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Wie Hessenthaler es selbst sieht, war der Gerichtsprozess ein Komplott mit Signalwirkung: „Es liefert eine Blaupause, wie man einen politisch unbeliebten Akteur ausschaltet – indem man ihn einfach strafrechtlicher Vergehen beschuldigt.“
Tatsächlich wurde der Prozess heftig kritisiert und wirft bis heute unangenehme Fragen auf, die weit über den Fall Hessenthaler hinausgehen: Was, wenn sich Korruption und schmutzige Deals nur mit riskanten Manövern aufdecken lassen? Und wie gehen Justiz und Politik mit Menschen um, die Missstände ans Tageslicht bringen?
CORRECTIV liegen interne Dokumente vor, die die Zweifel an dem Ablauf des Strafverfahrens stärken. Sie zeigen, welches Risiko Einzelne eingehen, wenn sie strukturellen Machtmissbrauch an die Öffentlichkeit bringen.
Julian Hessenthalers Anwalt auf deutscher Seite hat nun im Februar beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde gegen die Verurteilung eingereicht. Er sieht einen „(partei)politischen Hintergrund des Falls“. Unter anderem wirft er dem Richter vor, die „Zweifel an der Beweislage“ im Verfahren nicht berücksichtigt zu haben und beschreibt die mangelnde Glaubwürdigkeit von zwei Belastungszeugen.
Julian Hessenthaler, geboren am 15.11.1980, ist ein österreichischer Detektiv, der durch Regie und Organisation des berühmten Ibiza-Videos bekannt geworden ist. Das Ibiza-Video wurde 2019 veröffentlicht und löste einen der größten politischen Skandale Europas aus. Das Video zeigte Heinz-Christian Strache, den damaligen Chef der rechtspopulistischen FPÖ und späteren Vizekanzler Österreichs, im Gespräch über mögliche Korruption.
Hessenthaler spielte eine entscheidende Rolle bei der Aufnahme des Videos und wurde später wegen des Verkaufs von Drogen und Urkundenfälschung, nicht jedoch wegen seiner Verwicklung in das Ibiza-Video verurteilt. Hessenthaler selbst sagt bis heute, er sei unschuldig verurteilt worden. Er verbrachte rund zweieinhalb Jahre in Haft, darunter 23 Monate Untersuchungshaft und einige Wochen Freigang mit elektronischer Überwachung, bevor er am 7. April 2023 freigelassen wurde.
Die Korruption
Ibiza-Affäre in Österreich: Das Video von Julian Hessenthaler führte zum Sturz der Regierung
Während Journalisten für die Veröffentlichung seines Videos Preise gewannen, ist damals einer im Knast gelandet: Er, der mit heimlichen Aufnahmen die Bereitschaft von FPÖ-Politikern zur Korruption belegte. Verurteilt wurde er jedoch nicht wegen der Aufnahmen, die jahrelang auf Bildschirmen in aller Welt flimmerten. Der Grund war ein ganz anderer. Hessenthaler, je nach Standpunkt Held oder Schurke, kam ins Gefängnis wegen einer vom Video angeblich völlig unabhängigen Straftat: Drogenhandel mit Kokain.
Zu einem Verbrechen, auch zum Drogenhandel, gehören jedoch gewöhnlich eine Tatzeit und ein Tatort. Beide sind im Urteil unklar, immer im Ungefähren, basierend auf Zeugenaussagen, die sich zum großen Teil widersprechen oder im Urteil sogar verdreht wurden. Massive Zweifel an dem Prozess wurden schon während des Verfahrens geäußert.
Wäre ein solches Urteil in einem autokratischen Regime gefallen, wäre die Kommentierung wahrscheinlich klar: Es sollte ein Fall konstruiert werden, um einen missliebigen Menschen wegzusperren. Ist das aber auch in Österreich möglich?
Das Ibiza-Video ist ein Zeitdokument österreichischer Korruption, das die Republik erschüttert hat. Hessenthaler zeigt mit den heimlichen Aufnahmen, wie Heinz-Christian Strache, Chef der rechtspopulistischen FPÖ, die Demokratie in seinem Heimatland feilbieten wollte. Dabei war auch sein enger Vertrauter Johann Gudenus, damals ebenfalls FPÖ-Politiker. Sie ließen sich von einer angeblichen Oligarchennichte einwickeln, die Geld für Einfluss auf die Politik bot. Bis Redaktionsschluss hat Gudenus auf Anfrage von CORRECTIV nicht reagiert.
