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Mordprozess gegen mutmaßlichen "Reichsbürger"
"Arsch oder Held"
Ein Polizist starb, zwei wurden verletzt. In Georgensgmünd lockte Wolfgang P. die Beamten in einen Hinterhalt - so sieht es die Staatsanwaltschaft. Doch vor Gericht zeigt sich: Der Fall ist wohl komplexer.
Ist das eine Fantasieuniform? Wolfgang P. trägt einen graubraunen Anzug und ein T-Shirt in jenem Gelbton, der die Hemden bayerischer Polizisten ziert. Mit durchgedrücktem Rücken und leicht nach oben gerichtetem Feldherrenblick schreitet der Angeklagte durch einen Seiteneingang in den Schwurgerichtssaal 600.
Ein bühnenreifer Auftritt soll es wohl werden - aber Wolfgang P. rechnet nicht mit den Tücken dieser Bühne. Nach zwei Schritten übersieht der 49-Jährige eine Stufe, als er gerade in die Kameras blickt. Fast fällt er, fängt sich erst im letzten Augenblick.
Die missglückte Inszenierung zeigt, wie nervös der mutmaßliche "Reichsbürger" an diesem ersten Verhandlungstag des Mordprozesses offenbar ist. In zwölf Sitzungen will die 5. Strafkammer des Nürnberger Landgerichts herausfinden, was genau am 19. Oktober vergangenen Jahres im fränkischen Georgensgmünd geschah - jenem Tag, an dem P. einen 32-jährigen Polizisten erschoss und zwei weitere verletzte.
Die Anklageschrift, die Staatsanwalt Matthias Held verliest, zeichnet das Bild eines militanten Antiautoritären und kaltblütigen Mörders. P. hatte sich demzufolge seit Längerem darauf vorbereitet, dass das Landratsamt ihm seine Waffensammlung abnehmen würde. Im Sommer 2016 entschied er demnach, bei einem Polizeieinsatz auf die Beamten zu schießen - "heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen".
Von einem befreundeten Polizisten soll P. erfahren haben, dass das SEK Nordbayern am 19. Oktober um Punkt 6 Uhr den von ihm proklamierten "Regierungsbezirk Wolfgang" stürmen würde. Mit Schutzweste und geladener Pistole lauerte er laut Ermittlern an jenem Morgen an einem Mauereck hinter der Wohnungstür den Beamten auf - und schoss erst, als insgesamt vier Polizisten vor der Tür standen. Elfmal drückte P. mit einer Waffe des Kalibers neun Millimeter ab.
"Komplett konstruiert"
Der Angeklagte will sich vor Gericht zunächst nicht äußern, seine Verteidiger kritisieren die Version der Ermittler jedoch scharf. "Die Anklageschrift ist komplett konstruiert", sagt Rechtsanwältin Susanne Koller kurz vor Prozessbeginn. P. sei kein "Reichsbürger" und habe sich in seiner Wohnung nicht verschanzt oder gar einen Hinterhalt vorbereitet - sondern im Bett gelegen, als er vom Polizeieinsatz überrumpelt worden sei. "Einen Mordtatbestand können wir beim besten Willen nicht erkennen."
Aus der Sicht ihres Mandanten seien Unbekannte von drei Seiten gleichzeitig in sein Haus gestürmt, unter lautem Geschrei und Getöse. Der Polizeieinsatz, so Koller, sei unnötig, dilettantisch und schlichtweg falsch gewesen. Ihre Version klingt so, als wäre P. eher Opfer als Täter. Kann die Wahrheit in so einem Fall irgendwo in der Mitte liegen? Für die Mutter des getöteten Polizisten, die als Nebenklägerin P. gegenüber sitzt, wäre das wohl kaum zu ertragen.
Wie mühselig die Wahrheitsfindung wird, zeigt sich schon nach wenigen Minuten. "Ihre Personalien brauche ich", sagt die Vorsitzende Richterin Barbara Zeininger. "Ich kann bestätigen, die Person ist anwesend", sagt P. zweimal. Zeininger fingert einen abgelaufenen Personalausweis des Angeklagten aus den Akten, "auf dem Lichtbild sind Sie zu erkennen". P. erwidert: "Ich bin der freie Mann Wolfgang und nicht diese Person." Zeininger verzieht keine Miene, dann sagt der Angeklagte: "Ich mache keine Angaben, weil ich nicht weiß, wie man mich hier nennt."
