Die Videos und Posts der letzten Tagen brachten ja immer mehr Wahnsinn zu Tage. Jetzt scheint es "geknallt" zu haben...
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Betreiber liegt verletzt im Krankenhaus: Neue Rätsel um Sekte im Fitnessstudio
Kreis Gütersloh. Dramatische Szenen sollen sich am Samstag an der Wohnung von Juri Nasirow, des Betreibers des Harsewinkeler Fitnessstudios „Elite", abgespielt haben. Nach Informationen dieser Zeitung soll der Mann mit mutmaßlich selbst zugefügten Verletzungen ins Krankenhaus gebracht und operiert worden sein. Das Studio, in dem sich eine Sekte breit gemacht hat, ist seit Montag geschlossen.
Die Polizei in Gütersloh bestätigte auf Anfrage, dass es am Samstag einen „gefahrenrechtlichen Einsatz" von Beamten der Kreispolizeibehörde gegeben habe. Nach Informationen dieser Zeitung soll ein Bekannter des Betreibers die Polizei angerufen haben. Er habe von Nasirow erfahren, dass dieser seinen Kindern etwas antun wolle.
Blutend und in verwirrtem Zustand
Die alarmierten Beamten fuhren daraufhin mit mehreren Fahrzeugen zur Wohnung von Juri Nasirow in Herzebrock-Clarholz, wie der Sprecher bestätigte. Die Frau und die Kinder des Mannes seien entgegen ersten Befürchtungen wohlauf vorgefunden worden. Nasirow selbst sei außerhalb der Wohnung blutend und in einem verwirrten Zustand angetroffen worden. Notarzt und Notfallambulanz wurden alarmiert, der Mann in ein Krankenhaus gefahren.
Juri Nasirow leitet seit einigen Jahren das Fitnessstudio in Harsewinkel. Im vergangenen Jahr im Mai hatte dieses Aufsehen erregt, als dort Mitglieder der „Erbengemeinschaft Jakob" eingezogen waren. Seit Montag ist das Studio geschlossen. Mehrere DIN-A-4-Zettel sind von innen an die Scheiben geklebt. „Vorübergehend geschlossen", steht dort drauf. Verbunden mit dem Hinweis, dass das Studio geschlossen bleibe, solange der Betreiber nicht da sei. „Das Betreten des Privatgrundstücks ist auf Anordnung des Besitzers bis auf weiteres untersagt", heißt es dort weiter.
"Es hat Völkermord stattgefunden"
Ergänzt wird die Warnung von einer weiteren dieser undurchsichtigen Botschaften, die seit dem Einzug der „Erbengemeinschaft Jakob" regelmäßig aus dem Studio dringen. „Es hat Völkermord stattgefunden, VStG 8, Art. 6. Die Bürgermeisterin Sabine Amsbeck und die Polizei Harsewinkel sind involviert. Eine Anzeige liegt bei Innenminister Horst Seehofer vor." Der Duktus des Schreibens führt zu Ulf Diebel. Der Wortführer der Erbengemeinschaft, der sich als "Priester nach der Ordnung Melchizedek" bezeichnet, hatte seinen Einfluss auf Nasirow ausgeweitet und innerhalb des Studios die Botschaften seiner „Glaubensgemeinschaft" auf Plakaten und anhand von Videobotschaften im Internet verbreitet.
Unter anderem griff Diebel Bürgermeisterin Sabine Amsbeck-Dopheide und Landrat Sven-Georg Adenauer mehrfach an. Die Anwürfe richteten sich auch gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel, weitere Mitglieder der Bundesregierung, den Papst, diverse US-Präsidenten, denen er eine „gemeinschaftliche Verschwörung" vorwirft. Amsbeck-Dopheide wollte sich am Dienstag zu den Vorkomnissen nicht äußern. Auf die Machenschaften im Studio hin hatten im Vorjahr viele Nutzer ihre Verträge gekündigt. Auch ein Fitnesstrainer, der dort als Honorarkraft angestellt war, hatte sich angesichts der religiös verbrämten Machenschaften abgesetzt. Ein weiterer Nutzer, der dort ein Aufbautraining in Form von elektronischer Muskelstimulanz anbot, zog im Januar aus.