Sie besprechen illegale Parteienfinanzierung und den Einsatz von Staatsaufträgen im Austausch für Wahlkampfunterstützung. Konkret: den Kauf der auflagenstarken Kronen Zeitung als potenzielles Werbeblatt für die Partei im Gegenzug für staatliche Aufträge. Das Video ließ, als es zwei Jahre später publik wurde, die konservativ-rechtsradikale Regierung binnen kürzester Zeit kollabieren. Zu offensichtlich wurde damit, wie einer der wichtigsten Politiker des Landes wirklich dachte – wenn er sich unbeobachtet wähnte.
Die Kränkung
Wie die Ibiza-Affäre mit Heinz-Christian Strache begann
Was in Deutschland weniger hängen blieb: Es gab vorher eine weitere Affäre, auch hier war Hessenthaler an der Aufdeckung beteiligt. Mehr noch: Die Dokumente dazu sollten der Anlass sein, warum Hessenthaler später das Ibiza-Video drehte.
Diese Geschichte begann im Jahr 2016, für Heinz-Christian Strache läuft es bestens: Der FPÖ-Chef wird immer erfolgreicher. Laut Umfragen liegt seine Partei zwischenzeitlich bei 35 Prozent und wäre damit stärkste Kraft im Parlament. Strache wird von vielen als Held verehrt.
Einer wird allerdings von Strache enttäuscht und er wird sich wehren. Als sein Bodyguard Krebs bekommt, will Strache ihn auswechseln. Für ihn, den loyalen Mitarbeiter, ist das neben der Krankheit der zweite schwere Schlag. Bis Redaktionsschluss hat der Bodyguard auf Anfrage nicht reagiert.
Der Bodyguard beginnt, Spesenabrechnungen zu sammeln, die zeigen sollen, wie sein Chef sich in der eigenen FPÖ-Parteikasse bedient. Wie wir heute aus den Unterlagen der Staatsanwaltschaft wissen, wurden unter anderem Ausgaben für ein Handyspiel namens Clash of Clans dokumentiert, für teure Uhren und für Strafzettel.
Dokumentiert sind aber auch Fotos von Geldtaschen in Straches Kofferraum, die – erst Jahre später – erstmals im Spiegel veröffentlicht wurden. Es soll von drei ukrainischen Investoren stammen, die einem befreundeten Unternehmer bei der FPÖ offenbar ein Mandat für das österreichische Parlament kaufen wollten. Auch dokumentiert ist, dass Strache diesen Unternehmer drei Tage später als Kandidaten der nächsten Nationalratswahl vorstellt. Und wie das Magazin Profil schreibt, war der Verkauf von Wahllistenplätzen in Österreich legal.
Erst im Januar 2023 kündigt die Regierung ein neues Antikorruptionsgesetz an, bekannt als „Lex Ibiza“. Es soll den Verkauf von Parlamentssitzen beschränken. Strache selbst beteuert, er habe alles zurückgezahlt, was die FPÖ ihm für Privates ausgelegt habe. Strache hat auf die Anfrage von CORRECTIV nicht reagiert.
Der Plan
Am Tag vor Veröffentlichung des Ibiza-Videos: Julian Hessenthaler schreibt Brief an Bundespräsidenten Alexander van der Bellen
Zurück ins Jahr 2016. Folgt man Hessenthalers Erinnerungen, entstand in diesem Jahr die Idee für das Ibiza-Video. Er und ein befreundeter Anwalt sitzen in einem Wiener Gasthaus, vor ihnen ein Grey Goose Vodka auf Eis. Dieser Anwalt verknüpft Hessenthaler mit dem Fall Strache: Der Jurist vertritt zu diesem Zeitpunkt auch den an Krebs erkrankten, verprellten Bodyguard, und hat die vielen belastenden Dokumente und Fotos in seinem Aktenschrank. Und er redet auf Hessenthaler ein, ob der nicht noch eins drauflegen wolle.
