Sellners Beweisführung wird konstant lauter und verbohrter. Denn bei genauerer Betrachtung widerlegen seine geschichtlichen Exkurse die böse aber hanebüchene Mär vom Bevölkerungsaustausch und der Umvolkung.
Da sind doch einst die Hugenotten in hellen Scharen nach Brandenburg-Preußen geflohen und wurden von dem gar nicht ausländerscheuen König gar noch dazu ermuntert. Obwohl es strenggläubige Calvinisten waren, die nur in fremder Zunge sprachen und eine damals noch viel fremdere und unbekannte Kultur in die Mark Brandenburg mitbrachten. So dass selbst ein deutsches Urgestein wie Theodor Fontane angelegentlich über diese Migranten gelästert hat. Und natürlich sind damals zeitweilig hugenottische Parallelgesellschaften entstanden.
Und obwohl die Historiker sich einig sind, dass nur die Einwanderung Berlin von einem "gottverlassenen Ackerbaustädtchen" zur späteren Metropole hat erblühen lassen, ist heutzutage in keiner Form zu erkennen, dass die Brandenburger und Berliner zu Franzosen geworden wären, fremdem Einfluss unterliegen oder mit großer Frömmigkeit dem pietistischen Calvinismus frönen. Nix Austausch oder Verdrängung!
Vielmehr haben die Einwanderer Deutschland bereichert. Einige Worte und Begriffe, ein künstlerischer und wissenschaftlicher Einfluss, Beiträge zur deutschen Küche und eine Menge Namen, die auf die ehemalige Herkunft hindeuten. Aber Deutschland ist deutsch geblieben.
So wie auch das Ruhrgebiet ein gutes Jahrhundert später in noch größerem Maß von Slawen bevölkert worden ist, als die dort entstehenden Industrien nach Arbeitskräften gierten und die Lebensbedingungen im Osten so erbärmlich waren, dass viele freiwillig ihrer Heimat den Rücken kehrten. Wirtschaftmigranten par excellence, die in großen Mengen ins Land strömten und auch nicht überall mit offenen Armen empfangen wurden. Viele dieser sogenannten "Ruhrpolen" waren Pendler oder Gastarbeiter, die ihre Verbindungen zur Heimat aufrecht erhielten und im Alter zurückkehrten. Andere zogen Jahrzehnte später weiter Richtung Frankreich. Aber etliche hunderttausende blieben im Land der Schimanskis und der vielen anderen -skis und -skys. Jahrzehntelang wurde in großen Teilen des Ruhrgebiets mehr Polnisch als Deutsch gesprochen. Und bis heute wird in einschlägigen Kreisen gerne mal die altunehrwürdige Beschimpfung des FC Schalke 04 als "Polackenverein" aus der Mottenkiste der Geschichte gegraben.
Aber ist das Ruhrgebiet etwa tatsächlich polonisiert worden? Wird dort heute noch im großem Umfang polnisch gesprochen und polnischen Riten gefrönt? Von den Zahlen her ist damals dort zu einer durchaus massiven Veränderung der Bevölkerungsstruktur gekommen, die weit über den heutigen Bevölkerungsströmen gelegen hat. Viele Namen und manche Beiträge zur deutschen Küche weisen auf slawische Wurzeln hin. Und man darf vermuten, dass die polnische Frömmigkeit zur Stärkung des deutschen Katholizismus in Rhein-Ruhr beigetragen hat. Aber trotzdem muss man feststellen, dass Deutschland ganz problemlos deutsch geblieben ist.
Die Geschichte belegt die wüsten Thesen von Sellner also nicht, sondern widerspricht seinen Behauptungen und Phantasien.
Von der mehr als dreisten Gleichsetzung von Wirtschaftsmigranten mit Afroamerikanern, die als Sklaven wider Willen entführt wurden, und anderen Klitterungen und Verdrehungen mal ganz abgesehen. Sellner beweist eigentlich nicht mehr als nur sein rhetorisches Talent dafür, die Realität auf den Kopf zu stellen.