"Du bekommst keine zweite Chance"
Den Kreis der Auserwählten, die das Fitnessstudio noch betreten durften, hatten Masirow und Diebel seit Montag ohnehin schon stark eingeschränkt und mit einem weiteren Plakat öffentlich gemacht. „Sehr geehrte Mitglieder. Ab heute gibt es nur noch mit einer Lebendmeldung bei der Erbengemeinschaft Jakob Zutritt."
Der Weg zum angeblichen Seelenheil führt über das Internet. Auf der angegebenen Seite „zion5777.com" stößt man auf ein Portal, das bei Anmeldung gegen die Zahlung von 100 Euro die Befreiung von allen Schulden und den Zugang zu der ominösen Erbengemeinschaft verspricht. „Jeder Deutsche wird mit 25.000 Euro Schulden geboren", mahnt die Seite. „Du bekommst keine zweite Chance. Wer sich nicht einträgt, wird nicht erben, sondern beerbt werden."
Staatsschutz ermittelt gegen religiöse Eiferer in Fitnessstudio
Polizei und Staatsschutz haben nach Hinweisen der Stadt im vergangenen Jahr ermittelt. Staatsgefährdende Tätigkeiten wurden nicht bestätigt. Wir haben mit Nasirow und Diebel gesprochen.
Die Vorwürfe reichten von "reichsbürgerähnlichem Verhalten" über illegales Wohnen in dem Gebäude bis hin zu Rauschgiftkonsum, wie die Polizeistelle Gütersloh bestätigte. Insider, die das Fitnessstudio gut kennen, bestätigten gegenüber dieser Zeitung diese Angaben. Zudem liegen dem Ordnungsamt der Stadt Fotos vor, die diese Verdachtsmomente untermauern.
Wer mit dem eher zurückhaltenden 34-jährigen Juri Nasirow, und dem 51-jährigen, wortgewandten Ulf Diebel spricht, bekommt schnell eine Ahnung, dass die beiden Männer sich ein ganz eigenes Gedanken- und Weltbild aufgebaut haben. Juri Nasirow, der Diebel vor dreieinhalb Jahren kennenlernte und sich von dessen Theorien offensichtlich vereinnahmen ließ, wehrt sich gegen die in seinen Augen "schiefe Darstellung" in einem veröffentlichten Zeitungsbericht, wonach es sich bei der "Erbengemeinschafts Jakobs" um eine Sekte handele. "Nach der Definition ist jede Partei eine Sekte", versucht er zu relativieren.
Er sieht sich durch den Bericht in einem sehr negativen Licht dargestellt. Seit der Veröffentlichung "explodiere" sein Mobiltelefon und sein E-Mail-Konto. Er zeigt mehrere Dutzend Hassmails mit nicht druckfähigen rassistischen und antisemitischen Beschimpfungen und Drohungen, die er alleine gestern bekommen hat. "Meine Frau hat Angst und traut sich schon nicht mehr auf die Straße", sagt er.
Schon in den Wochen davor haben nach Informationen dieser Zeitung viele Kunden ihren Vertrag bei "Elite" gekündigt, weil Gerüchte um die angebliche "Sekte" lauter wurden. Deren Erscheinungsbild ist im Studio in den vergangenen Wochen unübersehbar geworden und hat viele Besucher verschreckt.
Dort hat Ulf Diebel nach Einschätzung von Michael Bergholz vom Ordnungsamt der Stadt Harsewinkel immer mehr an Einfluss gewonnen. Von "Drangsalieren der dort trainierenden Gäste", ist in einem Dossier die Rede, das Bergholz über die Vorgänge in dem Studio zusammengestellt und an die Polizei weitergeleitet hat. Laut Aussagen des Personals stünde Nasirow "wohl schon unter dem Einfluss von Diebel", ist dort zu lesen.
So ist die Situation im "Elite Healthcare"
Der Eindruck bestätigt sich beim Besuch bei "Elite Healthcare". In der hintersten Ecke des Studios hat sich Diebel, der bis zu dessen Zwangsräumung im Mai in Iserlohn das "EPHI"-Zentrum führte, ein eigenes pseudoreligiöses Domizil eingerichtet. Auf einer riesigen schwarzen Tafel entwirft er ein monströses Schaubild. Auf diesem sind Fotos von Politikern, Unternehmern und Religionsführern aufgeklebt. Da finden sich Donald Trump, den er als zentralen Schuldigen des "Systems" mit einer Ein-Dollar-Note markiert hat, und dessen halbes Kabinett wieder. Papst Franziskus ist zusammen mit hohen jüdischen Würdenträgern zu sehen. Angela Merkel, Wladimir Putin und Queen Elisabeth - mehr als 60 Personen kommen vor.
