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Bild: rbb/ARD Kontraste
Anastasia-Bewegung in Brandenburg Völkische Siedlung in Grabow besitzt bereits 84 Hektar Land
29.10.20 | 18:16 Uhr
Aufgrund ihrer antisemitischen, rassistischen Ideologie gilt die esoterische Anastasia-Bewegung als Anziehungspunkt für Rechte. Der Anführer einer Siedlergruppe in Grabow hat eine eindeutig rechtsextreme Vergangenheit. Von Silvio Duwe und Lisa Wandt
Auf den ersten Blick wirken sie wie Öko-Aussteiger. Sie bestellen Felder in Handarbeit; manche laufen ganzjährig barfuß, um den Kontakt zu Mutter Erde nicht zu verlieren. Hinter der esoterischen Aussteiger-Fassade verbergen sich jedoch eine rassistische Ideologie und die Ablehnung staatlicher Strukturen. Recherchen des ARD-Magazins Kontraste zeigen, dass Siedler der Anastasia-Bewegung dabei sind, eine große Zahl an Grundstücken im Dorf Grabow bei Blumenthal (Ostprignitz-Ruppin) aufzukaufen. 84 Hektar Land gehören ihnen bereits.
Wie bereits berichtet, stehen Markus und Iris Krause im Zentrum der Gruppe. Das Ehepaar entscheidet maßgeblich über die Auswahl von Familien, die sich mit der Ideologie von Anastasia identifizieren und Teil des sogenannten "Goldenen Grabow" werden wollen. Die Familie von Markus Krause ist im Ort alteingesessen. Als öffentlich bestellter Vermesser im Land Brandenburg erfährt er schnell, wenn Grundstücke zum Verkauf stehen.
"Keiner guckt wirklich hin"
"Herr Krause ist immer gezielt auf der Suche nach Häusern." sagt ein Bewohner aus Grabow. Die Frage, wie man mit den völkischen Siedlern umgehen soll, spaltet das Dorf. Viele Bewohner haben sich mit der Situation arrangiert. Wer die Bewegung kritisch sieht, ist nur anonym zu einem Interview bereit. "Keiner guckt wirklich hin, die Gruppe kann ungestört ihren Plan verfolgen", sagt ein anderer.
Die Bewegung bezieht sich auf eine antisemitische Romanserie des russischen Autors Wladimir Megre. Darin beschreibt er das Einsiedlerleben der angeblich allwissenden Anastasia, die nur von dem lebt, was sie selbst angebaut hat oder Waldtiere ihr bringen. Die Bücher fordern die Leser auf, aufs Land zu ziehen und als Selbstversorger zu leben. Elemente von Rasse und einer als rein propagierten Ahnenreihe seien Teil der "Anastasia"-Romane, sagt die Historikerin Laura Schenderlein.
Im gesamten Bundesgebiet gibt es Anastasia-Siedlungen. In Brandenburg sind die Siedlungsaktivitäten jedoch besonders weit fortgeschritten.
Verbindungen zu Rechtsextremen und Rassisten
Was die Bewegung zum Anziehungspunkt für Reichsbürger oder Rechtsextreme macht, ist, dass sie auch rassistische Theorien verbreitet oder Verschwörungsmythen über dunkle, weltbeherrschende Kräfte. Auf verschiedenen Treffen von Anastasia-Siedlern wurde nach Kontraste-Recherchen wiederholt gegen Juden, Geflüchtete oder Homosexuelle gehetzt.
Nun gibt es neue Bilder, die die rechtsextreme Vergangenheit des Grabower Siedlungsgründers Markus Krause belegen. Er ist auf Aufnahmen aus den Jahren 2006 und 2010 zu sehen, die während einer Demonstration der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) in Dresden entstanden sind. Die rechte Gruppierung hat sich mittlerweile in Junge Landsmannschaft Ostdeutschland umbenannt. Zwischen 1999 und 2010 missbrauchte sie den Jahrestag der Bombardierung Dresdens um einen sogenannten "Trauermarsch" zu veranstalten, der zu einer der wichtigsten Veranstaltungen der rechtsextremen Szene im Bundesgebiet avancierte. Bilder zeigen Krause bei einer dieser Gelegenheiten neben dem Neonazi Udo Pastörs, dem ehemaligen Vorsitzenden der NPD.
