Letzter Artikel zum "Eldorado" von NeoNazis, Reichsbürgern und anderen "Herrenmenschen":
Sie haben auch den guten Roland Balmer nicht vergessen, der ja Dank Frühwald/Reckzeh ja erfolgreich den Weg in die Szene gefunden und ist zwischenzeitlich ja sogar "Richter" an einem der vielen "Reichsbürgergerichte".
Das abgebildete Restaurant war vor 30/40 Jahren übrigens fast so etwas wie ein "Nobelrestaurant". Die Portion "schwäbischer Wurstsalat" oder "Kasspätzle" war damals mit stolzen ungefähr 16 Mark ausgepreist (anderswo hat man so etwas für unter 10 bekommen), der "Rostbraten" hat damals schon an die 40 Mark (ja, Mark, nicht Euro, den gab es da noch nicht) gekostet. Wahrlich keine "Bikerpreise".
Spoiler
Baden-Württemberg
Am rechten Ort
Im baden-württembergischen Althütte wohnen Reichsbürger:innen und gut vernetzte Neonazis, von denen einige vor dem NSU-Untersuchungsausschuss erscheinen mussten. Für viele im Dorf ist das kein Thema – wäre da nicht Gabriele Gabel. Sie kämpft dafür, dass die Rechten hier kein Land gewinnen.
Die Dorfidylle scheint real. Kinder toben auf dem Spielplatz umher, beackern den Sandkasten. Freundliche Gesichter gucken einen an, grüßen höflich. Gabriele Gabel kann es kaum glauben, als sie das laminierte Schild sieht. Überbleibsel rassistischer Sticker kleben noch immer zwischen den bunten Illustrationen, die die Spielplatz-Regeln erklären. Direkt gegenüber: eine Unterkunft für Geflüchtete.
Gabriele Gabel ist 58 Jahre alt. Seit mehr als 20 davon bekämpft sie solches Gedankengut. Bestellt wurde die Papp-Propaganda im Online-Shop von Sven Liebich, einem szenebekannten Neonazi aus Halle. Althütte ist eine 4000-Seelen-Gemeinde in Baden-Württemberg, etwa 45 Autominuten von der Landeshauptstadt Stuttgart entfernt. Im Dorf leben einige Akteure der extremen Rechten, die gut vernetzt sind und von hier aus in der Szene mitmischen.
Gabriele Gabel ist Gemeinderätin, Mitbegründerin der Liste „Forum Althütte 2000“ und Gymnasiallehrerin. Die rechten Umtriebe im Ort machen sie wütend. Sie leistet offen Widerstand – damit gehört sie im Dorf eher zu einer Minderheit. Für sie ist Rechtsextremismus die „größte Gefahr für die Demokratie“. In Althütte, sagt sie, fehle es an Wissen, Bewusstsein – vielleicht auch an Mut. Das will die 58-Jährige mit den feuerroten Haaren ändern.
Trubel im Paradies
Spaziergang zu einem Szenetreff: „Eddi’s Biker-Residenz“. Die Pandemie weggedacht, residieren hier normalerweise Motorradfahrer und in die Jahre gekommene Rocker bei Bier und Schnitzel. Wirt Eddie kommt ums Eck. Letzten Juli wollte die AfD den Rechtsaußen Markus Frohnmaier zunächst in die nahegelegene Stadt Backnang einladen, dann nach Althütte. Das Treffen fand zwar nicht statt, aber die Kneipe des langhaarigen Eddi wurde dennoch zum Austragungsort eines politischen Konflikts.
Aktivist:innen des linken Bündnisses „Zusammen gegen Rechts Rems-Murr“ erfuhren von dem Planwechsel der örtlichen AfD und protestierten vor dem Lokal. Das wiederum missfiel einer Gruppe AfDler, die – ohne Stargast Markus Frohnmaier – in der Biker-Residenz beisammensaßen. Eine Rauferei zwischen Linken und Rechten auf dem Parkplatz war die Folge, die Polizei unterband weitere Eskalationen.
Der Kneipenbetreiber betont, davon nichts gewusst zu haben, lediglich eine normale Reservierung habe er angenommen. Aber er hätte auch nichts dagegen, wenn die Blauen bei ihm speisten, sagt er, schließlich wolle er „niemanden ausgrenzen“. Gemeinderätin Gabriele Gabel muss sofort intervenieren, spricht mit fester Stimme: „Mit so einem Verhalten gibst du Verfassungsfeinden Raum!“ Der kleine Tumult wirft eine schwierige Frage auf: Wie weit kann und sollte man gehen, um der AfD Paroli zu bieten? Einer demokratisch gewählten Partei, die jedoch Menschen in ihren Reihen hat, die gänzlich undemokratisch denken? Wirt Eddi zündet sich eine Zigarette an, Schulterzucken. Wenn jeder friedlich sein Bier trinke, dann sei die Welt doch in Ordnung.
