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Ein "wahrhafter Mensch", ein Mörder
Elfmal drückte Wolfgang P. ab, ein Polizist starb im Kugelhagel: Vor einem Jahr eskalierte ein SEK-Einsatz gegen den "Reichsbürger von Georgensgmünd". Nun fiel das Urteil - es hat Symbolkraft.
Von Peter Maxwill, Nürnberg
Was für ein Grinsen. Vielleicht erwartet Wolfgang P. an diesem letzten Prozesstag ein mildes Urteil, vielleicht will er auch einfach nur als glücklicher Mann in die Justizgeschichte eingehen. Kaum zwei Minuten lang hält sich das breite Lächeln in seinem Gesicht, dann betreten die Richter den Schwurgerichtssaal 600 im Landgericht Nürnberg-Fürth.
Lebenslange Haft. Die Mimik des Polizistenmörders P. gefriert.
Was folgt, ist eine Urteilsbegründung der deutlichen Art: Wolfgang P., der als "Reichsbürger" gilt, erschoss demnach bei einem SEK-Einsatz auf seinem Grundstück einen Polizisten und verletzte zwei weitere. Heimtückischer Mord, zweimal versuchter Mord, außerdem gefährliche Körperverletzung.
Richterin Barbara Richter-Zeininger ziseliert den Tathergang - und die Vorgeschichte, die zu dem fatalen Schusswechsel vor gut einem Jahr im fränkischen Georgensgmünd führte. Der heute 50-jährige P. habe die Überprüfung seiner insgesamt 31 Lang- und Kurzwaffen durch das Landratsamt abgelehnt und sich auf den daraufhin angeordneten Polizeieinsatz an seinem Haus vorbereitet.
Am Morgen des 19. Oktobers 2016 rückten Beamte des SEK Nordbayern an. Um in P.s Haus zu gelangen, machte sich der Polizist Daniel E. mit einem Hydraulikgerät an der Tür zu schaffen - ohne Waffe oder Schutzschild. In diesem Moment eröffnete P. dem Urteil zufolge von innen das Feuer. Elf Schüsse gab der Kampfsporttrainer ab, sieben Kugeln trafen den Polizisten E., ein Projektil verwundete den 32-Jährigen tödlich. "Sieben von elf", sagt Richter-Zeininger, "eine gute Trefferquote".
Was die Richterin sagen will: Die Version des Angeklagten, in blanker Panik und aus Angst um seine beiden Mitbewohner geschossen zu haben, ist unglaubhaft. "Der Angeklagte hat nicht blindlings losgeschossen", sagt Richter-Zeininger, "sondern zuerst eine Entscheidung getroffen."
Ihre Schilderungen werfen auch ein Schlaglicht auf die Ideenwelt der "Reichsbürger"-Szene, der sich der Angeklagte offenkundig zuordnen lässt. P., zweifacher Vater und einst erfolgreicher Vermögensberater, machte ab 2015 eine Veränderung durch - "und baute sich ein eigenes System auf". In diesem System ist die Bundesrepublik eine GmbH - mit Personal, nicht aber mit legitimen Behörden, Gesetzen oder Amtsträgern. So sieht die Welt der "Reichsbürger" aus, es ist augenscheinlich auch die Welt des Wolfgang P.
Seine Schüsse auf Daniel E. rückten die lange unterschätzte Szene vor einem Jahr in den Fokus der Öffentlichkeit. Seit November beobachtet der Verfassungsschutz die "Reichsbürger", einem Beschluss der Innenministerkonferenz zufolge sollen sie alle entwaffnet werden. Inzwischen geht der Verfassungsschutz von bundesweit 15.000 "Reichsbürgern" aus - die offiziellen Zahlen steigen seit Monaten regelmäßig.
Gehört auch P. dazu? Er selbst und seine Verteidiger bestreiten das, die 5. Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter-Zeininger kommt nach 15 Verhandlungstagen zu einem anderen Ergebnis. So differenziere P. zwischen Personen - im "Reichsbürger"-Duktus bundesrepublikanisches GmbH-Personal - und Menschen. Sich selbst bezeichne er in sogenannten Willens- oder Lebenderklärungen mal als "Ich, der ich bin", mal als "lebender Mann und wahrhaftiger Mensch", mit dem Ziel, "die Freiheit des Volkes P. mit Blut, Eisen und Feuer zu verteidigen".
