein ehemaliger SS-Wachmann über die Pflicht zur Erinnerung beschwert – während die Gefangenen ihre Verwandten sterben sahen. Also ist es an Meier-Göring, die eigentlich Jugendrichterin ist, den Angeklagten auf die Verhältnisse in Stutthof hinzuweisen. „Die Leute im Lager haben das auch miterlebt und müssen das wieder und wieder erleben. Die Vergangenheit muss wachgehalten werden. Können Sie das verstehen?“

Bruno D. schüttelt den Kopf. „Es ist schon so viel drüber gesprochen worden... “

Es ist unklar, wen er nun meint, denn Bruno D. sprach nach seinen Angaben eben nicht mit seiner Familie über seine Zeit als SS-Wachmann im KZ – warum auch immer. Das Wissen um das Leid der Menschen, das schlechte Gewissen, das er also stets hatte, wollte er in die hinterste Abstellkammer seines Gedächtnisses sperren – ein Giftschrank für toxische Erinnerungen. Eine kleines Dosis schon kann das Gemüt zerrütten. Das Gegengift zu den schwarzen Bildern sind die Rechtfertigungen: Wurde er nicht zum Dienst im Lager gezwungen, als er Anfang 1944 wegen eines Herzfehlers von der Wehrmacht zur SS überstellt worden war, ohne dass er gefragt wurde? Er hatte doch auch nie geschossen? Und hatte er nicht ein anständiges Leben geführt, nach dem Krieg?

Die Vernehmung im Saal wirkt in diesen Momenten wie eine Mischung aus Strafprozess, Familientherapie und Geschichtsseminar. Tausende solcher Gespräche wurden wohl in deutschen Wohnzimmern zwischen Großeltern, Kindern und Enkeln geführt. Immer wieder die gleichen Fragen, immer wieder die gleichen Ausflüchte, Beschwichtigungen, Rechtfertigungen. Geredet wurde tatsächlich viel, da hat Bruno D. Recht. Wie viel gesagt wurde, ist eine andere Frage.

Eine konkrete Episode aus dem KZ kann er doch beisteuern, als Bruno D. nämlich zwei Gefangenen bei einem Außeneinsatz geholfen haben will. Die beiden hatten einen Pferdekadaver entdeckt und ihn gefragt, ob sie sich Fleisch herausschneiden dürften. Er erlaubte es. „Ich war mir bewusst, dass ich vielleicht auch im Stacheldrahtzaun gelandet wäre, wenn das herauskommt, dass ich Häftlingen helfe.“

„Stand das denn irgendwo?“, fragt die Richterin nach.

„Das wusste man“, sagt Bruno D. Er nutzt oft ein „man“ statt des „ich“, es klingt neutraler, allgemeiner. Als sei er zwangsweise ins Lager eingewiesen worden, um sich all diese unfassbaren Grausamkeiten anzusehen. Dass er, wie die Anklage festhält, freiwillig oder gezwungen geholfen habe 5230 Menschen zu ermorden, scheint ihm ein unerhörter Vorwurf zu sein. Meier-Göring versucht es noch einmal. Vielleicht gibt es ja noch eine hilfreiche Antwort in diesem deutschen Prozess, eine Art Erklärung. „Die Menschen, die dort gefangen waren, die das Lager überlebt haben, fragen sich, warum Sie das getan haben, warum Sie dort Wache gestanden haben? Verstehen Sie die Frage?“

„Die Frage verstehe ich“, sagt Bruno D. „Weil ich dazu gezwungen wurde, dort Dienst zu machen.“
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #8 am: 22. Oktober 2019, 12:06:46 »
Die Welt hat heute auch einen Artikel zum Prozess:
Jetzt würde mich die Reaktion vom Volxverhetzer interessieren. Bestätigt doch der Mann, vor dem er versuchte zu salutieren, genau das, was Nikki, Ittner und Staub immer so wehement abstreiten. Wie geht so ein Nazihirn mit dieser Diskrepanz um?
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #9 am: 22. Oktober 2019, 12:18:55 »
Wie geht so ein Nazihirn mit dieser Diskrepanz um?

Vermutlich so:

Sebastian Leber über Rüdi: Hoffmanns Beweisführung ist, freundlich ausgedrückt, unorthodox. Es geht in seinen Filmen drunter und drüber wie bei einem Diavortrag, bei dem der Vortragende kurz vor Beginn ausgerutscht ist und alle Dias wild durcheinander auf den Boden flogen.
 
