Erfreulich resigniert. Sellner beginnt wohl langsam zu realisieren, dass die Party von ihm und seinesgleichen sich dem Ende nähert. Sie hatten ihren Lauf, sie hatten mehr als ein ganzes Jahrzehnt in dem sich alles in ihrem Sinne zu entwickeln schien. Sie waren lange Jahre die politischen Könige der neuen Medien. Sie haben ihren Hass hohnlächelnd zur Meinungsfreiheit deklariert und ohne jede Scheu von der digitalen Globalisierung profitiert. Sie haben Netzwerke der Verleugnung und Manipulationswaffen geschaffen von denen ihre geistigen Urväter nur träumen konnten. Sie mussten in keinem Sportpalast mehr fragen, ob ihre Anhänger die totale Lüge wollen. Sie konnten jede Lüge direkt und ungefiltert Millionen von Schlafschafen vorsetzen sowie darauf vertrauen, dass ihre Mittäter die Lügen so oft wiederholen und weiter verbreiten würden bis sie zu einer zumindest alternativen Wahrheit wurden.
Ihre Sturmtruppen waren die mit Abstand politisch erfolgreichsten Akteure der neuen Medien. Sie haben die von der Technologie verliehene Selbstermächtigung, die plötzlich jedem ermöglichte, ein Massenmedium zu sein am geschicktesten genutzt und so gnadenlos wie es ihnen möglich war ausgenutzt. So dass es letztlich kein Wunder war, dass ihnen ihre mediale Omnipräsenz zu Kopf gestiegen ist und sie daraus grob fälschlich abgeleitet haben, dass eine reale Mehrheit hinter ihnen stünde.
Soll Sellner doch ruhig auf die Marktplätze und die Straßen ziehen. Soll er in der tausendfach wabernden Echokammer nach den Aktivisten, nach der Mehrheit schreien. Er wird sich wundern wo all die Indianer hin sind, wenn er mit seinen neuneinhalb Hanseln allein auf einem Platz steht, wo die reale Mehrheit vieltausendfach nur mit einem ärgerlichen Kopfschütteln an den gefühlt doch so heroischen Führern der neuen Elite vorbei läuft. Mit ganz viel Tamtam und Trara bringt er vielleicht auch mal ein paar hundert auf die Straße. In Städten in denen hunderttausende wohnen.
Wobei die Internationale des Irrsinns, die populistischen und rechtsextremen Kräfte durchaus auch reale Erfolge vorzuweisen haben. Der Brexit, Trump, Höcke, Johnson. Bolsonaro und andere Personen und Entwicklungen wären ohne das Jahrzehnt des ungezügelten virtuellen Polit-Wildwests überhaupt nicht vorstellbar. Und es hat auch strukturelle sowie psychologische Gründe warum diese Formen der Propaganda mit rechtsgewirkten Ideologien besonders gut harmonieren und sehr wirkungsvoll sein können.
Schon Hitlers Aufstieg war beinah untrennbar mit seiner virtuosen Nutzung der damals neuen Medien verbunden. Adolf ohne seine im Rundfunk übertragene Reden? Adolf ohne seine stilisierten Verherrlichungen in der Wochenschau? Adolf ohne die bis heute ikonographischen Filme von Leni Riefenstahl und anderen? Ja. So undenkbar wie Donald Trump ohne Twitter. Oder wie die ganze Garde der Rechtsgroßmäuler ohne YouTube und ohne Facebook.
Aber letztlich bleibt immer das Medium die Botschaft und wir Menschen lernen mehr oder weniger schmerzhaft den richtigen oder wenigstens besseren Umgang mit all den fantastischen Werkzeugen, die wir erschaffen haben. Die Zauberlehrlinge aus dem Hightech-Elfenbeinturm beginnen ihre Fehler zu erkennen und einzusehen. Und die Mehrheit der Gesellschaft fordert immer deutlicher wohlabgewogene Reglementierungen, weil die erwünschte Meinungsfreiheit eben nicht darin besteht, dass einem auf jedem virtuellen Markt- und Tummelplatz gleich zehn Lügenswäns die Ohren zutröten. Ein Sellner mag dann wehmütig an die vergifteten Hochzeiten von früher denken. Wir werden sie gewiss nicht vermissen.
Und im großen Maßstab hoffe ich nicht ohne Grund, dass die oben genannten "Erfolge" zu einer Kartasis führen. Dass all diese auffällig einzelnen Personen scheitern, weil man mit Lügen zwar eine Wahl gewinnen aber kaum dauerhaft eine Demokratie regieren kann. Es scheint als ob der Zenit bereits weit überschritten ist. Hoffen wir auf ein baldiges Ende dieser Pandemie und dass dann daraus die richtigen Lehren gezogen werden.