Augsburger Allgemeine Freitag, 15. November 2019Jung, cool, gefährlich
Internet Populisten und Rechtsradikale verbreiten in sozialen Medien ihre politischen Botschaften. Sie tun das derart geschickt, dass Jugendliche nicht bemerken, wie man sie beeinflusst. Experten warnen vor „rechten“ Influencern Von Stefanie Gronostay
Ein junger Mann mit Kurzhaarschnitt, weißem Hemd und schwarzem Sakko: Niklas Lotz aus Cottbus wirkt auf den ersten Blick wie der Inbegriff des perfekten Schwiegersohnes. Selbstsicher lächelt der 20-jährige Youtuber – bekannt als „Neverforgetniki“ – in die Kamera. In der rechten Hand hält er ein Sektglas. So feiert er Ende September seinen 100 000. Abonnenten. „Gratulation“, schreibt ein Nutzer mit dem Pseudonym „Deutscher Schwur“ unter das Video. „Ich freue mich, dass mehr Menschen aufwachen“, kommentiert eine Frau unter dem Namen „Die Patriotin“.
Als „Medienprojekt“ bezeichnet Lotz seine Youtube-Videos. Als „politischer Influencer“, sieht er sich. „Ich bin einfach nur ein junger Mann, der seine Meinung abgibt“, sagt er in seinem Video „Die Wahrheit über Neverforgetniki“.
Seit nicht einmal einem Jahr betreibt Lotz den Youtube-Kanal „Neverforgetniki“ und verbreitet dort seine politischen Ansichten. Dass Politik in sozialen Netzwerken ein wichtiges Thema auch für jüngere Menschen ist, wurde spätestens mit dem millionenfach geklickten Video „Die Zerstörung der CDU“ des Youtubers Rezo deutlich. Auch Rechtspopulisten, Nationalisten bis hin zu Rechtsextremisten wissen das für sich zu nutzen. Im Netz machen sie Stimmung und werben um junge Anhänger. Und das zielgruppengerecht. Wie ihr Publikum sind sie oft jung, cool – und haben rein optisch nichts mit jenen glatzköpfigen Neonazis in Springerstiefeln und Bomberjacke gemein, die einst die öffentliche Wahrnehmung der (extremen) rechten Szene bestimmten. Gerade das macht sie aus Sicht von Medienexperten brandgefährlich. Wie der Youtube-Algorithmus, der schnell zu ihren Inhalten führt.
Da ist zum Beispiel Martin Sellner, Sprecher der Identitären Bewegung Österreich. In Deutschland traten die Identitären nach Angaben des Bundesamts für Verfassungsschutz 2012 zunächst via Facebook in Erscheinung. Den Sprung in die reale Welt vollzogen sie 2016, als sie mit Anti-Flüchtlings-Transparenten das Brandenburger Tor in Berlin besetzten. Im Juli 2019 stufte der Verfassungsschutz die Identitäre Bewegung Deutschland (IB) als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ ein. Die IB ging dagegen gerichtlich vor. Mit Erfolg. Ende September entschied das Kölner Verwaltungsgericht, dass die Bewegung in Deutschland nicht als „gesichert rechtsextremistisch“ bezeichnet werden darf. Die Identitären müssen wieder als „Verdachtsfall“ eingestuft werden.
Sellners Youtube-Kanal hat 113 000 Abonnenten. Als Youtube seinen Kanal – und auch den von Niklas Lotz – kürzlich wegen Hassrede löschte, bezeichnete Sellner Lotz in einem Video als „genialen jungen Nachwuchs-Blogger“. Lotz ging mit einem Anwalt gegen die Löschung vor; nach 48 Stunden wurde sein Kanal wieder freigegeben. „Ich werde geächtet, weil ich meine Meinung äußere“, sagte er bereits im April 2019 in einem Interview mit Heiko Schrang, der als rechter Esoteriker gilt. „Aber ich lasse mich nicht einschüchtern.“
Lotz wird auch von dem Bauunternehmer Klaus-Peter Weber aus dem mittelfränkischen Ort Schwarzenbruck unterstützt. Weber ist ebenfalls Youtuber. In einem seiner Videos sagt er: „Es ist immens, was Niki leistet und auf bürgerliche Art publiziert.“ In einem anderen meint Weber in Bezug auf die Flüchtlingsdebatte: „Ich halte diese Toleranz für krankhaft.“ Sowie: „Und wenn mich dann jemand als Rassist bezeichnet, damit kann ich gut leben.“
Im Juni distanzierte sich der Gemeinderat mit einem öffentlichen Beschluss von Weber. SPD-Bürgermeister Bernd Ernstberger sprach von einem Schaden, den er von seiner Gemeinde abwenden wolle. Daraufhin erhielt der Bürgermeister Hasskommentare, schließlich entschuldigte er sich bei Weber und distanzierte sich von dem Beschluss.
Niklas Lotz will „ausgeglichenen Journalismus“ betreiben, sagte er in einem Video vom 29. September.
Er sei offen für ein Gespräch mit unserer Redaktion, erklärt er auf Anfrage. Jedoch nur für ein Honorar in Höhe von 250 Euro die Stunde.Lotz – dieser junge Mann, der mehr als 100 000 Menschen in sozialen Medien erreicht – kritisiert die Flüchtlingspolitik, die Klimaaktivistin Greta Thunberg und die „bunte Gesellschaft“. „Eine unkontrollierte Migrationspolitik führt zu einer Veränderung des gesellschaftlichen Lebens, die Deutschenfeindlichkeit an Schulen nimmt zu“, sagt Lotz Anfang Mai in einem Video. Der Youtuber berichtet von seiner eigenen Schulzeit, in der er als Deutscher in der Minderheit gewesen sei. An seiner Schule habe „struktureller Rassismus gegen Deutsche vorgeherrscht“. In deutschen Medien werde darüber geschwiegen, dass der Rassismus gegen Deutsche wachse. In dem Video vom 29. September bestreitet er jegliche Parteizugehörigkeit. „Ich stehe für meine eigenen Werte“, sagt er. Rechts sei er nicht, die Gesellschaft sei bloß nach links gerückt.
