Prozessbericht vom 14. September (vormittags)
Heute habe ich einen freien Tag dazu genutzt, einem halben Prozesstag in Nürnberg beizuwohnen. Zwischen 9 Uhr und 11:15 Uhr wurden insgesamt fünf SEK-Beamte als Zeugen zum Geschehen in Georgensgmünd befragt. Die Förmlichkeiten vor jeder Zeugenvernehmung beschränkten sich jeweils neben der üblichen Belehrung auf die Feststellung, dass der Zeuge der Beamte mit Nummer … laut Liste des LKA und nicht mit dem Angeklagten verwandt oder verschwägert ist. Die Personalien der Beamten wurden also nicht festgestellt, jedenfalls nicht in der Verhandlung. Auch die konkrete dienstliche Funktion blieb jedenfalls beim ersten Zeugen unklar.
Der erste Zeuge war mit der Einsatzplanung befasst. Am 12. Oktober erhielt das SEK ein Amtshilfeersuchen der Polizeiinspektion Roth, um beim Vollzug eines Durchsuchungsbeschlusses die Lage zu sichern. Die Durchsuchung sollte der Beschlagnahme von P.s Waffen dienen, nachdem das Landratsamt P. vergeblich aufgefordert hatte, die Waffen abzugeben. Am 14. Oktober fand eine Einsatzbesprechung mit der Polizeiinspektion Roth und einem Vertreter des Landratsamtes statt. Die Einsatzkräfte des SEK wurden vom Zeugen unmittelbar vor dem Einsatz noch einmal detailliert eingewiesen. Insbesondere sollten die Einsatzkräfte die „bestmögliche Sicherheitsausstattung“ wählen. Der Zeuge gehörte nicht selbst zu den Kräften, die das Haus stürmten. Er gab von außen die Freigabe des Zugriffs. Während er seine Wahrnehmung des Einsatzes schilderte, kämpfte die Mutter (?) des Getöteten, die als Nebenklägerin auftritt, mit den Tränen.
Das Gericht hakte in zwei Punkten nach:
Auf welches Szenario war das SEK vorbereitet, insbesondere warum „bestmögliche Sicherheitsausstattung“? In einer ersten (polizeilichen?) Vernehmung hatte der Zeuge ausgesagt, aufgrund der Waffen des Angeklagten sei die „bestmögliche Sicherheitsausstattung“ gewählt worden, bei der heutigen Einvernahme stellte er es allgemeiner als professionelle Sorgfalt dar.
Wie war der Polizeieinsatz als solcher erkennbar? Laut Zeuge war verabredet, unmittelbar nach seiner Zugriffsfreigabe das Martinshorn am Einsatzfahrzeug ertönen zu lassen und das Blaulicht einzuschalten. Dabei war sich der Zeuge über die Reihenfolge seiner akustischen Wahrnehmungen nicht sicher. (Hörte er nach der Freigabe zuerst das Glas der Terrassentür splittern und dann das Martinshorn oder umgekehrt?)
Die Verteidigung wies auf die Diskrepanz der Aussagen zum Grund der Sicherheitsausstattung hin (zunächst speziell aufgrund der Waffen, heute allgemeine professionelle Sorgfalt). Hier machte der Zeuge auf mich persönlich keinen besonders souveränen Eindruck. Er verstehe die Frage nicht... Der Staatsanwalt versuchte ihm eine Brücke zu bauen: „Haben Sie mit Schüssen durch die geschlossene Tür gerechnet?“ Antwort Zeuge: „Wenn wir damit gerechnet hätten, hätten wir eine andere Taktik gewählt.“ Auch Nachfragen, wann er Kenntnis von Zahl und Art der Waffen des P. hatte, konnte der Zeuge nicht beantworten. Die Verteidigung thematisierte auch die Wahrnehmbarkeit des Martinshorns. An einem vorangegangenen Prozesstag hatte ein anderer Beamter ausgesagt, er habe das Martinshorn drei volle Sequenzen ertönen lassen. Laut Verteidiger Haizmann dauere eine Sequenz eine bis anderthalb Sekunden, insgesamt sei das Horn also nur 3 bis maximal 4,5 Sekunden zu hören gewesen. Die Vorsitzende Richterin möchte vom Verteidiger wissen, woher er die Länge der Sequenzen so genau kenne? Das habe er im Internet recherchiert... Welches Martinshorn beim Einsatz verwendet wurde und wie lange eine Sequenz ist, dürfte wohl noch Gegenstand der Beweisaufnahme werden. Zur Frage, wie gut das Blaulicht wahrgenommen werden konnte, liegt anscheinend ein Sachverständigengutachten des LKA zu den Lichtverhältnissen am Tattag vor, das aber heute noch nicht erörtert wurde.
