Der Sellner hat seinen Status persona non grata überall verdient. Nur, wer will ihn rausschmeißen wenn knapp 30% der hiesigen von einem VOKAKI (Volkskanzler Kickl) träumen, der die IB als interessante, rechte NGO bezeichnet.
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Wiener Innenstadt, „Remigrationsdemo“ der „Identitären Bewegung“ am vergangenen Samstag: Teilnehmende ziehen mit schwarzen und gelben Fahnen durch die Straßen Wiens. „Re-Re-Remigration“, brüllen an vorderster Stelle altbekannte Gesichter der „Identitären“ Seite an Seite mit Politikern der FPÖ und der AfD. Gemeinsam tragen sie einen Banner mit der Aufschrift „Remigration“.
Eine Zeit lang war es still um die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ in Österreich. Die neugierigen Medienberichte über die junge, rechtsextreme Truppe wurden kritischer, die öffentlichen Auftritte weniger. Auch die FPÖ ging auf Distanz. Wer mit den Identitären in Berührung kam, so schien es, war ein gebranntes Kind. Doch vier Jahre nach ihrer schwersten Krise haben sie an politischem Einfluss gewonnen. Grund dafür sind neue Strategien auf ungewohntem Terrain und die ausgestreckte Hand von FPÖ-Chef Herbert Kickl.
Geld vom Attentäter
Im März 2019 standen die Identitären an einem Wendepunkt. Damals tötete ein Rechtsextremer bei einem Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen in zwei Moscheen. Wenig später wurde bekannt, dass der Attentäter zuvor 1500 Euro an Martin Sellner, Schlüsselfigur der „Identitären Bewegung“, gespendet hatte. Die ÖVP forderte daraufhin von ihrem damaligen Koalitionspartner, der FPÖ, sich öffentlich von der Gruppe zu distanzieren. Parteichef Norbert Hofer probierte fortan zumindest, öffentlich eine klare Grenze zu den Identitären zu ziehen. Im September 2019 sagte er im profil-Interview: „Was extrem ist, soll keinen Platz haben. Bei den ‚Identitären‘ ist es nachvollziehbar, dass die ein Wahnsinn sind.“
Martin Sellner anl. einer Demo gegen die Drag Queen Lesung vor der Villa Vida
Die Neugründung der Gruppierung „Die Österreicher D05“ mit einer großen personellen Schnittmenge war der Versuch, den „Identitären“ ein neues Image zu geben.
Veranstaltungen der Identitären wurden immer weniger besucht, Spenden blieben aus. Facebook, Youtube und Twitter sperrten die Accounts von Martin Sellner. Es wurde stiller um die rechtsextreme Bewegung. Ende 2019 erklärten maßgebliche Vertreter der rechtsextremen Szene wie der deutsche Verleger Götz Kubitschek die „Identitäre Bewegung“ für gescheitert.
Kubitschek irrte sich. Wer sich auf der Demo oder in den entsprechenden Kanälen auf der Messenger-App „Telegram“ umgeschaut hat, sieht, dass die Identitären umtriebig sind. Sellner folgen dort 57.000 Leute, der Nachfolgeorganisation „Die Österreicher“ immerhin 3400. Erst im Frühjahr machten die „Österreicher“ mit einer sogenannten „Remigrationstour“ in zwölf oberösterreichischen Gemeinden Stimmung für mehr Abschiebungen.
Bernhard Weidinger, Rechtsextremismusexperte beim Dokumentationsarchiv Österreichischer Widerstand (DÖW), relativiert allerdings: Das Mobilisierungspotenzial auf der Straße verhalte sich seit Jahren konstant und liege bei etwa 500 Personen, Gäste aus dem Ausland inklusive.
Mit dem zentralen Slogan „Remigration“ ist die massenhafte Abschiebung von Menschen anderer Herkunftsländer gemeint, um den drohenden „Bevölkerungsaustauch“ zu stoppen, wie es „Österreicher“-Bundessprecher Jakob Gunacker regelmäßig in der Öffentlichkeit erklärt. Die „Identitären“ erklärten sich einst als Anhänger des „Ethnopluralismus“, nach dem Motto: Man habe kein Problem mit Ausländern, es solle aber kulturell möglichst homogene Kontinente und Kulturräume geben.
