Darüber, was Gewalt genau ist, darüber lässt sich durchaus diskutieren.
Galtung unterscheidet z. B. latente von manifester Gewalt, strukturelle von personaler Gewalt, es gibt aber auch andere Unterscheidungen. Dem rechtsanwendenden Juristen stellt sich die Frage danach, was Gewalt sei, durchaus im Zusammenhang mit verschiedenen Formen des Zwangs, der nicht die Form der "Handgreiflichkeit" annimmt.
Ist etwa das Verhalten von Leuten, die eine Sitzblockade durchführen, "Gewalt"? Die "naive" Antwort lautet, dass sie ja niemanden schlagen oder sonst verletzen. Wenn eine Sitzblockade allerdings dazu führt, dass z. B. ein Rettungswagen weiterfahren kann, bevor die Polizei jeden Sitzblockierer eigenhändig aus dem Weg getragen hat, dürfte sich die Sicht darauf schon ändern: Durch das Verhalten der Sitzblockierer wird ja tatsächlich das Leben oder die Gesundheit derjenigen gefährdet, zu denen der Rettungswagen durchdringen bzw. die er in ein Krankenhaus zur weitergehenden Versorgung bringen sollte.
Ein anderes Beispiel: Hinter einem geparkten Fahrzeug wird ein anderes so geparkt, dass das erste Fahrzeug nicht mehr wegfahren kann.
Nun braucht der Jurist nicht unbedingt den Begriff der Gewalt, um derartige Fälle rechtlich einzuordnen und zu beurteilen. Er kann sich mit Begriffen wie "Zwang", "verbotene Eigenmacht" oder "empfindliches Übel" behelfen oder auf die Kausalität eines Handelns für den eingetretenen Erfolg abstellen. So kann man in beiden Beispielen zweifellos feststellen, dass Zwang ausgeübt wird, der die Willensfreiheit (genauer: die Freiheit, dem eigenen Willen gemäß zu handeln) beeinträchtigt. Dass sich daraus u. U. auch ein empfindliches Übel ergeben kann, z. B. das Versterben eines Verletzten, der ohne den erwähnten Zwang hätte gerettet werden können, ist ebenfalls klar, zumal zwischen der Sitzblockade und der Verspätung des Rettungswagens bzw. zwischen dem Zuparken eines Wagens und der Unmöglichkeit, diesen weg zu fahren, offensichtlich Kausalität besteht.
Wenn wir nun auch noch "verbotene Eigenmacht" bejahen, sind wir schon ganz nahe am Gewaltbegriff, denn "Macht" und "Gewalt" sind in manchen Zusammenhängen austauschbar. Ich kann etwa eben so gut von "Staatsgewalt" wie von "Staatsmacht" sprechen.
Anders sieht es natürlich aus, wenn wir unter Gewalt nur etwas verstehen, was "handgreiflich" ist. Dann ist weder die Sitzblockade noch das Zuparken des Fahrzeugs aus obigen Beispielen Gewalt, denn es fehlt an "Handgreiflichkeit". Allerdings wird dies dadurch konterkariert, dass sowohl die Sitzblockade als auch das Blockade-Fahrzeug nur unter Aufwendung von "Handgreiflichkeit" aus dem Weg geräumt werden können. Betrachte ich die Frage der "Gewalt" eher juristisch, dann kann ich also behaupten, dass jegliches Tun, das auf einen Anderen Zwang ausübt, der nur durch ein gewisses Maß an "Handgreiflichkeit" überwunden werden kann, schon Gewalt darstelle. So betrachtet, ist weder eine Sitzblockade noch das Zuparken eines Fahrzeugs noch auch sonstige Blockade gleich welcher Art "gewaltlos", wie es immer gerne einmal behauptet wird.
Doch gerade hierin liegt der - eher fies zu nennende - Trick: Die "Handgreiflichkeit" und damit der Vorwurf, "Gewalt" auszuüben, wird durch derartige Blockaden dem zugeschoben, gegen den sie sich richtet. Das liegt ganz auf der Linie SBÖ: Man lässt das Bundesheer die Drecksarbeit machen (gut, hat nicht geklappt, das Bundesheer wollte irgendwie nicht mitspielen), man verweigert Steuern, bezahlt seine Schulden nicht, begleicht nicht die Rechnungen für Strom, Gas, Wasser, Abfallentsorgung usw., bis die Gegenpartei gezwungen ist, mit den Mitteln der Staatsgewalt seine Ansprüche durchzusetzen. Dann ruft man "Gewalt! Gewalt!" und stellt sich als armes, aber ach so friedfertiges Opfer dar.