„Der Youtuber Neverforgetniki bedient klassische Feindbilder der rechten Szene“, sagt dagegen Liane Bednarz. Die Juristin und Publizistin beschäftigt sich seit Jahren mit der Szene der sogenannten Neuen Rechten. Zwar bekenne sich Lotz nicht offen zur rechten Szene. „Auffällig ist jedoch, dass es viele Videos gegen links gibt, aber keine kritischen gegen rechts“, sagt sie. Auch daran könnten Nutzer die politische Ausrichtung des Bloggers schnell erkennen. Dass Lotz so viele Abonnenten hat, überrascht sie. „Andere Youtuber geben sich sehr viel Mühe. Die Videos von Neverforgetniki wirken hingegen sehr billig gemacht“, erklärt sie. Die Kulisse seiner Videos ist in der Tat spärlich. Lotz sitzt meist in einfachen Klamotten auf einem Stuhl und spricht in die Kamera. Im Hintergrund: Eine Schreibti♥♥♥ und eine Weltkarte, die Falten wirft. „Dennoch ist Lotz in seiner Vorgehensweise sehr geschickt – das muss man ihm lassen“, meint Bednarz.
Warum geht Lotz so unterschwellig vor? „Sich offen als rechts zu outen, wäre das Dümmste, was er machen könnte“, sagt Bednarz. So wie jetzt könne er seinen Zuschauern auf harmlose Art und Weise seine Ideen einimpfen. „Angesichts seiner Reichweite ist das durchaus beunruhigend.“
Mitte Oktober veröffentlichte Lotz mit Heiko Schrang sein erstes Buch. „Mein Weckruf für Deutschland – Neverforgetniki“ schaffte es binnen Tagen auf Platz eins der Amazon-Bestseller im Bereich Politikwissenschaft. „Es ist eine Sache, Erfolg mit Videos zu haben. Es ist aber eine andere Sache, eine Fanbase zu haben, die bereit ist, für ein Buch zu bezahlen“, sagt Bednarz.
Knapp 260 000 Aufrufe hat eines der meistgeklickten Videos von Lotz, „Die Zerstörung von Fridays for Future“. „Fridays for Future hat sich offiziell mit Linksextremisten solidarisiert“, sagt der Youtuber in dem Video. Die Bewegung breche Gesetze, indem sie die Schulpflicht verletze und mit Linksextremisten vom Bündnis „Ende Gelände“ kooperiere. Unter den Zuschauern befindet sich die 18-jährige Alexandra aus der Nähe von Dresden. Durch Bekannte sei sie auf „Neverforgetniki“ gestoßen und finde gut, was er mache, sagt die Schülerin unserer Redaktion. „Er spricht das aus, was viele Menschen beschäftigt.“ Ob sie denn rechte Inhalte im Netz erkenne? „Vielleicht, hin und wieder“, meint sie verhalten – um danach Lotz vor Kritik in Schutz zu nehmen. „Aber er beleidigt keine Menschen. Er führt lediglich ihre Fehler an.“ Alexandra kann sich mit dem Youtuber identifizieren – der auch von den angeblichen Ächtungen in seinem Alltag berichtet, weil er eine andere Meinung habe. „In meiner Klasse fühle ich mich, wenn es darum geht, manchmal echt allein. Aber ich habe eine Meinung, die keiner ändern kann!“, hat Alexandra unter ein Foto von Lotz auf Instagram geschrieben. „Da kannst du sehr stolz auf Dich sein“, antwortete er ihr. Alexandra, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, ist kein Einzelfall.
Maik Fielitz vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg hat mit Holger Marcks in einer Studie unter anderem untersucht, welche Rolle die sozialen Medien bei der Verbreitung von rechtem Gedankengut spielen. „Die Neue Rechte hat das Internet als zentrales Terrain für ihren sogenannten Informationskrieg auserkoren“, sagt Fielitz. Und auch Rechtsextreme hätten verstanden, wie ihre Themen eine starke Verbreitung fänden – indem sie mit Emotionen wie Angst arbeiteten. Dies lässt sich bei Niklas Lotz gut beobachten. Immer wieder spricht er von den Gefahren des Multikulturalismus und der Indoktrination der Gesellschaft. „Die Vorstellung, permanent angegriffen zu werden, bietet dem Gedanken, sich mit allen Mitteln aus Notwehr zu wehren, Vorlauf“, sagt Fielitz. Für die Nutzer werde es zunehmend schwierig, durch mehrere Filter von Ironie und Sarkasmus die wahren Beweggründe hinter Videos und Bildern im Internet zu erkennen. Und Kinder und Jugendliche täten sich damit ohnehin schwer.
Mitte November rangiert Lotz’ Buch auf Platz 163 der meistverkauften Bücher auf Amazon. Nur wenig Kritik ist in den Bewertungen zu finden. „Rechtspopulismus pur. Dass junge Menschen so gegen Vielfalt hetzen, ist mir unverständlich“, lautet eine der wenigen Gegenstimmen.
Youtube-Kanäle wegen Hassrede gelöschtPopulisten werben im Netz erfolgreich um neue Anhänger.
Symbolfoto: Nicolas Armer, dpaDas Netz als Ort für den „Informationskrieg“