[...] Es redet doch niemand mehr wirklich von Schuld, wie auch, die Leute, die sich damals schuldig gemacht haben, sind, bis auf ganz wenige schon längst ausgestorben. Selbst in meiner Heimat, die unter den Nazis wirklich zu leiden hatten (unsere Insel wurde fast vollständig evakuiert, dann die Deiche eingerissen, damit die Insel vollief, Häuser standen zum großen Teil unter Wasser, die Äcker waren auf Jahre versalzen...), gibt niemand, selbst die ganz Alten den heutigen Deutschen daran die Schuld, warum auch? [...]
Nerling jedoch scheint diese Schuld, vor seiner Bekehrung zu einem (verkappten) Nazi und Antisemiten (und daran ist, glaube ich, nichts aufgesetzt - er ist zum Überzeugungstäter mutiert), als etwas sehr Persönliches aufgefasst zu haben. In seiner Ansprache in Dresden vor einem Jahr am 17.2.2018 äußerte er sich zu dieser ‘Schuld‘, die sich offensichtlich in ihn eingefressen hatte.
[…] seit ich Hetzefrei habe (damals vom Schuldienst suspendiert) habe ich keinen Rückenschmerzen mehr, ich war tatsächlich geplagt über mehrere Jahren von chronischen Rückenschmerzen […] wenn man so ein bisschen nach vorne gebeugt gehen muss. Und das ist jetzt weg, ich gehe jetzt aufrecht, und dieses Aufrechtgehen, das habe ich auch vor allem dem zu verdanken, dass die Schuld von meinen Schultern gerutscht ist, die Schuld, mit der ich aufgewachsen bin, die mir aus jeder Ecke eigentlich entgegensprang, die mich aufgelauert hat, wo ich war, ob ich Zeitungen gelesen hab, ob ich Fernsehen gesehen hab, ob ich mit meinen Freunden gesprochen hab, mit meiner Familie, alle haben diese Schuld so in sich gehabt, und es war für sie so identitätsstiftend, fast wie eine Monstranz, die sie vor sich her getragen habe, die man ihnen nicht nehmen sollte, und ich war von dieser Schuld auch wirklich niedergedrückt […]
Die radikale und abstoßende ‘Ent-schuldigungs‘-Strategie, die er in seinen Posts verfolgt (verwischen des in den Schnee buchstabierten Wort ‘Schuld‘ vor den Toren des KZ Dachau oder die ‘Schuld‘, die er einfach ins Klo ‘kippt‘), scheint, zu mindestens teilweise, eine persönliche Abrechnung mit dieser von ihm als ‘niederdrückend‘ gefühlten ‘Schuld‘ zu sein, damit er jetzt als ‘Aufrechter‘ durchs Leben schreiten kann.
Und ob er noch einen Weg aus der Sackgasse findet …? Man darf es hoffen; fürchte jedoch, dass er sich vollends ins Abseits katapultiert hat.