Lange unterschätzt
Das seltsame Gebaren wirft ein Schlaglicht auf die sogenannten Reichsbürger, zu denen auch P. gehören soll. Der Fall hatte die lange unterschätzte Szene, die kaum als einheitliche Bewegung bezeichnet werden kann, im Herbst schlagartig zum Politikum gemacht. Seit November beobachtet der Verfassungsschutz die "Reichsbürger", einem Beschluss der Innenministerkonferenz zufolge sollen sie alle entwaffnet werden.
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Wie sieht Wolfgang P. die Welt? Der Angeklagte sei vor allem ein von Ängsten geprägter Mann, sagt der Psychiater Michael Wörthmüller, der ihn in mehreren Gesprächen begutachtet hat. Im Internet habe P. sich über vermeintliche Gefahren informiert, etwa über die "Chemtrail"-Verschwörung.
Zudem sympathisiert der Hobbyjäger offenbar mit den Ideen sogenannter Prepper: Er hortete nach eigenen Angaben tausend Liter Diesel, haufenweise Lebensmittel, mehr als 30 Schusswaffen. Gegen Polizisten jedenfalls hatte P. laut Wörthmüller nichts, im Gegenteil: "Die sorgen ja dafür, dass die öffentliche Ordnung nicht zusammenbricht."
P. hatte laut Wörthmüller eine "allgemeine Sorge vor Kriminalität und Übergriffen durch Institutionen". Nach den islamistischen Anschlägen von Ochsenfurt und Ansbach sei zudem das Gefühl gewachsen, die Bedrohung nähere sich seinem Wohnort. "Kriminalität ist ein Thema, das ihn seit Langem beschäftigt."
Zwei Ehen gingen in die Brüche
Erklärungsansätze für das über Jahre gestiegene Gefühl der Verunsicherung finden sich auch in seiner Biografie: Seine Mutter tötete sich angeblich, als er sieben Monate alt war - und soll vergeblich versucht haben, auch ihren Sohn zu vergiften. Am Gymnasium scheiterte P., die Ausbildung zum Bürogerätemechaniker brach er ab und erwog einen Wechsel zur Polizei. Stattdessen machte sich P., Vater eines Sohnes, als Vermögensberater selbstständig, beschäftigte nach eigenen Angaben zwischenzeitlich rund 30 Mitarbeiter in mehreren Büros.
Aus den Fugen geriet sein Leben spätestens am 27. März 2001. Bei einem schweren Verkehrsunfall zog er sich eine Gehirnerschütterung sowie eine Verletzung des Stammhirns zu, es folgten mehrere Operationen, zehn Jahre Berufsunfähigkeit, schließlich Geldprobleme. Über die Jahre gingen zwei Ehen und mehrere Beziehungen in die Brüche.
Unklar ist bislang, welche Rolle ein anderer mutmaßlicher "Reichsbürger" in seinem Leben spielt: P. hatte wohl Kontakt zu dem wegen versuchten Mordes angeklagten Adrian U., bevor dieser bei einer Schießerei mit Polizisten im August 2016 in seinem Haus in Sachsen-Anhalt schwer verletzt wurde. Nach eigenen Angaben hatte P. große Angst, dass ihm Ähnliches widerfahren könnte, sagt Wörthmüller.
P. habe ihm auch gesagt, so der Psychiater, dass er seine Waffen ordnungsgemäß habe abgeben wollen. In Georgensgmünd betrieb P., der sich immer nur Wolfgang nennen ließ, zudem eine Kampfsportschule, gab Selbstverteidigungskurse für Schüler, wollte angeblich nur eines: Frieden.
