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Landkreis Leipzig
Sie schicken seitenlange, weitgehend unverständliche Texte mit abstrusen Ausführungen, weisen sich mit erstellten Dokumenten aus und sprechen der Bundesrepublik jegliche Legitimation ab: sogenannte Reichsbürger, die Behörden immer wieder provozieren. „Auch im Landkreis gibt es dieses Phänomen seit Jahren“, wie Klaus-Thomas Kirstenpfad, Leiter des Amtes für Rechts-, Kommunal- und Ordnungsangelegenheiten, bestätigt.
Szene reicht von Extremisten bis Steuersünder
Die Szene ist sehr heterogen: Verschwörungstheoretiker finden sich ebenso wie Extremisten oder Leute, die einfach ihre Steuern nicht zahlen wollen. Alle aber eint eine Vorstellung: Deutschland würde als so genannte „BRD GmbH“ existieren und weiterhin von den Alliierten besetzt sein.
Eine Einordnung, die sich im Lagebild des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz zum Thema Reichsbürger findet. „Zudem“, heißt es in dem Papier weiter, „teilen die verschiedenen Personen und Gruppierungen die Annahme, dass das Deutsche Reich völkerrechtlich bis heute fortbestünde, die Bundesrepublik Deutschland keine Existenzberechtigung habe und demzufolge ihre verfassungsmäßige Ordnung, Organe und Institutionen keine Legitimation besäßen. Die BRD sei lediglich ein privatrechtlicher Verwalter oder eine Nichtregierungsorganisation (NGO) innerhalb des besetzten Gebietes.“
Erste Fälle im Landkreis vor knapp zehn Jahren
Dementsprechend würden Reichsbürger staatliche Maßnahmen beziehungsweise Aufforderungen beispielsweise zur Zahlung von Steuern und Beiträgen lediglich als Vertragsangebot ansehen, welches gemäß der privatrechtlichen Natur eines Vertrages abgelehnt werden könne.
Das Bornaer Landratsamt verzeichnete erstmals vor knapp zehn Jahren erste, vereinzelte Fälle. „Seitdem erreichen uns immer wieder Schreiben, in denen Verwaltungsakte und sonstige Amtshandlungen nicht anerkannt werden – immer vor dem Hintergrund der Wahnvorstellung, die Bundesrepublik Deutschland würde nicht existieren“, so Kirstenpfad. Auf diese Weise würde versucht, Mitarbeiter zu verunsichern. Die Kommunalaufsicht sah sich bereits zu mehreren Rundschreiben veranlasst, um die Gesetzeslage klarzustellen und die einzelnen Ämter über den empfohlenen Umgang mit dem Phänomen aufzuklären.
Auch auf die so genannte Malta-Masche wurde in einem Rundschreiben an alle Städte, Gemeinden und Zweckverbände im Landkreis Leipzig verwiesen. Damit wollen Reichsbürger Staatsbedienstete und Mitarbeiter von Behörden gezielt einschüchtern, indem sie in ein Register in den USA Geldforderungen eintragen lassen. Eine perfide Vorgehensweise, vor der auch das Bornaer Kommunalamt schon vor längerer Zeit warnte.
Landkreis verzeichnet 68 Anträge auf gelben Schein
Einige sogenannte Reichsbürger beantragen auch einen Staatsangehörigkeitsausweis. Als „gelber Schein“ bekannt, gilt er in der Reichsbürgerszene als einzig gültiges Ausweisdokument. Viele Antragsteller würden in ihm eine Art Ariernachweis sehen, erklären Politikwissenschaftler. Konkrete Zahlen, wie viele solcher Ausweise beim Landratsamt beantragt wurden, kann die Behörde seit 2013 nennen.
Seitdem vergeht kein Jahr, in dem sich vermeintliche Reichsbürger nicht auf das Gesetz aus dem Kaiserreich berufen, das es in der Form gar nicht mehr gibt. „Damals ging es mit einem Fall los. Mittlerweile wurden 68 Anträge auf Staatsangehörigkeitsnachweise von vermeintlichen Reichsbürgern registriert“, so Kirstenpfad. Im Jahr 2017 – dem zahlenmäßig auffälligsten – waren es allein 27 Fälle. In diesem Jahr gingen bereits zwei entsprechende Begehren von Reichsbürgern ein. „Alle Anträge wurden abgelehnt“, erklärt der Amtsleiter, „denn es gibt in den genannten Fällen auf Grund der zweifelsfrei bestehenden deutschen Staatsangehörigkeit keinen Grund, den Schein zu erteilen.“
Verfassungsschutz auch bei Fallen im Landkreis im Spiel
Anders liege der Sachverhalt, wenn einige Bundesländer für die Verbeamtung einen solchen Nachweis fordern oder wenn Fragen zur doppelten Staatsbürgerschaft zu klären sind. Sobald es aber nach Reichsbürgern riecht, kommt der Verfassungsschutz ins Spiel. „Jeder dieser Anträge, der bei uns eingeht, wird dem Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt.“
Im aktuellen Verfassungsschutzbericht wird die Zahl der Reichsbürger in Sachsen mit rund 1400 angegeben. Für den Landkreis Leipzig geht man laut Martin Döring, Sprecher des Landesamtes für Verfassungsschutz, aktuell von rund 60 Personen aus, darunter auch sogenannte Selbstverwalter. Als Hochburg gilt der Landkreis nicht. Schwerpunkte würden in Zwickau und Dresden liegen mit bis zu 200 Reichsbürgern.
Provokante Schreiben an die Behörden
In den Rathäusern sieht man sich ebenfalls mit diversen Schreiben von „Provisorischen Reichsregierungen“, „Reichskanzlern“ oder anderen erfundenen Gebilden konfrontiert. Vereinzelt ist es nach LVZ-Recherchen auch schon zur Abgabe von Personalausweisen gekommen. Weil sie die Bundesrepublik ablehnen, geben Reichsbürger an ihrem jeweiligen Wohnort ihre Personalausweise zurück - so geschehen in Machern. Was rechtlich nicht strafbar ist, wenn sie zum Beispiel noch über einen Reisepass verfügen. Sachsenweit sollen sich rund 120 Reichsbürger von ihren Dokumenten getrennt haben. „Eine Zahl für den Landkreis gibt es nicht, da hierzu keine Meldepflicht besteht“, sagt Kirstenpfad.
Anfrage von Grimma nach potenziellem Reichsbürger
Aktuell wird darüber spekuliert, ob Reichsbürger bei den jüngsten Kommunalwahlen auch den Sprung in die Parlamente geschafft haben. „Eine entsprechende Anfrage hatten wir aus der Stadt Grimma. Die Person streitet aber ab, Reichsbürger zu sein.“ Zum Schwur komme es folglich erst, so der Amtsleiter, wenn die neuen Räte auf die Gesetze der Bundesrepublik verpflichtet werden.
Von Simone Prenzel