Diesmal stehen wieder drei besondere Exemplare fortgeschrittener Verblödung vor Gericht. Maskenverweigerer, Staatsleugner, Cov♥♥♥en, die in einem Supermarkt geplant Randale veranstalteten und zwei Polizisten teils schwer verletzten.
Fünf Verhandlungstage sieht das Gericht als nötig an.
Spoiler
Der Angeklagte will ein souveräner Mensch sein. Er sei Nikolay und heute hier, weil der deutsche Staat nicht gerecht sei, sagt er. Er sei Opfer und wenn überhaupt, könne nur der Schöpfer über ihn bestimmen, aber ganz sicher kein Gericht. Das aber will, dass der souveräne Mensch sich endlich hinsetzt. Nikolay C., die schwarze Schutzmaske baumelt an seinem rechten Ohr, weigert sich. Zwei Justizbeamte drücken ihn auf seinen Stuhl. Nikolay zieht wieder seine Maske über den Mund und schweigt. Vorerst.
C. ist 36 Jahre alt, bulgarischer Staatsbürger, kräftig, schwarzer Bart, schwarzes T-Shirt, zweifacher Vater, mutmaßlicher Anhänger der rechtsextremen Reichsbürgerbewegung. Er muss sich seit Donnerstag vor dem Bonner Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm gefährliche Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor. Tatort: ein Supermarkt in Troisdorf, in dem er am Nachmittag des 9. Mai 2020 seinen Widerwillen demonstrieren wollte, eine Maske tragen zu müssen. »Diesen Lappen im Gesicht, der einen nicht atmen lässt«, wie er später sagt. Die Aktion endete mit verstörten Angestellten, verwirrten Kunden und zwei schwer verletzten Polizisten. Die Anklage ist davon überzeugt, dass C. die Tat lange vorbereitet und zwei Komplizen hatte. Ihr Ziel war demnach die Eskalation.
Einer von ihnen, Alex S., 39 Jahre alt, deutscher und russischer Staatsbürger, hat sich wie angeordnet morgens um 9 Uhr dem Prozess gestellt. Seine Schwester Anna S. und deren Lebensgefährte Nikolay C. dagegen erschienen gar nicht erst. Schon die persönliche Zustellung der Ladung lehnten sie ab. Dafür schrieben sie seitenlange Briefe, in denen sie dem Gericht die Zuständigkeit absprachen.
Der Richter lässt das Paar schließlich suchen und polizeilich vorführen. Fast drei Stunden dauert es, bis C. endlich den großen Schwurgerichtssaal im Erdgeschoss betritt. Seine Hände sind gefesselt. Seine Lebensgefährtin, 31, darf wieder gehen, sie hat vor wenigen Tagen erst ein Kind entbunden. Ihr Verfahren wird abgetrennt.
Eskalation in der Gemüseabteilung
Das Gericht zeigt ein Video von einer Überwachungskamera des Supermarktes. Die Eskalation beginnt in der Gemüseabteilung. C. weigert sich, eine Maske aufzuziehen. Die Mitarbeiter diskutieren mit ihm. Sie verständigen die Polizei. Sein Kumpel Alex, noch mit Maske, läuft die Gänge auf und ab, vorbei an Obst und Gemüse, beobachtet die Lage. Anna S. schiebt einige Meter entfernt einen Einkaufswagen vor sich her und versucht, möglichst unbeteiligt zu wirken. Auch sie trägt eine Maske. Am anderen Ende des Gemüsesortiments spitzen sich die Wortgefechte derweil zu. Laut Anklage fallen Sätze wie »Ihr seid Marionetten des Staates« und »Der Chip von Bill Gates ist bald da«. Die Polizei rückt an, zwei Streifenbeamte.
Ihnen wird schnell klar, dass die drei Störer wohl zusammengehören und radikal sein könnten. Sie wollen sich nicht ausweisen, überreichen statt Personalausweisen eine Krankenkassenkarte, Meldebescheinigungen und Papiere über eine vermeintliche Deutschland GmbH.
Die Beamten erteilen dem Maskenverweigerer einen Platzverweis. Dann beginnt der Tumult. Zu sehen ist, wie einer der beiden Beamten Anna S. kurz zur Seite schiebt. Ihr Bruder Alex, so sagt er, habe gesehen, dass sie am Hals gepackt worden sei. Der ehemalige Fallschirmjäger rennt auf den Polizisten zu, es kommt zu einem Handgemenge, die beiden stürzen in einen Spargelkorb. Anna S. schreit, auch Nikolay langt zu. Verstärkung trifft ein. Am Ende sind Nase und eine Rippe eines Beamten gebrochen. Er muss mehrfach operiert werden und wird für zweieinhalb Monate dienstunfähig sein. Sein Kollege kommt mit Blessuren und einer zertrümmerten Brille davon.
Videos im Internet
Weniger später tauchen Videos des Vorfalls im Internet auf, die drei Angeklagten hatten offenbar alles gefilmt, mit Handys und einer Bodycam, die C. an seiner Brust befestigt haben soll. Das Material taucht auf diversen einschlägigen YouTube-Kanälen auf, einer davon soll Nikolay S. zuzuordnen sein. Er bestreitet das. Auch in Telegram-Gruppen werden die Aufnahmen eifrig geteilt. Hier tummeln sich Corona-Leugner, Querdenker, Reichsbürger. In ihren Kommentaren applaudieren sie den Supermarkt-Schlägern, verhöhnen den Staat, beleidigen und bedrohen die beiden Polizisten und deren Familien.
Die Ermittlungen übernimmt der Staatsschutz. Bei Hausdurchsuchungen werden Computer und Handys sichergestellt, bei Nikolay C. werden zudem ein Klappmesser, ein Teleskopschlagstock und ein Schlagring gefunden. Die brauche er für seine langen Fahrten in die moldawische Heimat, die ihn auch durch gefährliche Gegenden führten, so C.
»Das Ganze war eine Inszenierung«, sagt Rechtsanwalt Christoph Arnold, der einen der beiden Polizisten in der Nebenklage vertritt. »Sie wollten diese Eskalation, um sie dann im Internet zu verbreiten und sich feiern zu lassen.« Die Brutalität sei erschreckend. Seinem Mandanten, 54 Jahre alt, gehe es nicht gut. Er habe sich in den Innendienst versetzen lassen, aus Angst, man könne ihn wegen der Videos auf der Straße erkennen und bis nach Hause verfolgen.
»Ich war es satt«
Vor Gericht bestätigt Alex S., dass die Aktion geplant worden sei. Die Idee habe Nikolay C. gehabt. Seine Schwester habe ihn per WhatsApp informiert und gesagt, er solle sich im Supermarkt als Dolmetscher ausgeben. Bis zur Schlägerei aber sollte es nicht kommen, beteuert er. »Wir wollten provozieren und die Reaktionen filmen. Mehr nicht«, sagt er. Das alles tue ihm leid.
Auch Nikolay C., der das Gericht ja eigentlich gar nicht anerkennt, zeigt sich irgendwann mitteilsam. »Ich war es satt, die Maske zu tragen«, sagt er. Selbst die Hersteller sagten doch, dass die gar nicht schützten. Man versuche, ihn als Banditen hinzustellen. Eigentlich sei er doch ein anständiger Mensch. Sein Pflichtverteidiger, mit dem C. nicht ein einziges Wort spricht, sagt: »Es gibt Menschen, die man einfach nicht mehr erreicht.«
Der Prozess ist auf fünf Verhandlungstage angesetzt.