Darunter auch die heimischen Wirtschaftsführer Thomas Rabe (Bertelsmann) und Helmut Claas. Dazwischen: Sabine Amsbeck-Dopheide. Harsewinkels Bürgermeisterin hatten Juri Nasirow, der auch im Flüchtlingsrat der Stadt mitarbeitet, und Diebel vor einigen Tagen einen denkwürdigen Besuch abgestattet. "Neben dem Bezug auf die eigentümlich anmutende "Religionsgemeinschaft" ist auffällig, dass Ulf Diebel die Bürgermeisterin im Gespräch als Chefin des "Unternehmens Harsewinkel" bezeichnete", hat Michael Bergholz darüber notiert.
Diebel vertritt Verschwörungstheorien
Das passt zu Diebels Verschwörungstheorien. "Die stecken alle in dem System unter einer Decke", sagt er. Der Mann, der eben noch so eloquent, sanft und zugleich eindringlich spricht, redet sich in Rage, wird laut, poltert gegen die "Schuldigen", die vorgäben, nach den Idealen der Bibel zu leben, aber genau dies nicht täten. "Allen diesen Leuten habe ich einen Brief geschrieben, in dem ich diese auffordere, endlich für Gerechtigkeit zu sorgen", sagt er und legt zum Beweis Kopien der Schreiben an Volker Kauder und Innenminister Horst Seehofer vor. Antworten hat er keine bekommen.
Und dann legt der Mann, der sich "Ephraim" nennt, seine tieferen Beweggründe für seinen eigenen Kreuzzug gegen den Rest der Welt dar: Ausgangspunkt seiner Mission sei der Streit mit seiner Ex-Ehefrau, einer Äthiopierin mit israelischer Staatsbürgerschaft, erzählt er entwaffnend offen. Keine Behörde der Welt habe ihm in dem Streit geholfen. "Mit Juri habe ich nun einen Menschen getroffen, dem ähnlich Schreckliches widerfahren ist", erklärt er. Nasirow spricht bereitwillig über seinen Streit mit der benachbarten Evangeliums Christen Gemeinde. In der ist er groß geworden. "Als ich das Fitnessstudio aufgemacht habe, wurde ich verstoßen", erzählt er.
Ulf Diebel will seinen Weg weitergehen. Ob er sich als einen "Auserwählten" sehe? Er antwortet mit Nachdruck: "Selbstverständlich!"
Staatsschutz stellt Ermittlungen ein
Die Vorwürfe gegen den Betreiber Juri Nasirew und dessen Berater Ulf Diebel haben sich im Hinblick auf staatsgefährdende Umtriebe nicht bestätigt. Diesbezüglich gab Achim Ridder, Pressesprecher der Polizei in Bielefeld, am Donnerstag gegenüber der Neuen Westfälischen Entwarnung. „Wir haben das geprüft. Diese Leute haben nach jetzigem Erkenntnisstand nichts mit politischen Dingen zu tun", erklärte Ridder.
Ausgangspunkt der Vermutungen waren unter anderem die Recherchen des Ordnungsamtes Harsewinkel gewesen, die ihre Erkenntnisse an die Polizeibehörden in Gütersloh und Bielefeld weitergegeben haben. Denn Nasirew und Diebel sprechen immer wieder von der „Deutschland GmbH". Ein Duktus, den auch die sogenannten „Reichsbürger" verwenden. Diese erkennen die Ordnung der Bundesrepublik nicht an.
Sprache der "Reichsbürger" als Anhaltspunkt
Auch der rege Briefverkehr, den Diebel Zudem hatte sich Nasirow in Begleitung von Diebel an die Bürgermeisterin Sabine Amsbeck-Dopheide gewandt. In einem Gespräch hatten beide diese gebeten, zugunsten Juri Nasirows Hilfe wegen eines Facebook-Eintrags, Geschäftsschädigung und Mobbing nach dessen Austritt aus der Evangeliums-Christen-Gemeinde zu leisten.
