Einmal mehr, obwohl alt (1992)
Marburger Erklärung zur Homöopathie, Teil I
(Beschluss des Fachbereichsrates vom 2.12.1992)
Nach den Plänen des Institutes für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen soll die
„Homöopathie“ Teil des Gegenstandskataloges für das Medizinstudium werden. Wir sagen hierzu
nein.
Der Fachbereich Humanmedizin der Philipps-Universität Marburg verwirft die Homöopathie als
eine Irrlehre. Nur als solche kann sie Gegenstand der Lehre sein. In diesem Sinne reicht das
Lehrangebot in Marburg aus. Wir sehen jedoch die Gefahr, dass man von uns „Neutralität“ und
„Ausgewogenheit“ in diesem Stoffgebiet fordern wird, und sind nicht bereit, unseren dem logischen
Denken verpflichteten Standpunkt aufzugeben zugunsten der Unvernunft. Wir betrachten
die Homöopathie nicht etwa als eine unkonventionelle Methode, die weiterer wissenschaftlicher
Prüfung bedarf. Wir haben sie geprüft. Homöopathie hat nichts mit Naturheilkunde zu tun. Oft
wird behauptet, der Homöopathie liege ein „anderes Denken“ zugrunde. Dies mag so sein. Das
geistige Fundament der Homöopathie besteht jedoch aus Irrtümern („Ähnlichkeitsregel“; „Arzneimittelbild“;
„Potenzieren durch Verdünnen“). Ihr Konzept ist es, diese Irrtümer als Wahrheit
auszugeben. Ihr Wirkprinzip ist Täuschung des Patienten, verstärkt durch Selbsttäuschung des
Behandlers.
Wir leugnen nicht, dass sich mit „Homöopathie“ mitunter therapeutische Wirkungen erzielen lassen,
wobei es sich um so genannte Placebo-Effekte handelt. Nun könnte man einwenden: was
scheren uns Wirkprinzip und geistiges Fundament, wo es doch allein auf den Effekt ankommt.
Nach dieser Logik müssten unsere Medizinstudenten auch in folgenden Gegenständen unterrichtet
und geprüft werden:
Irisdiagnostik; Reinkarnationstherapie; astrologische Gesundheitsberatung (Bedeutung der Sternzeichen
für die Neigung zu bestimmten Krankheiten). Mit all diesen Methoden, deren Wirkprinzip
die Täuschung ist, lassen sich nicht nur therapeutische Effekte, sondern auch beträchtliche
Umsätze erzielen. Mit den geistigen Grundlagen der Philipps- Universität Marburg sind diese Methoden
ebenso wenig vereinbar, wie es die „Homöopathie“ ist.
Wir behaupten keineswegs, dass die von uns vertretene Wissenschaft alles erforschen und erklären
kann; wohl aber versetzt sie uns in die Lage zu erklären, dass die Homöopathie nichts erklären
kann. Ein der Allgemeinheit von interessierter Seite eingeredeter Aberglaube mag dies anders
sehen und sich Ausgewogenheit und Zusammenarbeit zwischen „Homöopathie“ und „Allopathie“
wünschen. Richtschnur unseres Handelns ist aber nicht ein in der Bevölkerung lebender
und publizistisch geschürter Aberglaube, sondern die menschliche Vernunft, die uns sagt, dass
die Worte „Homöopathie“ und „Allopathie“ nicht etwa einen Gegensatz, sondern eine einzige
unsinnige Begriffswelt bezeichnen. Wir weisen darauf hin, dass an der Philipps- Universität Marburg
auch keine „Allopathie“ gelehrt wird.
Wenn unsere Universität sich dazu zwingen ließe, den Lehrgegenstand „Homöopathie“ in neutralem
Sinne anzubieten, würde sie ihren Auftrag verraten und ihre geistige Grundlage zerstören.
Eine neutrale Ausbildung in „Homöopathie“ findet deshalb nicht statt und ist auch nicht einklagbar.
Die Philipps-Universität Marburg wird darüber wachen, dass ihren Studenten aus dieser
Haltung keine Nachteile bei Prüfungen erwachsen.