Inzwischen ist Mike Heerlein ja wieder Leid zugefügt worden [...]. [...] Ihnen wird Unrecht zugefügt, das als Strafmaß einem Straftäter nicht angetan wird. Wenn ein Mensch weiß, nicht eine einzige Schuld auf sich geladen zu haben, dass durch ihn kein Mensch Schaden nahm, [...].
In diesem Zitat habe ich bewusst einige Begriffe hervorgehoben und Zwischensätze ausgelassen. Denn wenn man genauer hinschaut, sieht das Ganze ein wenig nach Ethik-Traktat an: Leid, Unrecht, Schuld, Schaden.
Wenn man als sehr allgemeinen Grundsatz jeglicher Ethik annehmen kann, dass niemand einem Anderen absichtlich Schaden zufügen will, dann sehen wir hier eine sehr verdrehte Anwendung eben dieses Grundsatzes. (Den Begriff "Schaden" können wir ebenso durch "Leid", "Unrecht", "Böses" usw. ersetzen, darauf kommt es nicht an; in dem Zitat treten immerhin schon drei einschlägige Ersatzwörter auf.)
Wenn ich irgendwo einige beliebige Leute anhalte und frage, ob sie der Behauptung zustimmen würden, dass Ethik (oder Moral) darin bestehe, einem Anderen nicht absichtlich Schaden zuzufügen, werden wohl die meisten spontan zustimmen oder etwa das antworten, dass ihnen eine solche Definition durchaus einleuchte.
Nun wird also wieder einmal so argumentiert:
Mike H. wurde Schaden zugefügt.
Also ist der Staat, der ihm diesen Schaden zufügte, unmoralisch.
Dummerweise ist das ethische Problem ein wenig komplexer:
Man kann einem Menschen durchaus Schaden zufügen mit Absicht, aber aus einem guten Grund. Es gibt dazu eine Reihe von "Fallklassen". Nehmen wir etwa folgendes Beispiel: Ein Arzt entfernt einem Patienten ein Bein, das von Wundbrand befallen ist. Damit fügt er dem Patienten zweifellos einen Schaden zu, und dies erst noch absichtlich.
Aber der Patient wäre vermutlich gestorben, wenn der Arzt sein Bein nicht amputiert hätte, da der Wundbrand sich weiter im Körper ausgebreitet und den Patienten früher oder später getötet hätte (dies zudem auf eine schmerzhafte Art).
Der Schaden, den der Arzt dem Patienten zufügt, verhindert zugleich, dass dieser einen noch weit schlimmeren Schaden erleidet.
Ich vereinfache einmal und erwähne nur, dass schon die mittelalterlichen Juristen (und zwar jene, die sich mit dem römischen Recht auseinandersetzten, nicht die Kanonisten, die sich mit dem Kirchenrecht befassten) die Denkfigur des gerechten Grundes einführten:
Man darf im Grunde alles, wenn es dafür einen gerechten Grund gibt. Der Arzt im eben gegebenen Beispiel hat zweifellos einen guten medizinischen und zugleich einen gerechten Grund: Er will dem Patienten nicht wirklich schaden, sieht aber keinen anderen Weg, ihn vor schlimmeren Schaden zu bewahren, als ihm einen geringeren Schaden zuzufügen.
Nun gibt es in der ethischen Diskussion schon seit langer Zeit auch Beispiele, an denen gezeigt wird, dass das Zufügen eines Schadens dann gerechtfertigt sein kann, wenn derjenige, der geschädigt wird, davon abgehalten werden soll, Andere zu schädigen, und zwar so, dass der Schaden, den er anrichten will, weit schwerer wiegte als der Schaden, der ihm selbst zugefügt werden muss, um ihn von seinem schädigenden Tun abzuhalten. Vor einiger Zeit gab es den Film "Terror - ihr Urteil", der einen solchen Fall beschrieb. Dabei ging es um einen Kampfpiloten, der einen Flieger abschoss, der über einem voll besetzten Stadion zum Absturz gebracht werden sollte. Dies ist ein recht neues und damals öffentlich breit debattiertes Gedankenexperiment, der klassische Fall bleibt aber der Straftäter.
Wenn wir z. B. einen Menschen einsperren, von dem wir wissen, dass er andere Menschen töten will, fügen wir ihm zweifellos einen Schaden zu (wir nehmen ihm seine Freiheit, vielleicht erleidet er auch körperliche Schäden z. B. durch Bewegungsmangeln, Mangel an Sonnenschein und frischer Luft usw.). Der Schaden, der er anderen Menschen zufügen würde, wenn wir ihn nicht durch Einsperren daran hinderten, wäre aber weit schlimmer.
Dann haben wir einen gerechten Grund, ihn zu schädigen.
Kehren wir zurück zu dem Mimimi betreffend Mike H.:
Zweifellos ist es ein Schaden, wenn er zu einer Strafzahlung gezwungen oder gar ins Gefängnis gesteckt wird. Doch wird hier nur die Sichtweise von Mike H. betrachtet, nicht das ganze Bild:
Mike H. hat zweifellos selbst eine Menge Schaden angerichtet. Er hat viele Leute dazu angeleitet, dass sie sich selbst geschädigt haben. Er hat bis heute offensichtlich nichts dazu gelernt, sondern wird so weitermachen wie bisher, wenn er daran nicht gehindert wird. Dieses Hindern ist nur durch Zwang möglich, also durch eine Art von Schädigung.
Es gibt aber diesen gerechten Grund. Mike H. durch Zwang, notfalls auch durch körperliche Gewalt davon abzuhalten, anderen Leuten Unsinn in den Kopf zu pflanzen, sie zu einem sich selbst schädigenden Verhalten anzustiften, dafür noch Geld von ihnen zu nehmen usw., ist eine gerechte Handlungsweise.
Dies zu unterschlagen, seine höchst schädlichen und schädigenden Handlungen auszublenden oder gar zu billigen, ist eine verdrehte Sicht der Dinge. Ihm geschieht nicht Unrecht, sondern Recht.