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #10 am: 22. Oktober 2019, 12:24:29 »
die neuen Nazis werden behaupten, der alte sei gezwungen worden, das zu sagen.
«Die Dummheit hat aufgehört, sich zu schämen»
 
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #11 am: 22. Oktober 2019, 12:25:06 »
Die Zeit verharmlost hier nicht, sondern bedient sich der allgemeinen Nennung


Stutthof wurde als KL/KZ gegründet, war aber zum Zeitpunkt des Einsatzes des Angeklagten ein Vernichtungslager. Ganz klar. Es ging nur noch darum, Menschen möglichst schnell zu töten, eventuell noch vorher ihre Arbeitskraft auszunutzen.

Gut, nehmen wir an, er habe nichts davon mitbekommen, wie man Leute hat verhungern lassen oder nicht medizinisch behandelt hat, um sie zu töten.

Aber er hat ja selbst ausgesagt, mindestens einmal die Leichen im Krematorium gesehen zu haben.

Nach Zeugenaussagen hörte man die Schreie aus den Gaskammern sehr weit, virtuelle Rekonstruktionen werden ergeben, wie weit man die Schreie im allgemeinen Getümmel hören konnte.

Schonmal einen Schuß aus einem K98k (dem Standardgewehr der Wehrmacht) gehört?
Erst recht eine Salve bei den Erschießungen und  dann mehrmals hintereinander: Das hört man über Kilometer, auch wenn Häuser dazwischen sind hört man das noch über hunderte Meter!

Er bekommt
- eine medizinische Untersuchung auf Verhandlungsfähigkeit
- nur max. 2 Stunden Verhandlung am Stück
- max. 2 Verhandlungstage in der Woche
- eine Verhandlung vor der Jugendkammer

Alles Freundlichkeiten des Rechtsstaates, in deren Genuß seine Opfer nie kamen.

Sein Versuch, Mildernde Umstände zu bekommen, ist völlig falsch!

Deswegen habe ich da einen gewissen Respekt vor Gröning: Der hat nicht nur seine Beteiligung zugegeben, sondern auch, daß es ein Fehler war, da mitzumachen. Und hat Reue gezeigt.

Klar, Dey kann ins Feld führen, er habe nicht gewußt, daß man sich weigern konnte ohne, daß einem etwas passiert wäre.

Auch, daß man indoktriniert war und eventuell das Mütterlein zu Hause auf einen Orden für ihren Sohn wartete.

Kann ja alles sein, weiß man nicht.

Aber er hatte jetzt fast 80 Jahre Zeit, darüber nachzudenken!

Also könnte er zu den Erkenntnis gelangt sein - wie Gröning - daß man da nicht hätte mitmachen dürfen.

Er könnte dadurch den Gericht die Arbeit erleichtern und tatsächlich Mildernde Umstände herausschlagen.

Statt dessen kommt wieder der längst widerlegte Befehlsnotstand!

Von unserer Kundschaft hört und liest man ja oft: Der Sieger schreibt die Geschichte.
Und genau darauf haben sie gehofft: Daß Deutschland den Krieg gewinnt und die Gräuel der Vernichtungslager  (die eigentlich nichts mit Krieg zu tun haben) vertuscht werden können.

Während ich das schreibe, lese ich von seiner Erklärung. Die ändert in meinen Augen nicht viel, denn er spricht davon, er habe dort seinen Wehrdienst ableisten müssen.
Das ist nachweislich falsch.
Wie er hätte reagieren können: siehe oben.

Hier sehe ich nur einen erneuten Versuch, sich herauszuwinden.

"Weigerung hätte keine großen Nachteile gebracht"
https://www.ndr.de/geschichte/Weigerung-haette-keine-grossen-Nachteile-gehabt,holocaust188.html

Gute Doku, gerdae zu den jetzt anhängigen Verfahren:
https://www.youtube.com/watch?v=Fnb-O_UYfSU&t=8s
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #12 am: 22. Oktober 2019, 13:00:23 »
Die Welt hat heute auch einen Artikel zum Prozess:
Jetzt würde mich die Reaktion vom Volxverhetzer interessieren. Bestätigt doch der Mann, vor dem er versuchte zu salutieren, genau das, was Nikki, Ittner und Staub immer so wehement abstreiten. Wie geht so ein Nazihirn mit dieser Diskrepanz um?

Erst einmal wissen Ittner und Co. sehr genau, was damals in Auschwitz abgelaufen ist. Die ärgert nicht, dass sie das nicht leugnen dürfen, sondern vielmehr, dass sie das nicht gutfinden dürfen, ohne dafür zu recht als unmenschliches Pack an den Pranger gestellt zu werden.