Julian Hessenthaler ist Detektiv, „Intelligence Analyst“, nennt er es selbst. Mit seiner Firma führt er damals Rechercheoperationen für Firmen und staatliche Behörden aus. Es geht um organisierte Kriminalität, um Zigarettenschmuggel. Er bewegt sich in Milieus, in denen niemand sein will. Gräbt sich tief in kriminelle Schmuggelringe und gilt als talentierter Tippgeber. Ob er da nicht was machen könne, fragt der Anwalt.
Es sind zwei Männer im Zigarettenrauch, die die Grenzen ihrer Macht ausloten.
Und Hessenthaler erinnert sich, gesagt zu haben: „Wenn du das ernst meinst, musst du halt Geld hinlegen.“ Der Anwalt tat es. Laut Hessenthaler investierte er für den ersten Coup rund 30.000 Euro. Der Anwalt bestätigt das im Allgemeinen, sagt CORRECTIV gegenüber, dass er sich „nicht genau erinnern kann, ob es 30.000 oder 40.000 Euro waren.“
Mit dem Geld organisiert der Detektiv einen Schauplatz, in dem Gudenus, der Vertraute von Strache und damalige Vizebürgermeister von Wien, zu korrupten Geschäften eingeladen wird. Als Lockmittel dient die angeblichen Oligarchennichte, die viel Geld in Landbesitz investieren wolle. Gudenus freut sich, denn laut Hessenthaler will die Nichte zwölf Millionen Euro für Ländereien zahlen, die seiner Familie gehörten und deutlich weniger wert gewesen seien. Das klingt nach einem lukrativen Geschäft. Was Gudenus nicht weiß: Sie ist keine Oligarchennichte, sondern eine Frau, die Hessenthaler einen Gefallen schuldet.
Was Hessenthaler zum selben Zeitpunkt nicht weiß: In den Kameras, die er im eigens angemieteten Saal des Wiener Grand Hotel versteckt hat, fehlen die SD-Karten. Rund 30.000 Euro, vom Anwalt ausgegeben für das Sicherheitspersonal der vermeintlichen Nichte, für die gemietete Maybach-Luxuslimousine, alles umsonst.
»Ich habe die Kameras nicht bestückt mit SD-Karten«
Auszug aus dem Hessenthaler-Interview
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Jetzt ist es Hessenthaler, der dem Anwalt einen Gefallen schuldet. Und dann fällt der entscheidende Satz, der den nächsten Stein ins Rollen bringt: „Wenn wir es einmal schaffen, schaffen wir es auch noch ein zweites Mal“, soll Hessenthaler zum Anwalt gesagt haben. Er sollte recht behalten. Vermutlich mehr, als ihm bewusst war.
Die Schuldvermutung
Inzwischen ist die Ibiza-Affäre Geschichte. Hessenthaler hat zweieinhalb Jahre im Gefängnis hinter sich, nun macht er sich bereit für seinen nächsten Kampf: Er will sich wehren, gegen seine Verurteilung und den Apparat, der ihn wegsperren ließ. Aber zuerst muss er ein Konto eröffnen. Ohne Konto keine Arbeit. Laut eigener Aussage ist er mit rund 400.000 Euro Schulden de facto insolvent.
„Ich weiß für mich, dass ich unschuldig bin“, sagt er. „Und dementsprechend ist es natürlich schwer zu ertragen, dass mir Jahre meines Lebens genommen wurden.“ Der Prozess habe sein Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert, sagt auch Hessenthalers Anwalt Oliver Scherbaum. Bis zum Ende des Prozesses hatte er auf Freispruch plädiert.
Aber dass der Prozess in Österreich grundsätzliche Fragen aufwirft, sagt nicht nur der Beschuldigte, das schreibt auch der renommierte Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck. Das sagt der investigative Journalist Florian Klenk, Chefredakteur des renommierten österreichischen Magazins Falter. Und in der Wiener Zeitung sagt der ehemalige UN-Sonderbeauftragte Manfred Nowak: Die „verbotenen Aufnahmen in Spanien hätten nie zu einem europäischen Haftbefehl geführt. Das heißt, man brauchte größere, schwere Tatvorwürfe.“ Wurden bei diesem so politischen Fall Hessenthaler Anschuldigungen konstruiert?
Brief an den Bundespräsidenten
Der Brief, den Hessenthaler vor der Veröffentlichung des Videos an Bundespräsident van der Bellen schrieb, um sich und seine Familie zu schützen.