Weitere Aufnahmen zeigen Krause während eines Treffens der sogenannten "Ludendorffer" im Jahr 2007, einer völkischen und antisemitischen Gruppe, die 1937 als Bund für Deutsche Gotterkenntnis gegründet wurde. Die Gruppe bezieht sich auf General Erich Ludendorff, der 1923 am Hitler-Putsch beteiligt war und glaubte, dass göttliche Erkenntnis von der Zugehörigkeit zu einer "Rasse" abhängig sei - eine Vermischung müsse deshalb abgelehnt werden. Der Verfassungsschutz stuft die "Ludendorffer" als rechtsextrem ein.
Anfragen zu seiner Vergangenen ließ Krause unbeantwortet. Auf Berichterstattung von Kontraste aus dem vergangenen Jahr reagierte er mit einem offenen Brief. Darin warf er der Redaktion einen "inszenierten Rufmordversuch" vor. Er wolle die Menschen mit seinem Vorhaben in eine friedliche Zukunft geleiten, schrieb Krause damals.
Einschlägig bekannter Neonazi betreibt Firma unter Krauses Adresse
"Wenn man auf die 'Ludendorffer' guckt, ist das einfach ein sehr klandestiner Kreis, wo man nicht einfach hinkommt", sagt Laura Schenderlein, Historikerin am Moses-Medelssohn-Zentrum in Potsdam. "Wo man nicht hinkommt und nicht einfach eingeladen wird, ohne dass man einen Bezug zu der Szene hat."
Verbindungen zu Rechtsextremen bestehen möglicherweise auch aktuell. Unter Krauses Wohnanschrift betreibt ein gewisser Stephan J. eine Sicherheitsfirma. Unter dem Namen Stephan R. war er Bundesvorsitzender der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen, als diese noch Demonstrationen in Dresden organisierte. R. Ist auch in einem Werbefilm der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) zu sehen - einer Organisation, die im Geist der Hitlerjugend agierte und 2009 verboten wurde. Zuletzt stand die HDJ im Blick der Öffentlichkeit, als Bilder den ehemaligen brandenburgischen AfD-Vorsitzenden Andreas Kalbitz auf einem Zeltlager der Gruppe zeigten.
Auf seine Vergangenheit angesprochen, bezeichnet J. die Kontraste-Recherchen als "falsche" Informationen.
Schulpflicht wird ignoriert, Bauvorschriften offensichtlich auch
Die Anastasia-Ideologie soll den Kindern der Familien direkt indoktriniert werden. Noch im vergangenen Jahr versuchte die Grabower Gruppe eine eigene Schule aufzubauen, mittlerweile setzt sie offenbar auf Schulverweigerung. Beim "Goldenen Grabow" ist nun eine "Bildungsberaterin" aktiv, die Eltern motiviert, ihre Kinder nicht in die Schule zu schicken. "Die Schulpflicht ist abgeschafft und wir haben jetzt Bildungsfreiheit in Deutschland", sagt sie in einem Video.
Nach Informationen des ARD-Magazins Kontraste gehen derzeit drei schulpflichtige Kinder aus zwei Grabower Familien nicht zur Schule. "Zunächst geht es erst einmal darum, sie aus dem gesellschaftlichen Einflussbereich der demokratischen Gemeinschaft herauszunehmen", meint Historikern Schenderlein. Den Kindern sollten stattdessen die Inhalte zugeführt werden, die für die Bewegung wichtig seien. "Es geht klar um eine ideologische Ausbildung der Kinder und Jugendlichen", so ihre Einschätzung. Vom Brandenburger Bildungsministerium heißt es dazu auf Anfrage, die örtliche Behörden seien alarmiert.
Derzeit siedeln mehrere Familien auf einer Ackerfläche, die sich im Besitz des "Goldenes Grabow" befindet. Hütten, Bauwägen und Tipi-Zelte dienen offensichtlich auch als Wohnung. Auf Anfragen zu den Siedlungen reagiert das Ehepaar Krause nicht. Der Landkreis wusste offenbar bislang nichts von den Bautätigkeiten. "Wir sind verpflichtet solchen Hinweisen nachzugehen", sagt ein Sprecher des Landratsamts von Ostprignitz-Ruppin auf Anfrage. "Das werden die Kolleginnen und Kollegen von der Bauaufsicht jetzt auch tun und dann – wenn erforderlich – auch entsprechende Maßnahmen einleiten."
Holger Kippenhahn, Bürgermeister der für Grabow zuständigen Gemeinde Heiligengrabe, kommt angesichts der Erkenntnisse ins Zweifeln. Was steckt alles hinter dem ökologisch, naturverbundene Bild, das die Grabower Anastasia-Siedler nach außen hin darstellen. "Wenn das so mehr oder weniger in eine Richtung eines Netzwerkes im Hintergrund läuft, ist das zumindest sehr bedenklich."