„Identitäre“ auf „Landflucht“
Der Aktivismus beschränkt sich jedenfalls nicht auf Chatgruppen und Demonstrationen: Die Gruppe versammelt sich regelmäßig in Kulturzentren. Zwar wurden im Frühjahr 2019 die Mietverhältnisse ihrer ehemaligen Klublokale in Graz-Jakomini und Linz-Urfahr aufgelöst, Nachfolgeprojekte entstanden dafür im ländlichen Raum. Im Juli 2019 feierten Aktivisten aus dem „Identitären“-Umfeld die Eröffnung der „Kulturfestung“ in einem zweistöckigen Gehöft im steirischen Eichkögl, 2021 die des „Castell Aurora“ in Steyregg bei Linz. Dabei handelt es sich um Kulturvereine. Langjährige Kader wie Sellner oder Martin Semlitsch halten dort Vorträge, es gibt aber auch weniger politische Angebote: Nähkurse, Sonnwendfeiern und Dart-Turniere stehen ebenso im Veranstaltungskalender des Hauses.
Es passt zur strategischen Neuaufstellung, mit der sich „Die Österreicher“ von den „Identitären“ unterscheiden wollen. „Während die Identitären sich als elitäre Kaderorganisation und Avantgarde aus jungen Männern verstanden hat, wollen ‚Die Österreicher‘ eine breite, möglichst anschlussfähige ‚Bürgerbewegung‘ mit bundesweiter lokaler Verankerung sein“, sagt Bernhard Weidinger vom DÖW. Dazu passt auch, dass die „Remigrationstour“ vornehmlich in Kleinstädten wie Grieskirchen, Eferding oder Pucking Station machte.
Die Landflucht der Gruppe bietet darüber hinaus zwei pragmatische Vorteile: Die Immobilien sind günstiger, aktive Antifa-Gruppen weiter weg. Ob die Strategie aufgeht, und sich Leute über die niederschwelligen Veranstaltungen ködern lassen, ist schwer beurteilbar. Öffentliche Termine gibt es in den beiden Lokalen im Durchschnitt nur zweimal im Monat. Die Beratungsstelle Extremismus musste sich schon in mehreren Fällen mit dem "Castell Aurora“ auseinandersetzen, wie es auf Anfrage von profil heißt. Bei der Einrichtung können sich Menschen melden, die sich um die Radikalisierung von ihnen nahestehenden Personen sorgen.
Kickl öffnet Tore
Katalysator des Revivals ist die FPÖ. Denn: Die Zeiten, in denen sich Spitzenfunktionäre distanzierten, sind vorbei; spätestens mit Herbert Kickls Wahl zum Parteichef war damit Schluss. Er bezeichnete die Gruppe im Juni 2021 - zwei Wochen bevor er Vorsitzender wurde - als „unterstützenswertes Projekt“, Kickl sowie Generalsekretär Michael Schnedlitz nannten sie zudem „rechte NGO“.
FPÖ-Obmann Herbert Kickl am Samstag, 15. Jänner 2022, anl. einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Wien.
Seither mehren sich personelle Überschneidungen. Martin Semlitsch referierte im März in der parteieigenen Bildungsakademie vor einer Gruppe Jungfunktionäre, Obmann des neuen Ablegers der Parteijugend in Korneuburg wurde der langjährige Aktivist Elias Schuch, und auf der Abschlusskundgebung nach der Demo am Samstag sprach auch Silvio Hemmelmayr. Er ist Obmann der oberösterreichischen Parteijugend und Gemeinderat in Eferding.
Die Partei versucht die Überlappung nicht mehr zu verheimlichen, im Gegenteil: Es wird offen kommuniziert. Für Bernhard Weidinger vom DÖW besteht genau darin die Gefahr: „Die Bedrohlichkeit der Gruppierung für die liberale Demokratie besteht vor allem in ihrer Ausstrahlung auf andere Teile der extremen Rechten, insbesondere auf die FPÖ als deren parteipolitischer Arm.“
Völlig friktionsfrei ist das Verhältnis allerdings nicht, auch FPÖ-intern kommt es zu Querelen. So beschloss die oberösterreichische Landesregierung im Juli - nach großen Waffenfunden im rechtsextremen Milieu - einen Aktionsplan gegen Extremismus. Die FPÖ trug ihn mit. In den einschlägigen Kanälen der Messenger-App Telegram tobten Identitäre, der Generalsekretär der Bundes-FPÖ bezeichnete den Aktionsplan als „Geschwurbel“.
Aktuell sind sich die Identitären und die FPÖ aber wohl so nah wie noch nie. Das bewies zuletzt unmissverständlich die Demonstration der Identitären vergangenen Samstag. In seiner Rede bei der Kundgebung erklärte Silvio Hemmelmayr: „Wir haben hier heute einen Schulterschluss vollzogen, und dieser Schulterschluss wird erst der Anfang sein von etwas ganz, ganz Großem.“
Edith reicht ein Bild nach.