wobei nach der Bericht der SZ die griech. Küstenwache sehr fragwürdig agiert hat:
Spoiler
Für die Überfahrt zahlte Abu Ahmad 4000 Dollar. Auf kleinen Booten hätten die Schmuggler die Menschen von einem Strand östlich des libyschen Tobruk hinaus aufs Meer gebracht, wo der Kutter auf sie wartete. Dabei seien die Schmuggler nicht mit an Bord gegangen. Und die neun Ägypter, auf die nun in Griechenland eine Anklage wartet? "Die waren nur Helfer", sagt Abu Ahmad. Sie sollten im Auftrag der Schmuggler die Überfahrt betreuen, Wasser und Essen verteilen, solche Dinge. Dafür durften sie angeblich gratis aufs Boot.
Die ersten beiden Tage über, sagen Abu Ahmad und Abu Hussein, sei alles gutgegangen, dann seien an Bord das Wasser und Essen knapp geworden. Der Motor sei immer wieder ausgefallen. Sie zählten fünf Tote, Menschen, die dehydriert zusammengebrochen waren oder einem Herzinfarkt erlagen, vier Pakistaner und ein Syrer. "Den letzten Tag über", sagt Abu Ahmad, "ging der Motor überhaupt nicht mehr." Das Boot habe sich kaum noch bewegt.
Die Küstenwache behauptet, das Schiff habe Kurs auf Italien genommen
Er widerspricht damit der Darstellung der griechischen Küstenwache, wonach das Boot Kurs auf Italien genommen hatte. Die Aussage der Küstenwache, die Passagiere auf dem Kutter hätten die Hilfe der Griechen abgelehnt, weil sie nach Italien wollten, nennt Abu Hussein eine Lüge: "Wir baten um Hilfe, von welchem Land auch immer."
Zwei Containerschiffe seien dann aufgetaucht, so Abu Ahmad, und hätten Pakete mit Wasser ins Meer zugeworfen. Viel zu wenig Wasser für die 750 Menschen, Streit sei darum ausgebrochen. War zu dem Zeitpunkt bereits offensichtlich, dass ihr Boot Hilfe brauchte? "Das konnte jeder Mensch erkennen", sagt Abu Hussein. Später am Dienstagabend habe sich ihnen schließlich ein Schiff der griechischen Küstenwache genähert.
Abu Hussein sagt an dieser Stelle, er wolle, "dass die Verantwortlichen ins Gefängnis kommen". Die Details, die er und Abu Ahmad nennen, stimmen mit den Berichten anderer Überlebender überein: Die Männer an Bord des griechischen Schiffs seien teils in Uniform gewesen, teils in Zivil, manche hätten schwarze Kleidung getragen und seien vermummt gewesen.
Zunächst, erzählen sie, hätten die Griechen ein Seil am Kutter befestigt, an einer Stelle vorne am Boot, und begonnen, es abzuschleppen - offenbar sollte der Kutter heraus aus der Zone, in der Griechenland für die Rettung in Luft- und Seenotfällen zuständig ist. Nach wenigen Sekunden sei das Seil allerdings schon gerissen, woraufhin die Griechen ein weiteres Seil angebracht hätten. Das Küstenwachenschiff habe nach rechts gedreht, woraufhin sich die Geflüchteten nach links bewegt hätten. Dadurch habe der Kutter die Balance verloren.
Und dann? "Schwer, darüber zu reden", sagt Abu Hussein. Einer seiner Freunde ist unter den Vermissten. Er weiß, was das heißt, nach mehr als einer Woche gibt es keine Hoffnung mehr. Alle Männer, die konnten, seien ins Meer gesprungen, so erzählen es Abu Hussein und Abu Ahmad. Für alle im Inneren des Kutters, darunter viele Frauen und Kinder, gab es kein Entkommen. Während das Boot sank, so Abu Hussein und Abu Ahmad, sei das Schiff der Küstenwache auf Distanz gegangen. Vielleicht einen Kilometer, schätzen sie.