Das war mit Abstand die längste Zeugenvernehmung, sie allein dauerte über eine Stunde. Im weiteren Verlauf der Verhandlung fielen die Vernehmungen immer kürzer aus.
Der zweite Zeuge war Führer des Trupps, der durch die Haustür eindrang, und dem auch der getötete Beamte angehörte. Nach seiner Aussage war die Haustür überraschend schnell aufgebrochen („Schneller, als wenn man sie aufschließen würde.“). Er sei als Vorletzter des Trupps ins Haus. Die Beamten, die zuerst das Haus betraten, hätten laut „Polizei“ gerufen, insbesondere die markante Stimme eines Kollegen habe er erkannt. Die Schüsse seien unvermittelt gefallen. Einzelheiten des Ablaufs, nachdem das Opfer getroffen worden war, möchte ich hier nicht wiedergeben. Nur soviel: Nach den Schüssen kam P. mit den Worten „Ich habe nichts in der Hand!“ zur Tür und öffnete sie. Er wurde zu Boden gebracht und ließ sich widerstandslos aus dem Haus tragen. Zur Reihenfolge seiner akustischen Wahrnehmungen sagte der Zeuge bestimmt: Zuerst Freigabe des Zugriffs, dann Martinshorn, dann erst splittern der Terrassentür.
Die Verteidigung wollte wissen, was P. anhatte. Antwort Zeuge: Unterhose. Schussweste, darunter möglicherweise Unterhemd. Barfuß. Die Verteidigung wollte weiter wissen, warum das Opfer trotz „bestmöglicher Sicherheitsausstattung“ keine „Schulterpads“ trug, die Schulter- und Achselbereich schützen. Antwort Zeuge: Die hätten ihn bei seiner Aufgabe behindert.
Der dritte Zeuge war der Fahrer des Einsatzfahrzeugs, das beim Haus geparkt war („Mit der Schnauze zum Nachbarn.“). Das Martinshorn wurde vom Beifahrer eingeschaltet, der wohl schon an einem anderen Tag als Zeuge befragt worden war. Nach Erinnerung des Fahrers wurde das Martinshorn ein, zwei Sekunden nach der Zugriffsfreigabe eingeschaltet für die Dauer von acht bis zehn Sekunden. Länger sei nicht üblich, sonst müsste man sich auch noch um eine aufgeschreckte Nachbarschaft kümmern. Das Blaulicht blieb jedoch die ganze Dauer des Zugriffs an. Leider konnte auch der Fahrer keine Auskunft dazu geben, wie lange eine Sequenz des Martinshorns dauert bzw. welches Modell von Horn verwendet wurde. Vorangegangene Zeugenaussagen konnte man wohl so interpretieren, dass das Einsatzfahrzeug erst nach Zugriffsfreigabe heranfuhr. Der Fahrer sagte jedoch sehr bestimmt aus, dass das Fahrzeug bei Freigabe in Position war und stand.
Die Zeugen vier und fünf waren bei dem Trupp, der durch den Wintergarten eindrang und den Keller sichern sollte. Beide waren daher abseits vom eigentlichen Geschehen. Zu den aus meiner laienhaften Sicht zentralen Fragen (Waren die Polizisten arglos? Wie konnte/musste P. vor der Schussabgabe das Geschehen einordnen?) konnten sie nichts beitragen.
Nachdem das Gericht gegen 11:15 Uhr eine Mittagspause bis 13:45 Uhr verkündete und die Zeugenaussagen im Lauf des Vormittags immer unergiebiger geworden waren, habe ich den Nachmittag lieber auf dem Altstadtfest verbracht. Bekomme ich trotzdem einen Außendienstorden?