„Neben dem Bezug auf die eigentümlich anmutende „Religionsgemeinschaft" ist auffällig, dass Ulf Diebel die Bürgermeisterin als Chefin des „Unternehmens Harsewinkel" bezeichnete", schreibt Andreas Bergholz vom Ordnungsamt in seiner Gesprächsnotiz.
Kreis prüft Hinweise auf unberechtigtes Wohnen im Studio
Die Stadt Harsewinkel hat im August 2018 den Kreis Gütersloh eingeschaltet, wie Pressesprecher Jan Focken bestätigte. „Wir prüfen, ob dort Wohnen möglich oder erlaubt ist", erklärte Focken. Grundsätzlich sei das Wohnen in einem Gewerbegebiet, wie es auch für das Areal des Studios am Prozessionsweg ausgeschrieben ist, nichts Ungewöhnliches. Ob es zu der von der Stadt Harsewinkel gewünschten „schnellstmöglichen Beendigung der illegalen Gebäudenutzung zu Wohnzwecken" kommt, ist derzeit offen.
Gegenüber dieser Zeitung geben die in dem Studio wohnenden Männer ohne Umschweife zu, hier untergekommen zu sein. „Wir sind Flüchtlinge", erklärt Alexander Horn ernsthaft. Der junge Mann stammt nach eigenen Angaben aus Leipzig und wohnte zuletzt mit Diebel und weiteren Anhängern der „Erbengemeinschaft Jakobs" in dessen religiösem „EPHI"-Zentrum in Iserlohn. „Wir wurden vertrieben, wo sollten wir denn sonst hin?", verweist Horn auf die dort am 28. Mai erfolgte Zwangsräumung, mit der sich die Stadt Iserlohn der schwierigen Klientel entledigte. Dort führten mangelnde Brandschutzvorkehrungen zur Auflösung des Zentrums.
Bei Nasirow, den er seit 2014 kennt, sind Diebel und seine Jünger nun seit knapp einem Jahr gestrandet. Nicht ohne Folgen, wie Mitglieder und Insider des früher sehr anerkannten Fitnessstudios erklären. „Sehr viele Studionutzer wollen raus", sagt ein Harsewinkeler, der selbst Kunde dort ist und zum 31. Dezember 2018 gekündigt hatte.
Die Kunden stört
der religiös
verbrämte Auftritt
Wie viele andere hat er die Vorzüge des früher gut geführten Studios über Jahre genossen. Jetzt störe viele der religiös verbrämte Auftritt im hinteren Bereich des Studios. In dem hat sich wie berichtet Ulf „Ephraim" Diebel mit seiner Befreiungsbewegung breit gemacht. „Die Leute können das doch einfach ignorieren", hält der den Kritikern entgegen. Doch die Vereinnahmung ist vielen wohl zu massiv.
Nutzer haben Verträge
bis zu zwei Jahren unterschrieben
„Juri vernachlässigt sein Studio, seitdem er mit Ulf Diebel zu tun hat", stellt einer der langjährigen Kunden fest. Viele pochten nun auf ein Sonderkündigungsrecht, weil sie sich von den religiösen Machenschaften belästigt fühlen. Zudem rieche es immer wieder nach Cannabis. Ein Hinweis, zu dem die Polizei ermittelt, nachdem sich Eltern von dort trainierenden Jugendlichen beschwert haben.
Für einen Moment hat es den Anschein, als wenn Juri Nasirow ins Überlegen kommt, als er sich Gedanken über die wirtschaftlichen Konsequenzen seiner eingeschlagenen religiösen Richtung macht. In diesem Moment geben zwei ältere Damen, ebenfalls Nutzerinnen des Reha-Angebotes in seinem Studio, ihre Mitgliedskarten und Kündigungen ab. Die Kopien des Schreiben lassen sie sich sicherheitshalber quittieren.
Möglicherweise erlebt Nasirow gerade eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Seine letzte Hoffnung ist nun wohl wirklich Ulf Diebel, alias Ephraim. Der fordert nach 3, Mose 25 „den totalen Erlass aller monetären Schulden und die Neuordnung des Finanzsystems."