Bereits einige Wochen vor Veröffentlichung des Ibiza-Videos am 17. Mai 2019 soll das Innenministerium jemanden geschickt haben, der Hessenthaler warnte. So stellen es Hessenthaler und sein Anwalt in einer schriftlichen Aussage dar. Der Mann habe gesagt: Sollte das Video veröffentlicht werden, gebe es genug „Freizeitpolizisten“ in Österreich, die ihm drei Kilogramm Kokain in den Kofferraum legen würden. Diese Drohung soll in Wien heimlich aufgezeichnet worden sein. CORRECTIV hat die Aufnahmen nicht gesehen. Hessenthalers Anwalt zitiert daraus in der Beschwerde beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.
Wenige Tage nachdem die Ibiza-Bombe geplatzt war, richtete das Bundeskriminalamt die Sonderkommission „Tape“ in seiner Abteilung 3.1. ein. Diese ist zuständig für illegales Glücksspiel – was bemerkenswert ist, weil der größte Glücksspielkonzern Novomatic selbst in dem Ibiza-Video ausdrücklich genannt wird: In dem Video geht Strache selbst auf den Konzern als Quelle verdeckter Parteispenden ein. Wörtlich sagt er: „Novomatic zahlt alle“. Novomatic hat dies später bestritten. Strache sagte unter Eid aus, dass er es nicht so gemeint habe.
»Novomatic zahlt Alle!«
Auszug aus dem Hessenthaler-Interview
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Die Loyalität
Auffällig ist auch, dass nur drei Beamte für die Aufarbeitung der Korruptionshinweise gegen Strache abgestellt wurden – und 20 für das Auffinden des Aufdeckers.
Dokumentiert sind eine ganze Reihe von Details aus dem Verfahren, die Zweifel aufwerfen: Dazu gehört, dass einer der Drogenfahnder bei der Soko ein glühender Fan von Heinz-Christian Strache war. Er schrieb ihm am Tag des Rücktritts
wie es in den Ermittlungsakten heißt. Der Soko-Leiter wusste von der Nachricht und sagte später über den Mitarbeiter: „Das war unser bester Mann.“
Es gibt weitere Widersprüche, die sich nicht auflösen lassen: Dazu gehören die Aussagen der beiden Hauptbelastungs-Zeugen in dem Verfahren gegen Hessenthaler. Sie wurden sechs Monate, nachdem Hessenthaler dem österreichischen Bundespräsidenten seinen Namen als Regisseur des Ibiza-Videos offenbart hatte, verhaftet. Beide waren ein Paar.
Die eine Zeugin, geboren 1986 in der Slowakei, steckte selbst in Schwierigkeiten: Bei einer Hausdurchsuchung wurden bei ihr mehr als 136 Gramm Kokain gefunden. Bei der Polizei soll sie detailliert gegen Hessenthaler ausgesagt haben, so zumindest geht es aus dem Vernehmungsprotokoll hervor. Dort gibt sie angeblich an, wie rüde sie mit Hessenthaler umgegangen sei. Sie habe den Detektiv „in den Schwitzkasten genommen“. Und weiter: „Julian hat gezappelt“. Erst als Hessenthaler einen „bordeauxroten Kopf“ gehabt habe, habe sie ihn losgelassen, heißt es im CORRECTIV vorliegenden Vernehmungsprotokoll.
Einen Monat später wird die Beklagte erneut befragt, und ihre Geschichte klingt jetzt anders. Sie sagt zwar erneut, dass sie es war, die Hessenthaler in den Schwitzkasten genommen habe, aber dann soll sich die Lage gedreht haben. Danach habe Hessenthaler sie mit einer Pistole bedroht und sogar abgedrückt, aber die Pistole sei nicht geladen gewesen.
Vor Gericht zeigte sich dann, dass die Frau unzulänglich Deutsch spricht. Und, dass bei der Polizei kein Übersetzer anwesend war. Es stellt sich also die Frage, wie die detaillierten Aussagen in den Protokollen zustande kamen.
Der Richter drehte die Szene im Urteil noch weiter: Nicht die Frau habe Julian Hessenthaler in den Schwitzkasten genommen, sondern er habe sie erst mit einer ungeladenen Pistole bedroht, und danach habe „Hessenthaler sie gewarnt und dabei in den Schwitzkasten genommen“, heißt es in der vorliegenden Urteilsbegründung. Die Vernehmungsprotokolle und die Urteilsbegründung sind damit widersprüchlich.