"Eine Granate, ein Lichtkegel"
Wie passt all das zu dem Gewaltausbruch des 19. Oktober? "Er kann sich nicht erklären, wie er so in Panik geraten ist", sagt Wörthmüller - und zählt im Stakkato Wortfetzen auf, mit denen P. seine Wahrnehmung der damaligen Polizeiaktion beschrieben habe: "Detonationen wie im Krieg", "eine Granate, ein Lichtkegel". Diese Eindrücke bewegten P. demnach dazu, die Pistole unter seinem Kopfkissen zu entladen und durch die Glastür zu schießen - er habe sich, so erläuterte P. es dem Gutachter, auch um die Sicherheit seiner beiden Mitbewohner gesorgt.
Wolfgang P. habe sich an jenem Morgen entscheiden müssen, ob er "Arsch oder Held" sein wolle - so habe der Angeklagte es selbst gesagt. "Und wofür hat er sich entschieden?", fragt Richterin Barbara Zeininger. "Er findet das nicht gut", sagt Wörthmüller, "dass er einen Polizisten getötet hat".
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"Reichsbürger" von Georgensgmünd: "Ich bin der freie Mann Wolfgang"
Prozess in Nürnberg "Reichsbürger" Wolfgang P. vor Gericht
Vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth hat der Mordprozess gegen einen mutmaßlichen Anhänger der sogenannten Reichsbürger begonnen.
Wolfgang P. soll im vergangenen Oktober im fränkischen Georgensgmünd bei einer Waffenrazzia einen Polizisten eines Sondereinsatzkommandos erschossen haben.
Die Verteidiger des 49-Jährigen bestreiten sowohl eine Tötungsabsicht als auch eine Zugehörigkeit ihres Mandanten zu den Reichsbürgern.
"Ich bin der freie Mann Wolfgang": Mehr sagt der angeklagte Wolfgang P. zu Beginn des Mordprozesses vor dem Landgericht Nürnberg nicht. Er sei anwesend und jeder wisse, wer er sei. Tatsächlich ist der 49-Jährige seit dem 19. Oktober 2016 bundesweit bekannt - als sogenannter Reichsbürger, der einen Polizisten bei einem Routineeinsatz im mittelfränkischen Georgensgmünd erschossen haben soll. Bei dem Einsatz wurden zwei weitere Beamte des Spezialeinsatzkommandos verletzt, einer erlitt einen Durchschuss am Unterarm, einer wurde durch einen Splitter im Gesicht getroffen. Die Anklage lautet auf Mord, dreifachen versuchten Mord sowie gefährliche Körperverletzung.
Die Beamten sollten die Waffen des Hobbyjägers beschlagnahmen, weil er bei den Behörden als nicht länger zuverlässig galt. Bereits im Frühjahr zuvor war das Landratsamt auf Wolfgang P. aufmerksam geworden, nachdem ein Vollstreckungsversuch der Zoll- und Steuerbehörde bei ihm keinen Erfolg hatte. Im Sommer verweigerte der Besitzer von etwa 30 Waffen dann mehrmals der Polizei und Waffenkontrolleuren den Zutritt zu seinem Grundstück. Dann kam der vermeintliche Routineeinsatz.
Wie P. diesen erlebt hat, schildert der psychiatrische Sachverständige Michael Wörthmüller, der an diesem Dienstag als erster Zeuge vor dem Landgericht aussagt und damit beauftragt ist, ein Gutachten über den Angeklagten zu erstellen. Bereits kurz nach dem Vorfall hat er mit P. darüber gesprochen. Um sechs Uhr morgens hätten sich die Beamten Zugang auf das Grundstück verschafft, P. habe Lärm gehört "wie von Granaten" und die lauten Schreie einer Frau im Haus - es sei ein "Höllenspektakel wie im Krieg gewesen". Der 49-Jährige sei dadurch in seiner Wohnung im ersten Stock geweckt worden und habe sich gefragt, ob der Dritte Weltkrieg ausgebrochen sei. "Das waren Sekunden zwischen ♥♥♥ und Held", zitiert er den Angeklagten. Was das bedeuten soll, will eine beisitzende Richterin wissen, aber genau kann das auch der Psychiater nicht sagen, nur soviel: Im Nachhinein habe P. die Einsicht gehabt, dass er wohl die falsche Entscheidung getroffen habe.
Reichsbürger Der merkwürdige "Reichsbürger" P.
