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Auffällig ist: Es sind nicht nur größere Städte, in denen anonyme Drohungen bei Verwaltungsmitarbeitern und Kommunalpolitikern eingehen.
Angriffe gegen Politiker
Und schon lange bleibt es auch nicht mehr bei verbalen Angriffen. Bundesweit für Schlagzeilen sorgte im Herbst der ehrenamtliche Bürgermeister des 800 Einwohner Dorfes Oersdorf bei Bad Seegeberg – er wurde von einem Unbekannten vor einer Sitzung des Bauausschusses mit einem Kantholz niedergeschlagen, lag eine Woche lang mit einem Schädel-Hirn-Trauma im Krankenhaus. „Aus Knüppel wird Hammer, aus Hammer wird Axt“ – nur einen Tag nach der feigen Tat ging ein Schreiben mit diesem Text in der Gemeindeverwaltung ein. Tausende Betroffenen bundesweit leben in Angst. „Sitzen die Radmuttern noch fest? Liegt etwas unter dem Reifen? Solche Überlegungen und Überprüfungen sind für mich Routine geworden“, sagt etwa Sven Scheidemantel, parteiloser Kreistagsabgeordneter aus Arnsdorf bei Bautzen. Er engagiert sich gegen Rechtsextremismus. Weiter südlich, in Hachenburg wurden 22 Gemeinderatsmitglieder im Dezember in persönlichen Briefen aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Knapp 6000 Menschen leben in dem Dorf im Westerwald. Ähnlich einigen Briefen an Verwaltungsmitarbeiter in Bayern steckt hinter dieser Aktion die Splitter-Neonazi Partei „Der dritte Weg“ – sie gilt als noch radikaler als die NPD, wirbt unverblümt mit Zitaten von Goebbels. Hintergrund in Hachenburg ist vermutlich, dass in der Gemeinde eine Moschee durch einen islamischen Kulturverein gebaut werden soll – privat errichtet und vom Verein selbst finanziert. Die Baupläne lagen jedoch noch zur Genehmigung im Gemeindeparlament. Mehrere Abgeordnete stellten inzwischen Strafanzeige.
Genau dazu raten auch die Experten immer wieder. Die Gewerkschaft der Polizei bittet zudem darum, die Fälle auch öffentlich zu machen. „Dass jetzt darüber gesprochen wird, ist gut, denn Bedrohungen gibt es schon lange im Internet. Online nutzen Autoren die vermeintliche Anonymität und verstecken sich hinter Pseudonymen oder falschen Identitäten. Damit sinkt die Hemmschwelle“, so der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei in NRW, Arnold Pickert. Der Gesetzgeber hänge hinterher, neue rechtliche Rahmenbedingungen für das Internet zu schaffen.
Die Hassbriefe kommen nicht nur aus der rechten Szene
Aber nicht alle Hassmails, die Bürgermeister und andere Kommunalpolitiker erhalten, kommen aus der rechten Ecke. „Der Bürgermeister von Niederaula ist zum Beispiel nach einem Fernsehbericht über Straßenerneuerungsbeiträge wüst beschimpft worden“, sagt Karl-Christian Schelzke, Direktor des Hessischen Städte- und Gemeindebunds. Gerade in solchen Fällen helfe oft knallharte Transparenz. Denn manchmal fühlten sich Bürger schlicht schlecht informiert und im Stich gelassen. Aus seiner Sicht ist in der Kommunalpolitik nichts so erfolgreich wie die Wahrheit. „Der Bürgermeister von Bad Sooden-Allendorf wurde wiedergewählt, obwohl er in seiner Kommune die Pferdesteuer eingeführt hat – aber er hat vorher eben auch klar und deutlich gesagt, wie es um die Finanzen in seiner Kommune bestellt ist.“ Zuweilen helfe es schon, wenn der Bürgermeister Betroffene, die sich per Mail beschweren, einfach einmal direkt anrufe. „Das hat sogar eine präventive Wirkung“, sagt Schelzke.
Wut und Gewalt gegen Politiker - Was tun?