Das ist der schwerste Vorwurf, den die Überlebenden dem griechischen Staat machen: Etwa 15 bis 20 Minuten lang habe die Küstenwache nur zugesehen, erst dann hätten sich die Beamten in kleinen Booten genähert. Aber zu dem Zeitpunkt, sagen die beiden Syrer der SZ, sei es schon zu spät gewesen. Die beiden schließen daraus, dass die Griechen gar nicht erst helfen wollten. Sie selbst seien den Booten der Küstenwache entgegengeschwommen, um sich zu retten. Nur so hätten sie überlebt.
Die Details, die andere Überlebende in den vergangenen Tagen genannt haben, ähneln denen der beiden stark. Andere nannten sogar die Farbe des Seils, es sei blau gewesen. Abu Ahmad und Abu Hussein konnten die Farbe nicht erkennen. In anderen Berichten heißt es, die Griechen hätten sogar 30 Minuten lang zugesehen. Es sind Schätzungen, die auf denselben Verdacht hinauslaufen: Die Küstenwache griff nicht gleich ein.
Mohamed Elsherkawy, einem Ägypter, der in Italien lebt, gelang es kürzlich, mit seinem Handy ins Lager von Malakasa zu kommen. Elsherkawy hat auf dem Kutter aus Libyen seinen jüngeren Bruder verloren. Mit dem Handy filmte er, wie er im Lager zu einem Container läuft, darin warteten Überlebende auf ihn. Elsherkawys Video ist ein weiteres Dokument, das die griechische Küstenwache belastet: "Unser Ziel war Italien", sagen die Geflüchteten darin. Als die griechische Küstenwache gekommen sei, habe sie ein blaues Seil am Boot angebracht. Etwa fünf Minuten lang habe man sie hinter sich hergezogen, dann habe das Küstenwachenschiff den Kutter auf einmal ganz stark rechts, ganz stark links und wieder ganz stark rechts gezogen, bis er umkippte.
Identisches berichtet ein anderer syrischer Überlebender, der mit der Facebookgruppe "Consolidated Rescue Group" gesprochen hat. Er stellt die Frage: "War es Absicht oder ein Versehen? Jedenfalls steht zu 100 Prozent fest, dass die griechische Küstenwache der Grund dafür ist, warum das Schiff umgekippt ist."
Die Geflüchteten haben keine Beweise, ihre Handys mit Fotos und Videos haben sie im Meer verloren. Doch stimmen etwa die Berichte der beiden Überlebenden im Gespräch mit der SZ so sehr mit denen anderer überein, dass sie einen glaubwürdigen Eindruck machen. Was es außerdem gibt, sind Indizien: etwa der Nachweis der BBC, dass sich das Boot in den Stunden vor dem Unglück nicht mehr bewegte. Es war nicht auf dem Weg nach Italien, wie die griechische Küstenwache behauptet hatte.
Dazu kommt die Frage: Wenn die Küstenwache, wie sie selbst sagt, in der Nähe des Boots war, warum konnte sie den Tod der Menschen dann nicht verhindern? Auf eine Anfrage der SZ hat die griechische Küstenwache bisher nicht reagiert.
Abu Ahmad und Abu Hussein sind sie jetzt theoretisch frei. Sie tragen Karten um den Hals, auf denen "Asylum Seeker" steht. Sie haben Asyl beantragt, damit dürften sie das Containerlager von Malakasa verlassen. Aber wohin sollen sie? Das Lager, umgeben von Zäunen, von Polizisten und den Mitarbeitern einer privaten Sicherheitsfirma, liegt mitten auf dem Land. Nicht mal ein Bus kommt hierher. Nur eine Mahlzeit am Tag gebe es, erzählen die beiden. Die Kleidung, die sie bekommen hätten, sei gebraucht und schmutzig.
Abu Hussein will zu seiner Schwester nach Frankreich, Abu Ahmad zu seinem Cousin nach Deutschland. "In einem sicheren Land", sagt Abu Ahmad, "würden wir unsere Geschichte offen vor der Kamera erzählen." In Griechenland, sagen die beiden, habe die Polizei im Verhör nicht mitgeschrieben, als sie erzählten, was passiert sei in dieser Nacht vergangene Woche auf dem Mittelmeer. Die Leiterin des Lagers habe ihnen gesagt, sie sollten nicht mit der Presse reden, die draußen warte. "Aber wir wollen die Wahrheit berichten", sagt Abu Hussein.