Der merkwürdige "Reichsbürger" P.
Er stritt sich mit Behörden, schaltete Anzeigen gegen das Grundgesetz und besaß mehr als 30 Waffen. In seinem Heimatort gilt der Mann als Außenseiter, mehr nicht. Bis er gezielt auf Polizisten schießt. Von Andreas Glas und Olaf Przybilla mehr ...
Wörthmüller, Leiter der Klinik für Forensische Psychiatrie in Erlangen, berichtet über P.s "nicht unkomplizierte Lebensgeschichte" und gibt wieder, was ihm dieser erzählt hat. Der Angeklagte habe nichts gegen die Polizei, schließlich kümmere die sich um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Polizeibeamten habe er nie etwas antun wollen. All seine Waffen habe er nur zur Selbstverteidigung besessen, vor allem die Anschläge in Ansbach und Würzburg im vergangenen Jahr hätten ihn verunsichert und er habe sich vor Übergriffen durch Institutionen gefürchtet. Als Reichsbürger sehe P. sich aber nicht, wie seine Verteidigerin Susanne Koller im Prozess betont.
Seit dem Vorfall in Georgensgmünd sind die sogenannten Reichsbürger in den Fokus er Behörden gerückt. Deutschlandweit geht der Bundesverfassungsschutz von etwa 12 600 Anhängern aus - bei mehreren hundert handle es sich um Rechtsextremisten. In Bayern wird mit mindestens 3000 sogenannten Reichsbürgern gerechnet. Diese erkennen die Bundesrepublik nicht als Staat an. Stattdessen behaupten sie, das Deutsche Reich bestehe fort. Sie sprechen Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab und akzeptieren keine amtlichen Bescheide.
Im Verhalten von Wolfgang P. finden sich Parallelen, die auch auf diese Beschreibungen zutreffen. Neben den 30 Waffen habe der Angeklagte auch etwa 1000 Liter Diesel für Notlagen in seinem Haus aufbewahrt, um für Notfälle gerüstet zu sein. Einen Gerichtsvollzieher, der ausstehende Kfz-Steuer eintreiben wollte, fertigte er rüde ab. Doch er selbst bezeichnet sich als friedfertigen Menschen. Bis zum 19. Oktober 2016. Als er frühmorgens die Lichter von Taschenlampen durchs Milchglas der Tür gesehen habe, sei er in Panik geraten, habe zur Waffe gegriffen und geschossen.
Die Staatsanwaltschaft sieht das völlig anders: Mindestens zwei Monate vorher habe Wolfgang P. bereits den Plan gefasst, bei dem Einsatz möglichst viele Polizisten zu verletzen oder zu töten. Dafür habe er sich in seiner Wohnung hinter einem Mauereck verschanzt - mit Schussmöglichkeit auf seine Wohnungstür. Er habe dabei eine Schutzweste getragen - die geladene Waffe schussbereit. Er habe abgewartet, bis er möglichst viele Beamte habe treffen können - und dann durch die teilverglaste Tür elfmal gefeuert.
Während der Staatsanwalt seine Version der Tat beschreibt, sitzt im Gerichtssaal eine Frau und weint. Es ist die Mutter des 32 Jahre alten getöteten Polizisten. Für die Familie sei an jenem Tag eine Welt zusammengebrochen, sagt Monika Goller, Rechtsbeistand der Hinterbliebenen. "Schwer zu ertragen" sei es, wie der von sich selbst nur in dritter Person als "Wolfgang" sprechende Angeklagte sich im Gerichtssaal aufführe.
In dem vor Prozessbeginn noch eindeutig erscheinenden Fall könnte es allerdings spannend werden. Die Frage ist, ob das Gericht am Ende noch der Staatsanwaltschaft folgt und P. als Mörder sieht oder womöglich doch der Verteidigung, die die Schüsse auf das Sondereinsatzkommando als Notwehr bewertet wissen will. Für den Prozess sind zunächst zwölf Verhandlungstage bis Mitte Oktober angesetzt, P.s Verteidiger zweifeln schon jetzt daran, dass die Zeit ausreichen wird.
(inkl. kurzem Videobericht)