Gestern verlinkte WE einen Beitrag von Journalistenwatch mit dem viel sagenden Titel: "Drei störende Wahrheiten."
Da dieser von WE augenscheinlich zustimmend zitiert wird, möchte ich kurz einige Bemerkungen dazu los werden, denn mir scheint, dass der Inhalt dieses Beitrags durchaus bezeichnend für die Geisteshaltung von WE und seinen Adepten sei.
Die drei "störenden" Wahrheiten sind:
Erste einfache Wahrheit
Es gibt mehr arme Menschen auf der Welt als Deutschland unterbringen kann.
Zweite einfache Wahrheit
Erfolg und Scheitern eines Landes hängen von Denken und Werten der Bürger ab.
Dritte einfache Wahrheit
Heimat und Nation sind als Konzept angeboren, Menschen werden sich immer danach sehnen.
Zu 1 will ich nichts weiter sagen, davon abgesehen, dass es wohl in Wirklichkeit gar nicht darum geht, dass Deutschland alle armen Menschen aufnehmen soll oder will, die "Wahrheit" zwar wahr sein mag, aber nichts zur Klärung aktueller Fragen beiträgt.
2 ist nun schon interessanter, denn der Autor des Beitrags führt aus:
Der wichtigste Grund für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands sind »weiche« Faktoren wie Fleiß, Disziplin, Pflicht und Bildung. Auch einem Deutschen macht es nicht »Spaß«, sich jeden Morgen aufs Neue zur Arbeit zu schleppen, viele Jahrzehnte lang. Der Deutsche schleppt sich zur Arbeit, »weil man es so macht«; das klingt banal und simpel, doch es kann den Unterschied ausmachen zwischen Wirtschaftsnation und Armenhaus.
Auch hier will ich gar nicht diskutieren, ob diese "Wahrheit" wahr sei, sondern nur festhalten, dass der Autor dieser Zeilen Arbeit offenbar als Übel empfindet und lieber nicht arbeiten möchte. Nur weil die Deutschen diszipliniert und pflichtbewusst sind, "schleppen" sie sich zur Arbeit. So behauptet es jedenfalls der Autor.
Es kann gut sein, dass der Autor wie so mancher gestandene RD Arbeit als Übel empfindet. Ich arbeite hingegen gern, Gut, nicht immer, aber die meiste Zeit arbeite ich gern, weil ich erstens etwas Sinnvolles und Nützliches leiste, weil ich zweitens mit freundlichen und interessanten Menschen zusammentreffe und drittens beschäftigt bin, nicht irgendwann einmal mitten im Tag aufwache und mich fragen muss, was ich heute tun soll, ob es sich überhaupt lohne, aufzustehen und irgendetwas zu tun. Ich bin beileibe nicht der Einzige, der gerne arbeitet. Meine Arbeitskollegen arbeiten aus ähnlichen Gründen wie ich. Wenn sie abends nach Hause gehen, sagen sie sich, dass sie etwas Sinnvolles und Nützliches geleistet haben, und zwar nicht nur für sich, sondern auch für Andere, für die Gesellschaft, für den Staat und für unsere Zukunft.
Wenn ich den Autor richtig deute, unterstellt er aber, dass die Menschen - auch die disziplinierten und pflichtbewussten Deutschen - im Grunde faul seien. Das erinnert fatal an die immer wieder aufgewärmte Debatte über "faule" Arbeitslose, Sozialschmarotzer usw. Hier unterstellt der Autor einfach ganzen Völkern, sie seien im Grunde faul usw. Wenn man allerdings auf die Statistiken über Arbeitszeiten schaut, sind diese in Deutschland unterdurchschnittlich lange, die "faulen" Italiener, Spanier und Griechen arbeiten im Schnitt deutlich länger.
Wenn ich nun 3 anschaue, dann frage ich mich, ob der Autor den Widerspruch bemerkt hat, den er sich damit einhandelt. Wenn er unterstellt, dass Menschen nach Deutschland drängten oder hierher gelockt würden, die da eigentlich gar nicht hingehörten, weil Deutschland nicht ihre "angeborene" Heimat sei, dann stellt sich doch die Frage: Wollen diese Menschen vielleicht gar nicht nach Deutschland kommen? Blieben sie nicht viel lieber in ihrer Heimat, wenn nicht wirklich wichtige Gründe sie von dort vertrieben?
Zudem wage ich zu bezweifeln, dass "Heimat" angeboren ist. Mein Vater ist in Deutschland geboren, meine Mutter in meiner "Heimat" und kaum aus dieser herausgekommen. Auf der Suche nach Arbeit sind sie aus ihrer angestammten Wohngegend in eine ganz andere gezogen, wo sie anfangs keinen Menschen kannten. Zudem wird dort ein ganz anderer Dialekt gesprochen. Als ich zur Schule gehen musste, wurde ich meines Dialekts wegen ausgelacht. Gut, da war auch Neid dabei, denn ich war der Einzige, der Hochdeutsch sprechen konnte und diese Sprachform nicht in der Schule mühsam lernen musste.
Das ist noch nicht einmal besonders ungewöhnlich. Innerhalb eines Staates, selbst eines kleinen wie meiner "Heimat", ziehen Menschen laufend um, verlassen ihre angestammte Umgebung, lassen sich anderswo nieder, werden später aus den verschiedensten Gründen wieder weiter getrieben. Früher, in der ach so guten alten Zeit, kamen viele Leute nicht aus ihrem Dorf heraus. War da alles besser? War das die "angeborene Heimat"? Wo liegt die Heimat all der Menschen, denen es ähnlich wie mir geht? Ist "Heimat" der Ursprungsort meiner Mutter oder Deutschland, wo mein Vater geboren wurde, oder der Ort, an dem ich aufgewachsen und meines Dialekts wegen gehänselt wurde?
Die alten Römer sahen es anders: Heimat sei dort, wo es einem gut gehe, sagten sie.
Kurz: Dass "Heimat" angeboren sei und ein feststehender Ort, von dem sich ein Mensch niemals lösen könne, halte ich nicht für eine ausgemachte Wahrheit.