Vergangenheit als „Jugendsünde“
Dabei ist die AfD für Althütte nicht der wichtigste Akteur. Der relevanteste Mann der rechten Szene hier heißt Oliver Hilburger. Er war 17 Jahre lang Gitarrist bei der Rechtsrock-Band „Noie Werte“ und ist bestens vernetzt. Er selbst nennt seine rechtsextreme Vergangenheit gerne eine „Jugendsünde“. Andererseits ist Hilburger selbst für die AfD zu rechts, die Partei wollte ihn nicht aufnehmen. Jetzt vertreibt er sich seine Zeit auf Querdenken-Demos, neurechten Kongressen und bei „Zentrum Automobil“. Letzteres ist eine von ihm mitgegründete Liste, die die Betriebsratswahlen des Daimler-Werks in Stuttgart-Untertürkheim 2010 aufmischte. Kritik an der „korrupten“ IG-Metall und die „Stärkung des Nationalgedankens“ sind Teil des Programms. Das lässt tief blicken.
Immerhin muss Hilburger nicht weit fahren, um seine Kameraden zu besuchen. Christian Schickart, zusammen mit Hilburger im Vorstand von „Zentrum Automobil“, hat sich auch in Althütte niedergelassen. Seine Frau war Zweite Vorsitzende des Althüttener Waldkindergartens und ist zudem Initiatorin eines impfkritischen Stammtischs. Diese illustre Runde kommt einmal im Monat im Landgasthof „Schöne Aussicht“ in Althütte zusammen, Oliver Hilburger ist dort ebenfalls Stammgast.
Der Kreis schließt sich
In einer Seitenstraße unweit des Ortskerns flattert eine mit Nazisymbolen bedruckte Fahne im Wind. Ein paar Hausnummern weiter wohnt Familie Woll. Sascha Woll war Mitglied der Stuttgarter Skinhead-Truppe „Kreuzritter für Deutschland“. Auch er mischt jetzt bei „Zentrum Automobil“ mit. Seine Ehefrau Heike zelebrierte ihren nationalen Aktivismus früher bei der NPD. Sie musste außerdem vor dem baden-württembergischen Landtag im NSU-Untersuchungsausschuss erscheinen. Dort berichtet Heike Woll, dass sie nicht mehr aktiv sei, aber nach wie vor Kontakte „in alle Richtungen“ habe.
Ebenfalls vom Untersuchungsausschuss befragt wurde Andreas Graupner. Noch im Jahr 2000 wurde er vom Verfassungsschutz in Chemnitz observiert, Kontakt zum NSU-Trio konnte ihm jedoch nicht nachgewiesen werden. Graupner, Szenename „Mucke“, wohnte in der Vergangenheit bei Oliver Hilburger im Althüttener Ortsteil Sechselberg. Ob er hier immer noch nächtigt, ist unklar. Ex-NPD-Aktivistin Heike Woll gab zu, noch mit Graupner befreundet zu sein. In Althütte schließt sich der Kreis. Graupner, Woll und Hilburger erschienen alle vor dem NSU-Untersuchungsausschuss, weil die Terrororganisation ihr erstes Bekennervideo mit Musik der Band „Noie Werte“ unterlegt hatte.
Eine „Tauchstation“ für Rechte
Rund die Hälfte der Gemeinde besteht aus Wald. Althütte ist ein staatlich anerkannter Erholungsort – das verlautbart bereits das Schild am Ortseingang. Die zwei gekreuzten Glaspfeile auf dem Ortswappen sind Hinweisschilder in Richtung Vergangenheit – hier hat man sich seine Mark einst mit der Glasbläserei verdient. Einer, der hier trotz allem gerne lebt, heißt Reinhold Sczuka. Der 53-Jährige ist fast sein halbes Leben Bürgermeister der kleinen Gemeinde. Ihm gefällt es, „dort zu leben, wo andere Urlaub machen“, umschreibt Sczuka werbeprospektmäßig das, was sein Dörfchen ausmacht. Dass einschlägig bekannte Rechtsextreme im Ort leben, findet der Bürgermeister „unangenehm“.
Sczuka argumentiert, Althütte sei nicht großartig anders als der Rest der Region, dem sogenannten Rems-Murr-Kreis in Baden-Württemberg. Damit hat er recht: Umtriebe brauner Kameraden sowie mehr als solide Wahlergebnisse der AfD kennzeichnen die gesamte Gegend. Dennoch scheint gerade Althütte besonders attraktiv zu sein. Warum – darauf hat hier keiner eine Antwort. Lehrerin Gabriele Gabel hat an ihrer Schule schon viele Präventions-Veranstaltungen gegen Rechtsextremismus abgehalten. Sie vermutet, Althütte fungiert als „Tauchstation“ für Rechtsextreme. Hier widerspreche ihnen niemand.
