Dass der harte Kern der Fatzke-Adeppen infantil ist, dass Fatzke selbst über keine hervorstechenden Talente verfügt und in vielen weiteren Punkten stimme ich vorbehaltlos zu.
Allerdings gebe ich zu bedenken, dass Improvisation durchaus einen erheblichen Nutzen haben kann; wer sich fest an einen Plan bindet, ist u. U. nicht mehr in der Lage, flexibel auf eine sich verändernde Lage zu reagieren. Stellen wir uns z. B. einen jungen Lehrer vor, der seine Ausbildung abgeschlossen und darin gelernt hat, wie man hervorragende Unterrichtsentwürfe schreibt. Nun steht er vor einer Klasse, verfolgt seinen ausgefeilten Unterrichtsentwurf - doch da geschieht etwas Unvorhergesehenes. Was nun?
Auch in anderen Berufen ist Improvisation durchaus zumindest manchmal von Vorteil. Denken wir etwa an einen Moderator im Fernsehen, an einen Unterhalter oder Mitarbeiter einer Leitstelle von Feuerwehr, Bevölkerungsschutz o. dgl. Ja, auch z. B. der Disponent eines Transportunternehmens ist u. U. erfolgreicher, wenn er keine Hemmungen hat, ggf. auch zu improvisieren.
Es gibt auch erstaunliche Parallelen beim Aufstieg des NS-Regimes: Dass zumindest manche der führenden NS-Leute im Grunde kleine Lichter waren, insbesondere intellektuell, ist ein offenes Geheimnis. Hitler selbst hatte keine Berufsausbildung oder sonstige höhere Bildung, sein einziges wesentliches Talent bestand darin, labern zu können (wobei sein Deutsch mindestens so schlecht war wie das des durchschnittlichen RD). Dass die NS-Führung ein paar "Pläne" hatte, steht fest: Man wollte unbedingt die Macht, und zwar die ganze Macht, man wollte expandieren und die Juden vernichten. Darüber hinaus gab es aber offenbar wenig feste Pläne, geplant wurde rollend oder einfach auch improvisiert.
Bis heute ist umstritten, ob der Reichstagsbrand von der NS-Führung geplant war oder ob er vom politischen Gegenspieler verursacht wurde; für beide Auffassungen gibt es Argumente und Indizien. Falls der Reichstagsbrand nicht von NS-Seite geplant war, dann hat die NS-Führung diesen Vorfall jedenfalls meisterhaft ausgenutzt - durch Improvisation.
Auch etwa der "Röhm-Putsch" ist nach heutigem Wissensstand wohl recht kurzfristig geplant und durchgeführt worden, wobei auch Fehler unterliefen (einige der Zielpersonen konnten fliehen, manchen von diesen wurden von NS-Seite sogar Warnungen zugespielt, umgekehrt wurden auch falsch identifizierte Personen behelligt oder getötet). Auch dabei war wohl ein erheblicher Teil Improvisation dabei.
Selbst bei dem zentralen Anliegen der Judenvernichtung wurde offenbar immer wieder improvisiert. Bailer, der die Entwicklung der Massenvernichtungseinrichtungen (Gaswagen, Vernichtungslager) untersuchte, kam zum Ergebnis, dass jeweils die "nächstliegende" Lösung gewählt wurde. Als sich die Massenerschießungen als zu wenig effektiv (im Sinne des NS-Regimes) erwiesen, suchte man nach anderen Methoden und verfiel dann auf Giftgas, und zwar zunächst auf Kohlenmonoxid aus Flaschen, wie es zuvor bei der Euthanasie im Rahmen der Aktion T4 verwendet worden war. Als man merkte, dass der Nachschub an Kohlenmonoxid stockte und teuer war, stellte man in einigen Lagern auf Motorabgase um. In Auschwitz befand sich ein Vorrat an Blausäuregas, das eigentlich für die Entwesung von Kleidern bestimmt war, das man aber anscheinend nicht oder nicht in den gelagerten Mengen brauchte. Man probierte es bei der Massentötung aus und orderte, als man damit zufrieden war, Nachschub ohne den üblichen Reizstoff als Warnhinweis. Es wurde also wieder einmal improvisiert, um das geplante Ziel zu erreichen.
Der langen Rede kurzer Sinn: Das NS-Regime war m. E. nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Fähigkeit zur Improvisation so gefährlich.
Fatzke hätte sich wohl ohne die Fähigkeit, kurzfristig auch mal zu improvisieren und, wenn nötig, eine 180-Grad-Wendung zu machen, schon viel früher in die Sackgasse bzw. in Haft geritten.