Nun schreiben wir hier weder Buch noch Rechtsgeschichte, es ist eher ein Fortsetzungsroman, von dem ich anfangs annahm, er sei in drei Wochen durch.
Wir auch. Zumindest mich frustriert das übrigens.
Man kann nicht einen Rechtsstaat auf die Prämisse gründen, dass wir im Zweifelsfall eben einfach "Gefahr im Verzug" rufen.
Den Rechtsstaat gründen wir, extrem verkürzt dargestellt, auf der Prämisse, dass auch der Staat Recht und Gesetz unterworfen ist und sich daran zu halten hat. Weiterhin muss sich jedes staatliche Handeln auf eine Rechtsgrundlage zurückführen lassen.
Mit dem Grundsatz "im Zweifelsfalle rufen wir »Gefahr [im Verzug]!«" ist das Polizeirecht (besser: Gefahrenabwehrrecht) übrigens recht treffend umschrieben. Lies mal das
Sicherheits- und Ordnungsgesetz Sachsen-Anhalt (SOG LSA). Der Gerichtsvollzieher hatte gegen Ursache eine Räumung zu vollziehen. Ursache hatte ihn im Vorfeld damit bedroht, ihn "wie eine Sau" abzustechen. Das SOG LSA betrachtet allein das Vorliegen dieser Umstände mindestens als erhebliche abstrakte, angesichts der sonstigen Vorgeschichte Ursaches wohl eher als erhebliche konkrete Gefahr. Die Polizei hatte somit die (gesetzliche) Aufgabe, diese Gefahr abzuwehren, d.h. dafür zu sorgen, dass Ursache den Gerichtsvollzieher gerade nicht absticht. Von den von Dir angesprochenen Haftbefehlen ganz zu schweigen.
Das hat sie getan. Ohne, dass Ursache (dem ich einen entsprechenden "Plan" durchaus zu unterstellen gewillt bin) zu Tode kam.
Oder komplizierter gesagt ein Zusammenfassung der Aussage eines Polizisten: Warum sind Sie denn auf das Grundstück? Weil er die Pistole hatte. Haben Sie die denn von draußen gesehen? nein. Warum sind Sie denn dann auf das Grundstück? Wegen der Pistole. Aber die haben Sie doch nicht gesehen. Doch, als wir auf den Grundstück waren schon.
Das liest sich wie die Bilderbuchbegründung, warum der Rechtsfinder so selten positive Worte über Polizisten verliert.
Dennoch überzeugt mich die Relevanz der Grundstücksfrage nicht. Denn die Personen auf dem Nachbargrundstück waren als Störer zu beurteilen. Selbst wenn sie als nicht verantwortliche Personen i.S.d. § 10 SOG LSA zu qualifizieren gewesen wären – was sich mir auf Grundlage der mir bekannten Faktenlage (erneut…
) nicht erschließt – so wäre eine Beeinträchtigung meines Erachtens nach vom Polizeirecht gedeckt gewesen.
Eine persönliche Anmerkung: Die Videos haben mein Vertrauen in die Polizei gestärkt und nicht etwa geschwächt. Das, was ich gesehen habe, war weitenteils einwandfreies taktisches Vorgehen, eine hohe Geduld und beachtliche Stress-Resistenz. Da ist nichts passiert. Ich habe da zu mehr als einer Gelegenheit in mehr als einem Bundesland ganz andere Erfahrungen mit Polizisten gehabt.
Das war dann auch noch das falsche Grundstück und die Kollegen wussten das nicht mal... Okay, man kann jeden einzelnen Punkt davon wegwischen, das passiert halt im Gedränge.
Wie gesagt, die Grundstücksfrage halte ich für einen roten Hering. Spätestens nach den Ereignissen am Vortag waren sämtliche Anwesenden um das Haus herum zumindest als potenzielle Störer zu betrachten.
Aber geballt? Beamte, die Handys klauen? Ohne Protokoll, ohne auch nur den Besitzer zu vermerken?
Das ist in der Tat nicht gut. Gar nicht gut. Ich hoffe, dass das dienstrechtliche Konsequenzen nach sich gezogen hat.
Beamte, die beim Betreten eines fremden Grundstückes & Hauses nicht nur kein Schriftstück in der Hand haben, das ihr Vorgehen legitimiert, sondern die auch nicht mal "Polizei!" rufen oder so ein Schriftstück auch nur von fern gesehen haben?
Auch wenn es sich vielleicht für Krimis schlecht macht: Polizisten haben nicht die Pflicht "Polizei!" zu rufen, wenn sie irgendwo hin oder hineingehen. Bereits ihre Uniform (und im vorliegenden Fall auch die Bewaffnung und ihre Anzahl) sorgt dafür, dass sie als das erkannt werde, was sie sind. Das ist keine Bringschuld. Ganz im Gegenteil, es ist eine Holschuld; ein Polizist muss seinen Ausweis erst dann vorzeigen, wenn das von ihm verlangt wird (§ 12 SOG LSA) und das auch nur, wenn es den Zweck der Maßnahme nicht gefähren würde (angesichts des Einsatzszenarios wohl erst nach der Festnahme).
Ein Schriftstück brauchten sie auch nicht. Ihr Vorgehen wurde vom Gesetz legitimiert. Denn der Störer, der angedroht hatte, andere "wie eine Sau" abzustechen, und der dann mit einer Waffe herumfuchtelte, hatte ja Freunde dabei. Freunde, die vorher unter Gejohle ein Fahrzeug mutmaßlicher Staatsbediensteter unter Gejohle verjagt hatten. Die waren also auch als Störer zu betrachten. Und die gingen im Haus ein und aus. Und hatten teilweise langstielige, Schneidflächenbewehrte Gartengeräte, mit denen sie ggf. auch drohten (vgl. im Video "die Schwiegermutter hat wieder die Stange mit dem Messer"). In der sich hier zeigenden Gemengelage reicht bereits Gefahrenabwehrrecht dazu aus, ein Haus zu betreten und dafür zu sorgen, dass sich dort keine weiteren Störer, am Ende noch bewaffnet, verborgen halten.
Nein, da muss man aus meiner Sicht schon mal fragen dürfen.
Klar muss man das fragen dürfen.
Dass der Einsatz trotz wohl einiger Fehler kein "Desaster" für sich war, muss man aber sagen dürfen.
Toll. Jetzt haben wir "das muss man doch mal sagen dürfen!"-Rhethorik benutzt. Das ist der Punkt, wo ich mich nicht richtig seriös fühle.Was Jalloh betrifft, merkst du selbst. Ungeachtet der Person, immer. Sonst wird es Willkür, automatisch.
Oury Jalloh wurde aller Wahrscheinlichkeit nach in Polizeigewahrsam getötet, sehr wahrscheinlich auch in hilflosem Zustand.
Ursache hat einen Polizeizugriff, den zu provozieren er sich vorher nach Kräften bemüht hatte, überlebt, obwohl er die Beamten im Zuge des Einsatzes mit einer Schusswaffe bedroht hat.
Selbst wenn sich die Polizei in beiden Fällen Fehlverhalten entgegen halten lassen muss, so liegen zwischen den beidne Fällen dennoch Welten. Ich bleibe dabei: Ursache mit Jalloh auf eine Stufe zu stellen, ist geschmacklos.
An die geschätzten Mitforisten ergeht hiermit die Bitte, das Karma des
@stk heraufzusetzen. Wenn nicht aus eigenem Antrieb, dann stellvertretend für mich; mein Kontingent für ihn ist nämlich ausgeschöpft. Danke.