Hessenthaler und die deutschen Medien
Jean Peters, der Autor dieser Geschichte, kennt Julian Hessenthaler seit 2018. Damals suchte Hessenthaler nach Wegen, um das Video zu veröffentlichen, verabredete ein erstes Treffen und zeigte sein Material. Drei Monate später sitzen sie in Köln mit dem Entertainer Jan Böhmermann; eine Zusammenarbeit wird aber nicht vereinbart.
Einige Monate später, im April 2019, verpackt Jan Böhmermann vertrauliche Informationen des Treffens als Gag in seiner Dankesrede bei der Verleihung des österreichischen Fernsehpreises Romy. Böhmermann lässt mehrere Hinweise fallen, die klar auf den Inhalt des Videos verweisen; er spricht von Koks und Red Bull, von Ibiza und der Kronen Zeitung. Diese Rede ist ein Startschuss; sie markiert den Moment, in dem Hessenthaler die Kontrolle abgenommen wird, wo er als Informant nicht mehr geschützt ist. „Ganz Europa hält Ihren Innenminister Herbert Kickl für einen unseriösen Heiopei“, sagte Böhmermann unter tosendem Applaus.
In den Ohren Hessenthalers ist das, wenn auch von Böhmermann ungewollt, ein Warnsignal, dass nur die Eingeweihten hören können, da Innenminister Kickl ein Rechtsextremer ist, die Polizei und den Verfassungsschutz des Landes befehligt und nun weiß, dass gefährliche Informationen über seinen Parteichef im Umlauf sind. Nach dieser Rede von Böhmermann weiß Hessenthaler: Es gibt kein Zurück mehr.
Knapp einen Monat später werden Teile des Videos im Spiegel und der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht, wenige Stunden später gibt Sebastian Kurz die Auflösung der Regierung bekannt. Die Jagd auf den Urheber des Ibiza-Videos galt zu diesem Zeitpunkt als eröffnet, von Ermittlungsbehörden und von Medien.
Die Bezahlung
Keine dokumentierten Belege für Drogen bei Ibiza-Video-Macher Julian Hessenthaler
Ihr Partner, Slaven K., 1967 im heutigen Bosnien-Herzegowina geboren, ist der andere Hauptbelastungszeuge. Er hat zeitweise für die Detektei von Julian Hessenthaler gearbeitet. Dem soll sich K. nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos offenbart haben, so erzählt Hessenthaler es im Interview mit CORRECTIV. Er hatte zwar schon dem Bundespräsidenten geschrieben, wollte aber sichergehen, dass die Behörden in Wien erfahren, wie das Video zustande kam. Daher, so erzählt es Hessenthaler, habe er mehrmals am bayerischen Zufluchtsort seinen früheren Mitarbeiter Slaven K. getroffen. Belege zu dem Besuch sind nicht bekannt. Der Anwalt des ehemaligen Mitarbeiters schreibt auf Anfrage, sein Mandant wolle sich in dieser Angelegenheit nicht mehr äußern.
K. war offenbar auch Vertrauensperson beim österreichischen Bundeskriminalamt; so schreibt es der ehemalige FPÖ-Innenminister Herbert Kickl in einer parlamentarischen Anfrage.
Wie der Macher des Ibiza-Videos erzählt, wurde er von K. offenbar getäuscht. Der Mann verkaufte die Informationen, es flossen nachweislich mindestens 55.000 Euro an ihn und einen weiteren Mann. Das Geld wurde von Gert Schmidt gezahlt, einem Lobbyisten des Glücksspielkonzerns Novomatic; also der „Novomatic zahlt alle“-Konzern, von dem in dem Video die Rede ist.
Die Zahlung an einen der Zeugen ist aktenkundig, zwei Honorarnoten liegen CORRECTIV vor, und auch Aussagen von Gert Schmidt, der bei einer Vernehmung von einem Informationshonorar sprach, für Angaben zu Hessenthaler. Nach seiner Darstellung gebe es keinen Zusammenhang zwischen den Zahlungen und dem Prozess gegen Hessenthaler. Auf Anfrage schrieb Schmidt an CORRECTIV, er wolle die Sache abseits der Gerichtsurteile nicht kommentieren.