Keiner der bekannten Holocaustleugner glaubt wirklich, was er behauptet. Ittner nicht, Nikki nicht, Haverbeck nicht! Die wissen ganz genau, was passiert ist! Sie lügen!

Da der Nationalsozialismus in seiner letzten Konsequenz zu systematischen Massenmord führt, man aber andererseits genau diese Ideologie wieder gesellschaftsfähig machen will, muss man den Holocaust leugnen. Hitler als starken Mann, der die Autobahnen gebaut hat ( ja, stammt aus der Weimarer Republik, die Planung, ich weiss) damit kann man sich vielleicht anfreunden ( immerhin wählen 10-13% die AfD), mit der Tatsache, dass Frauen und Kleinkinder und Säuglinge vergasst und ermordet wurden, und das überlegende Säuglinge dann lebend vom SS-Personal ins Feuer geworfen wurden ( so in Auschwitz geschehen), dann eher doch nicht. So was macht man doch nicht ( zumindest nicht selbst)!

Die Nazis wussten schon, warum der Holocaust, soweit möglich, im Geheimen ablief. Jeder erfuhr nur, was er wissen musste. Aus genau dem Grund. Nicht, das nachher einer mit Menschlichkeit oder so kommt. Oder die Kirchen wieder Stress machen. 

Genug, die freiwillig mitmachten, oder sich nicht wehrten dagegen, fanden sich auch so.

Nikki "salutiert" vor dem Angeklagten nicht, obwohl, sondern weil er bei den KZ-Wachpersonal war.
Nach aussen heisst es "der wurde gezwungen, psychisch gefoltert, oder er ist verkalkt" nach innen heisst es " wenigstens haben wir dort in Stutthoff noch an die 50000 erwischt, bis zuletzt treu dem Führer. Schade, das er nicht abgedrückt hat, war doch eine tolle Sache und ein Dienst an Deutschland!"
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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #13 am: 22. Oktober 2019, 13:17:12 »
Zitat
Während ich das schreibe, lese ich von seiner Erklärung. Die ändert in meinen Augen nicht viel, denn er spricht davon, er habe dort seinen Wehrdienst ableisten müssen.
Das ist nachweislich falsch.

Wieso ist das nachweislich falsch?
Die SS hat bereits ab Ende 43 Wehrpflichtige gezogen.

Ich will und werde keinesfalls irgendwelche Verbrechen relativieren, nur müssen wir manchmal aufpassen das wir nicht aus einer falschen moralischen Überlegenheit heraus argumentieren.
Im Rahmen meines Studiums habe ich mit Überlebenden der Lager gesprochen und mir hinterher die Frage gestellt: Was hättest du gemacht?
Ehrlicherweise kann ich darauf keine Antwort geben. Vor 80 Jahren bist du ganz anders als heutzutage aufgewachsen; Freunde, Eltern, Schule, dein nahes soziales Umfeld und zu dem Zeitpunkt 10/11 Jahre nationalsozialistische Prägung.
Kein Internet, keine internationale Presse, keine Möglichkeit sich unabhängig zu informieren. Wer kann schon mit echter Gewissheit sagen, was er/sie damals reagiert hätte.

Umso bemerkenswerter sind leuchtende Beispiele wie die weiße Rose, leider gab es zu wenige von ihnen.

Das die wenigsten Täter/Helfer hinterher über die Taten gesprochen haben, wird mit großer Sicherheit auch dem Verdrängungsprinzip zuzusprechen sein.


An Rüdiger Hoffmann: Der Faschist sagt immer, da ist der Faschist  (in Anlehnung an die Signatur des geschätzten MitAgenten Schnabelgroß)

Wir kamen
Wir sahen
Wir traten ihm in den Arsch
 
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Offline Rabenaas

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Re: Prozess gegen Aufseher im KZ Stutthof beginnt
« Antwort #14 am: 22. Oktober 2019, 13:18:46 »
Die Nazis wussten schon, warum der Holocaust, soweit möglich, im Geheimen ablief. Jeder erfuhr nur, was er wissen musste. Aus genau dem Grund. Nicht, das nachher einer mit Menschlichkeit oder so kommt.

So geheim war das gar nicht. Selbst meinem bei Kriegsende erst fünfzehnjährigen Vater waren Gerüchte zu Ohren gekommen, daß "im Osten" Schlimmes mit den Deportierten geschah. Nicht in allen Einzelheiten, aber mehr als genug. Er sagte später, wer nichts gewußt habe, der habe nichts wissen wollen.
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
 
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