Doch nicht nur Rechtsextreme haben sich hier niedergelassen. Auch Reichsbürger leben in Althütte. Der wohl bekannteste, der allerdings den Ort verlassen hat, heißt Stephan Bergmann. Der bärtige Coronaleugner kommt aus dem Ortsteil Waldenweiler. Er betreibt den „Verein für indianische Lebensweisen“, der mittels Sonnentänzen, Schwitzhütten und „Visionssuchen“ spirituell Suchende auf den rechten Weg führen will.
Bis Ende November 2020 war Bergmann noch Pressesprecher der „Querdenken 711“-Bewegung, die inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Bergmann ist zudem einer der Initiatoren des Vereins „Primus Inter Pares“, gegründet im nahegelegenen Schorndorf. Das baden-württembergische Landesamt für Verfassungsschutz stuft die Gruppierung als rechtsextrem ein. Aktuelle Aktivitäten des Vereins finden sich nicht. Und Bergmann will sich auf Anfrage dazu nicht äußern.
Im Althüttener Rathaus haben die Mitarbeitenden auch eine direkte Erfahrung mit Reichsbürgertum gehabt: 2016 wollte Roland B., der in Althütte wohnt, seinen Personalausweis zur „Entnazifizierung“ abgeben. Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik als Staat generell nicht an – sie sei eine „Firma“ oder „GmbH“. So denkt auch B.: In einem Video auf Youtube konstatiert er, vor dem „Firmensitz“ – so nennt er das Rathaus in Althütte – zu stehen. Er geht davon aus, dass in Deutschland nach wie vor die Gesetze der Nazis gelten, folgerichtig möchte er seinen Personalausweis loswerden, um kein Nazi mehr zu sein.
Derart gedankliches Yoga beeindruckte auch Bürgermeister Sczuka, der persönlich mit ihm sprach und auch davon berichtet, wie Mitarbeitende des Rathauses irritiert und überfordert waren. Roland B. ist polizeibekannt: Bei einer Verkehrskontrolle 2016 widersetzte er sich, wollte mit seinem Auto wegfahren, verletzte einen Beamten leicht. Das Amtsgericht Waiblingen verurteile B. ein Jahr später zu vier Monaten auf Bewährung.
„Althütte ist nicht groß anders als der Rest der Region“, findet Bürgermeister Reinhold Sczuka (CDU).
Zeit zu handeln
Meist vollzieht sich der Kampf um die ideologische Vorherrschaft im Stillen, aber doch immer mit grellen Symbolen. Er zeigt sich an den Litfaßsäulen, die Sticker mit Slogans wie „Asylflut stoppen!“ zieren; er zeigt sich als Hakenkreuze, die an eine Grundschule geschmiert werden; er zeigt sich an 16,4 Prozent Stimmen für die AfD bei der vergangenen Bundestagswahl.
Gabriele Gabel plante – zusammen mit Bürgermeister Sczuka – eine Info-Veranstaltung über Rechtsextremismus. Das Event fiel der Pandemie zum Opfer. Es soll nachgeholt werden. Gabel betont, wie wichtig es ist, in den Dialog zu treten: „Ohne Begegnung geht es nicht“. Denn die Menschen in Althütte müssten sensibilisiert werden für die Umtriebe im Dorf. Es schwelt und lodert im braunen Unterholz des Schwäbischen Waldes. Und Gabriele Gabel will weiter dafür kämpfen, dass kein Flächenbrand daraus wird.
Im Internet entlädt sich der Frust weitaus ungefilterter als auf den Straßen: Als Ende März 2020 angekündigt wurde, eine Isolierunterkunft für corona-erkrankte Geflüchtete zu errichten, berichtete auch das rechte Hetzportal „PI-NEWS“ (Politically Incorrect News). Rechte organisierten ein Hup-Konzert vor dem Rathaus, um den Livestream von Bürgermeister Sczuka zu stören. Der ließ sich davon aber nicht stören. Ein Kommentar unter einem PI-NEWS-Artikel liest sich so: „Was man mit den Verantwortlichen machen sollte, darf ich hier leider nicht sagen…“
Wehret den Anfängen, sagt Gemeinderätin Gabriele Gabel. Wohl wissend, dass es in Althütte längst nicht mehr nur um die Anfänge geht.
„Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für die Demokratie“, sagt die Lehrerin Gabriele Gabel.