Wenige Monate nach den Gesprächen in Bayern wurde K. dann verhaftet, die Polizei durchsuchte dessen Wohnung. Sie fanden Waffen und Drogen, ein Unterhebel-Repetiergewehr Kaliber 38, eine abgeschnittene Schrotflinte „Made in Russia“, einen Wurfstern, ein Armband mit versteckter Klinge, Kokain. Im Durchsuchungsbericht steht, er habe „offensichtlich ein Faible zur Nobelmarke Philipp Plein.“
Allerdings sagte K. zunächst nicht gegen Julian Hessenthaler aus. Erst als er verurteilt wurde, ein knappes Jahr später, änderte er seine Aussage gegen Hessenthaler. Ein Aktenvermerk des Bundesinnenministeriums vom 05.10.2020 zeigt, dass Slaven K. sich „nach der Möglichkeit eines elektronisch überwachten Hausarrests“ erkundigte, „so er sich dafür entscheiden würde, seine Angaben zu berichtigen.“ Durfte er das Gefängnis also früher verlassen, dafür, dass er seinen ehemaligen Kollegen belastete? Sein Anwalt schreibt CORRECTIV auf Anfrage, „Einen ,Deal‘ gab es hier nicht.“
Beide Hauptbelastungszeugen profitierten von erheblichen Strafmilderungen, nachdem sie ihre Aussagen gemacht hatten.
Der wichtigste Aktenvermerk ist allerdings derjenige, der nicht existiert: Bis zum Ende des Prozesses wurde kein Kokain bei Hessenthaler gefunden. Weder physisch noch auf Fotos. Es gibt keine Telefonüberwachungen, die ihn belasten, keine Fingerabdrücke. Das einzige, was gegen ihn spricht, sind die Zeugenaussagen.
Die Festnahme
Julian Hessenthaler selbst redet wenig über seine Vergangenheit. Er hat sich schon früher, als Detektiv, Feinde gemacht, gegen große internationale Konzerne kriminalistisch recherchiert und Drogenringe auffliegen lassen, sich auch selbst die Hände schmutzig gemacht und mit Kokain erwischen lassen. Doch Ibiza war anders.
Sein Video hat eine Regierung weggefegt, aber der Rückstoß kam und hat ihn selbst aus dem Arbeitsleben katapultiert, zumindest für einige Jahre. Dabei hat – und das ist eine weitere ironische Wendung in der Geschichte – das Verfahren gegen ihn noch weitere, beunruhigende Mängel an der Rechtsstaatlichkeit Österreichs aufgedeckt.
Festgenommen wurde er im Dezember 2020 – in Berlin, wo er zu der Zeit untergekommen war. Ein europäischer Haftbefehl auf Grundlage des heimlich gefilmten Videos wäre nicht möglich gewesen. Die Ermittler hätten deswegen keine Telefonüberwachungen, keine Amtshilfe in Deutschland beantragen können. Mit dem Verdacht auf Drogenverkauf schon.
Die Region rund um die Kanzlei von Hessenthalers Berliner Anwalt in Kreuzberg wurde überwacht. Die deutsche Polizei fing Hunderttausende von Handydaten ab und analysierte die Verbindungen, eine Art Rasterfahndung für Österreich. Hessenthalers Nummer tauchte in den Massenabfragen der Polizei nicht auf.
„Auf die Idee, mich einfach anzurufen und mir einen Termin auf einer Wache anzubieten, sind die Ermittler offenbar nicht gekommen“, sagt der Macher des Ibiza-Videos. Die einen sagen, das war eine politische Verfolgung. Die anderen sehen darin nur das Ergebnis eines funktionierenden Rechtsstaates. Hessenthaler jedenfalls landete hinter Gittern.
Julian Hessenthaler mit Flagge Österreichs in der Hand
Julian Hessenthaler
Das Interview
Hessenthaler hatte sich bereits im Gefängnis zur Tat geäußert, unter Beobachtung. Jetzt spricht Julian Hessenthaler im ersten Interview seit seiner Freilassung mit CORRECTIV über die Entstehung des Ibiza-Videos.
Interview in voller Länge
Das Landgericht St. Pölten verfügte am 30. März 2022 für Hessenthaler eine Haft von dreieinhalb Jahren. In der Begründung heißt es, wegen des „Verbrechens des Suchtgifthandels“ sowie „Urkundenfälschung“. Er soll einen slowenischen, nicht registrierten Führerschein verwendet haben und einen slowenischen Personalausweis weitergegeben haben. Das Urteil wurde in zweiter Instanz vom Obersten Gerichtshof in Österreich bestätigt.