Die selbstgewählte Isolation eskalierte schnell. Anfang 2016 gab P. seinen Personalausweis zurück und meldete seinen Wohnsitz ab, in den folgenden Monaten vernetzte er sich immer enger mit Gleichgesinnten. Einer sticht besonders hervor: der frühere Mister Germany Adrian U., der ebenfalls wegen Schüssen auf Polizisten vor Gericht steht und sich bei dem Vorfall an seinem Haus in Sachsen-Anhalt schwere Verletzungen zuzog.
Der Kampfsporttrainer P. und der Ex-Schönheitskönig U. kennen sich dem jetzigen Urteil zufolge seit Längerem - und bauten sich eine bizarre Fantasiewelt auf: U. erklärte sein Grundstück in Reuden zum "Staat Ur", P. proklamierte den "absoluten Staat". Im August 2016 verbrüderten sie sich mit einem Pakt, verpflichteten sich zu gegenseitigem Beistand - politisch, wirtschaftlich, militärisch.
"Ein paar von denen nehme ich mit"
Was grotesk wirken mag, nahm bald bedrohlich Züge an: Als das Landratsamt in Roth P.s Waffensammlung inspizieren wollte, ließ er die Beamten immer wieder abblitzen. Die Behörde widerrief daraufhin die waffenrechtlichen Genehmigungen. Doch statt der Waffen bekam das Amt von P. nur seltsame Briefe. "Mein Tun geschieht immer in liebevoller Absicht", steht darin, und: "Ich bin nicht damit einverstanden, verwaltet oder regiert zu werden."
Kann ein gesunder Mensch all das ernst meinen?
Der Psychiater Michael Wörthmüller erkannte jedenfalls nichts, was auf eine Verminderung der Schuldfähigkeit hindeuten könnte. P.s Weltbild ist demnach abnorm, aber nicht wahnhaft. Dem Sachverständigen hatte P. gesagt, er habe Angst davor, ähnlich wie Adrian U. bei einem Polizeieinsatz von Kugeln getroffen zu werden. Seine Verteidiger hatten daher auf Notwehr plädiert und eine überschaubare Haftstrafe wegen fahrlässiger Tötung gefordert.
Die Richter sind dagegen überzeugt, dass P. sich auf den nahenden Polizeieinsatz akribisch vorbereitete. Ein Zeuge hatte vor Gericht unter Eid ausgesagt, sich mit P. beim Pokern in einem FKK-Club darüber unterhalten zu haben. "Aber bei mir kommen die nicht rein", soll P. getönt haben, "ein paar von denen nehme ich mit."
Richterin nennt die Tat "verachtenswert"
Staatsanwalt Matthias Held hatte angesichts solcher Aussagen gefordert, im Urteil eine besondere Schwere der Schuld festzuhalten - dann hätte P. nicht nach 15 Jahren frei kommen können. Da der Angeklagte aber nicht vorbestraft ist und auch selbst bei dem tödlichen Vorfall verletzt wurde, lehnte das Gericht dies ab.
An den niederen Beweggründen ändere das aber nichts, hob Richter-Zeininger hervor: In P.s Weltsicht sei nicht der Mensch Daniel E. gestorben, sondern lediglich ein Amtsträger. Ein solcher Angriff auf Repräsentanten des Staates sei "verachtenswert und steht auf tiefster Stufe". Diese Botschaft des Urteils gilt Tausenden Verschwörungstheoretikern, Radikalen und Staatsfeinden: Niemand hat das Recht, aus Hass auf das System zu töten.
Wolfgang P. nimmt all das regungslos auf. Während der mehr als einstündigen Urteilsbegründung schaut er kein einziges Mal auf. Ihm gegenüber sitzt eine Dame mit kurzem Haar und traurigen Augen, die sich mehrmals Tränen aus dem Gesicht wischt. Es ist Daniel E.s Mutter.