Anders allerdings ist es bei Rechtsextremisten. „Es ist Unfug, mit Rationalität auf die Betroffenen zuzugehen“, sagt auch Karl-Christian Schelzke. Die selbsternannten Reichsbürger etwa seien schlicht Unbelehrbare. Doch Kommunalvertreter und Landesbeamte gehören zu den Lieblingsfeinden dieser Bewegung. Gebührenbescheide werden nicht bezahlt, Steuern nicht entrichtet. In Brandenburg hat das Innenministerium deswegen schon im Jahr 2014 eine Handreichung zum Umgang mit Reichsbürgern verfasst. Die Empfehlungen daraus sind bis heute aktuell: Schriftwechsel mit den Betreffenden sollten auf das absolut erforderliche Minimum reduziert werden. „Diskussionen sind wenig zielführend“, heißt es wörtlich. „Die betreffenden Personen wollen Verwirrung stiften, um staatliche Stellen von rechtlich gebotenem Handeln abzulenken.“ Materialien mit rechtsextremistischen Inhalten sollten konsequent an den Verfassungsschutz weitergeleitet werden – und da, wo Kommunen Mittel zur Hand haben, sollten diese auch angewandt werden: Wenn ein Reichsbürger Manipulationen an einem KfZ-Kennzeichen vornimmt, könne unverzüglich der Betrieb des Fahrzeugs untersagt werden und der Verdacht einer Straftat geprüft werden. Bei nicht bezahlten Gebührenbescheiden helfe das Instrument der Vollstreckung.
Doch die Reichsbürger sind nur die Spitze eines Eisbergs, der in Deutschland immer größer zu werden scheint. Forscher der Universität Leipzig sprachen vor kurzem in einer Studie von der „enthemmten Mitte“: Immer stärker breiteten sich rechte Thesen in der Gesellschaft aus. Entsprechend häufiger werden auch Bedrohungen und Hassmails. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, fordert deswegen, das Strafgesetzbuch um den Tatbestand des „Politiker-Stalkings“ zu ergänzen. „Wenn es uns nicht gelingt, die Menschen zu schützen, die sich vor Ort für die lokale Demokratie und ein funktionierendes Gemeinwohl einsetzen, gefährden wir die demokratische Kultur in unserem Land“. Schließlich seien zentrale Ermittlungsstellen in den Ländern nötig, an die sich Kommunalpolitiker bei Bedrohungen wenden könnten und die diesen Fällen gezielt nachgingen.
Sachsen ist bisher das einzige Bundesland, das eine solche Stelle eingerichtet hat. Das „Operative Abwehrzentrum gegen Extremismus“ (OAZ) beim Leipziger Polizeipräsidium sammelt gezielt Fälle politisch motivierter Kriminalität, auch die Gewalt gegen Kommunalpolitiker wird dort registriert. „Repräsentanten des Bundes, der Länder, sowie der Kommunen befinden sich im Zusammenhang mit der Ausländer- und Asylthematik weiterhin im Fokus politisch motivierter Straftäter“, sagt die Sprecherin dieses Zentrums, Kathleen Doetsch. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2016 wurden in Sachsen demnach 78 Fälle politisch motivierter Kriminalität registriert – dabei war bereits zum Ende des ersten Quartals die Gesamtzahl der Fälle des Vorjahres erreicht. Unter den zur Anzeige gekommenen Fällen dominierten die Beleidigungen, in 20 von 26 registrierten Fällen wurden sie über das Internet verübt. Gleich danach folgen die Sachbeschädigungen – etwa das Anzünden von Wahlkreisbüros oder Autos.
Womit auch die Brandenburger Landtagsabgeordnete Andrea Johlige in den letzten Jahren ihre Erfahrungen machen musste. Mehrfach wurde ihr Wahlkreisbüro Opfer von Farbbeutelwürfen, Schmierereien oder eingeworfenen Fensterscheiben. „Mein Kind geht in der Stadt in die Schule, in der das Wahlkreisbüro ist – da macht man sich schon Gedanken“, sagt Johlige. Die Linken-Abgeordnete hat sich deswegen dafür eingesetzt, dass ihre Wohnadresse nirgendwo im Internet zu finden ist. Alle Kommunikation läuft über das offizielle Büro. „Es gibt nur ein Problem – und das sind die Wahllisten“, sagt sie. Die Politikerin setzt sich deswegen dafür ein, dass die privaten Wohnadressen von Kandidaten im Zusammenhang von Wahlen nicht mehr veröffentlicht werden.
Im Falle des Falles gilt: Strafanzeige!
Immerhin, es gibt auch erste Hoffnungszeichen. Denn mittlerweile gehen auch die Gerichte gegen die Autoren von Hassmails vor. So verurteilte das Amtsgericht Köln im vergangenen Jahr einen 53jährigen zu einer Geldstrafe von 2250 Euro, weil er Ministerpräsidentin Kraft in einer E-Mail wüst beschimpfte. In Hamburg wurde ein Mann zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt, der einer Bürgerschaftsabgeordneten eine Vergewaltigung durch Muslime gewünscht hatte. Grundvoraussetzung dafür aber ist das, was der ehemalige Staatsanwalt Karl-Christian Schelzke als Maxime für den Umgang mit allen Hassmails empfiehlt, die nicht auf konkrete kommunalpolitische Konflikte zurückzuführen sind: „Strafanzeige, Strafanzeige, Strafanzeige.“