„Es hat mir natürlich ein unbehagliches Gefühl vermittelt“, sagt Irmgard Griss, „als ich gehört habe, dass er ins Gefängnis muss und nicht die, deren korrupte Absichten, Einstellungen und Verhalten er aufgedeckt hat.“ Griss war einst Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, sie kandidierte für die Präsidentschaft Österreichs und zog schließlich für die liberale Partei NEOS als Abgeordnete in den Nationalrat ein, das Äquivalent zum Deutschen Bundestag. „Ohne Ibiza-Video hätte es keine Casinos-Ermittlungen gegeben und die Chats des Thomas Schmid wären nicht bekannt geworden.“
Sowohl die Casinos-Affäre, in der mutmaßliche Absprachen zwischen den Parteien FPÖ und ÖVP mit dem Wettspielkonzern Novomatic ans Licht kamen als auch die genannten Chats, in denen vermeintliche Umfrage-Manipulationen durch Sebastian Kurz bekannt wurden, waren Meilensteine in der Bekämpfung korrupter Strukturen in Österreich. An deren Ende stand der Rücktritt des Bundeskanzlers.
Im Februar 2021 verfasste Hessenthalers Anwalt eine 115-seitige Verfassungsbeschwerde, um eine Auslieferung nach Österreich zu verhindern. Der Jurist wirft den Strafverfolgungsbehörden in Österreich vor, den Strafverdacht zu konstruieren. Er beschreibt das ganze Verfahren als politisch motiviert, der Grundsatz der Unschuldsvermutung sei ignoriert worden. Die Beschwerde wurde mit Beschluss vom 30. März 2021 nicht zur Entscheidung angenommen – gegenüber CORRECTIV verweigert das Gericht, die Entscheidung zu begründen.
»Im Endeffekt ist das ein Kreislauf: Ein Henne-Ei Problem«
Auszug aus dem Hessenthaler-Interview
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Die Überwachung
Neue Dokumente in der Ibiza-Affäre enthüllen brisante Details über Justiz in Österreich
Viele dieser Details wurden in verschiedenen Artikeln und Kommentaren bereits veröffentlicht. Neue Dokumente, die CORRECTIV einsehen konnte, zeigen nun, wie rabiat auch das Justizministerium vorging. Ein Brief der Justizanstalt zeigt, dass die Staatsanwaltschaft während der monatelangen Untersuchungshaft die Anwaltspost mitlas: Eine Methode, die in Terror-Verdachtsfällen nachvollziehbar klingen mag, aber nicht bei Drogendelikten.
Die Justizanstalt schreibt dazu, dass „jeglicher Briefverkehr über die Staatsanwaltschaft St. Pölten bzw. in weiterer Folge über das Landgericht St. Pölten zu erfolgen hat. Dies betrifft auch die Anwaltspost von Insassen. Das heißt, sollte ein Brief für Hessenthaler einlangen, wird dieser zuerst zum Gericht gebracht und erst nach erfolgter Zensur an den Insassen ausgefolgt.“
Nicht nur das: Im ersten Jahr der Ermittlungen wurden laut seinen Verteidigern bei ihren Anträgen auf Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft fast 90 Prozent der Dokumente vorenthalten. Erst nach seiner Verhaftung in Deutschland im Dezember 2020, bekamen sie vollständige Akteneinsicht.
All diese Details sind dem Gericht bekannt, und doch wurde Hessenthaler zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, wegen angeblichen Drogenhandels und Urkundenfälschung. Er wurde über sieben Monate lang wegen besonders hoher Gefahr in Einzelhaft gehalten, 23 Stunden am Tag.
Die zwei Belastungszeugen wurden wegen ihrer „Lebensbeichten“ milde behandelt. Der Soko-Inspekteur, der Heinz-Christian Strache eine Fan-SMS schickte, wurde zum stellvertretenden Leiter des Büros zur Bekämpfung organisierter Kriminalität befördert. Der Leiter der Soko wurde zum Chef des Bundeskriminalamts befördert, einer der mächtigsten Polizeibehörden in Österreich.
Die Tatsachenbehauptung
An einem Februarmorgen, in einem der ältesten Wiener Cafés, dem Sperl, sitzt Oliver Scherbaum, einer von Hessenthalers Anwälten, ringsum Holzvertäfelung, Tassenklirren, Wiener Melange. Gerade erst ist sein Mandant zurück nach St. Pölten gefahren, hat seinen zweiten Freigang beendet, zurück in die 23-Quadratmeterzelle, gemeinsam mit fünf anderen Häftlingen. Dieser Fall habe seinen Glauben an den Rechtsstaat erschüttert, sagt der Anwalt.
Veranstaltungshinweis
Am 20. April 2023 lädt das Volkstheater Wien in Kooperation mit CORRECTIV zu einer Veranstaltung mit Julian Hessenthaler ein. Im Gespräch mit CORRECTIV-Journalist Jean Peters wird der Macher des Ibiza-Videos erstmals wieder live in der Öffentlichkeit auftreten und Perspektive auf seinen Fall und zur aktuellen österreichischen Politik schildern. Das Publikum bekommt im Anschluss an das Gespräch die Möglichkeit, selbst Fragen zu stellen
Er vertritt nicht nur Hessenthaler, er arbeitet auch für den aktuellen österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer. Woran sich der Verteidiger im Fall Hessenthaler erschöpft, ist die Schwammigkeit der Vorwürfe: Es gebe keine konkreten Zeiten, keine klaren Orte, nur ungefähre Angaben. Auch bei der Menge der Drogen gab es Unstimmigkeiten. Bei der Zeugin wurden 136,5 Gramm Kokain gefunden. Dann entschied sie plötzlich und ohne erkennbaren Grund, sich selbst noch stärker zu belasten, wie der Anwalt erzählt, und behauptete: Sie habe rund sechs Kilo verkauft.
1,25 Kilo davon will sie von Hessenthaler bekommen haben. Und den Rest? Niemand habe nachgefragt, sagt der Anwalt. Die Frau wird zu einer Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt. Hessenthaler, der mit weitaus weniger Drogen gehandelt haben soll, erhielt mehr als doppelt so viel.
Für seinen Anwalt macht der Prozess einen gravierenden Mangel der österreichischen Justiz deutlich: Anders als in Deutschland gebe es keine Tatsacheninstanz, wie er sagt. Das bedeutet: Vor Gericht werden die Beweise nicht noch einmal im Detail überprüft, sagt Scherbaum. Der Fall zeige, wie dringend dies nötig wäre.
Die Rechnung
Opfer der Ibiza-Affäre? Julian Hessenthaler reicht am Europäischen Menschenrechtsgerichtshof Beschwerde ein
Für Hessenthaler selbst war das Ibiza-Video ein Wendepunkt. Er hat die Konsequenzen in Kauf genommen. Für ihn war es ein Job, wie er sagt, aber einer, mit dem er „nicht nur Konzernen, Behörden oder Freundinnen einen Dienst erwies.“ Für ihn sei es darum gegangen, Korruption aufzudecken. „Da konnte ich Leute aufhalten, die die Kettensäge an die Demokratie anlegen wollten.“
Seine Mutter sagte ihm damals, er solle das Video nicht veröffentlichen. Sie wussten beide, dass es Probleme bereiten würde. „Auf der persönlichen Ebene“, sagt er heute, „ist das einzig Gute an dem Video vielleicht, dass meine Mutter stolz auf mich ist.“ Zu seiner politischen Motivation sagt er, er sei „der anhaltenden Überzeugung, dass es spätestens 2012/13 massive Bemühungen der (Anm. d. Red: russischen) Nachrichtendienste gegeben habe, in Europa Einfluss auf politische Entscheidungsträger zu nehmen.“
„Wir sollten dankbar sein“, sagt die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs in Österreich, Irmgard Griss. „Was immer seine Beweggründe waren und wie immer er sich sonst verhalten hat, hat er der Gesellschaft einen großen Dienst geleistet.“
Julian Hessenthaler ist seit dem 7. April 2023 frei. Nach einigen Wochen Freigang mit einer elektronischen Fußfessel wurde er frühzeitig aus der Haft entlassen. Er wartet darauf, wie der Europäische Menschenrechtsgerichtshof über seine Beschwerde entscheiden wird. Noch ist er es, der alleine die Kosten für die Beschwerde trägt.