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Emden
Durch die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin und die Erstürmung der Reichstags-Treppe, an der auch verschiedene Gruppen von Verschwörungstheoretikern beteiligt gewesen sein sollen, sind diese erneut in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Unsere Redaktion fragte deshalb nach, ob Reichsbürger und Co. auch in Emden und Ostfriesland aktiv sind. Die Antwort: Die Region ist zwar keine Hochburg. Gleichwohl registrierten Polizei, Staatsschutz und Verwaltungen in den vergangenen Jahren auch hier immer mal wieder Einzelfälle, in denen Verschwörungstheoretiker auf- oder sogar straffällig wurden. Dabei handelte es sich stets um die sogenannten Reichsbürger.
Womit genau sich die Behörden beschäftigen mussten
Stadt Emden
Der Verwaltung ist zwar keine „Reichsbürger-Szene“ bekannt. Gleichwohl sind Mitarbeitern der Stadt in den vergangenen Jahren immerhin drei Personen mit Äußerungen aufgefallen, die inhaltlich der Reichsbürger-Ideologie zuzuordnen sind. Welche Äußerungen das waren? „Das möchte ich eher allgemein beantworten“, sagt Stadtsprecher Eduard Dinkela: „Zu den von sogenannten Reichsbürgern vertretenen Ideologien gehören oft die Ablehnung der Demokratie, Ideologieelemente des Monarchismus, Rechtsextremismus, Geschichtsrevisionismus und teilweise Antisemitismus oder die Leugnung des Holocausts.“ Entsprechende Vorfälle würden an die Polizei weitergeleitet.
Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht
In den letzten zwei Jahren wurden bei der Polizeiinspektion Leer/Emden Strafanzeigen gegen zwei Tatverdächtige bearbeitet, welche im Verdacht stehen, der Reichsbürgerideologie nahezustehen, teilte Sprecherin Heike Rognermit. Die Kripo ermittelte - unter anderem, weil Telefonate mit der Polizei, Ämtern, Behörden und anderen Institutionen mitgeschnitten wurden (die Polizei spricht von Verstößen gegen Paragraf 201 Strafgesetzbuch - Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes). Zudem wurden verdeckte Bild- und Videoaufnahmen von Polizisten und einer Privatperson gemacht (Verstoß gegen Paragraf 201a StGB - Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen). Das Material wurde im Internet veröffentlicht. Auch einen „waffenrechtlichen Verstoß“ und eine Beleidigung soll es gegeben haben. Nach Auskunft von Jan Wilken, Sprecher der Staatsanwaltschaft in Aurich, handelte es sich bei den Verdächtigen um Männer. Ereignet haben sich die Vorfälle „im Leeraner Raum“. Ein Verfahren laufe noch, das andere sei mit einer Geldstrafe beendet worden. Weitere Details zu den Fällen und den Tätern nannte er nicht. Allerdings erklärte Wilken, warum die Ermittlungsbehörden in der Regel nicht von Reichsbürgern sprechen, sondern davon, dass jemand im Verdacht steht, einer zu sein. „Ein Reichsbürger zu sein, ist nicht strafbar, sagt Wilken. Deshalb würde auch nicht dahingehend ermittelt. Die Angehörigkeit zur Szene scheint aber meist recht offensichtlich zu sein. „Die Anhänger überschreiten leicht die Schwelle zu Straftaten“, schildert Wilken die Erfahrung der Ermittlungsbehörden. Weil das so ist, versteht auch die Polizei keinen Spaß, wenn es um Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker aller Art geht. „Wir tolerieren keine radikale Haltung.
Der Staatsschutz der Polizeiinspektion Leer/Emden beschäftigt sich mit derartigen Fällen. Jeder Vorfall wird einzelfallbezogen geprüft und entsprechende Gefährdungsprognosen erstellt“, sagt Johannes Lind, Leiter der Polizeiinspektion Leer/Emden. Sollten sich „gefährdungserhöhende Erkenntnisse konkretisieren“, würden „umgehend entsprechende Maßnahmen zur Unterbindung einer möglichen Gefahr veranlasst“. Allerdings schränkte Lind auch ein: „Bei den genannten Tatverdächtigen bestehen derzeit keine Anhaltspunkte bezüglich einer Gefährdung oder einer öffentlichen Gefahr.“ Am Amtsgericht Emden hat man unterdessen noch keine Erfahrungen mit Reichsbürgern und Co. gesammelt. Im gerichtlichen Bereich in seinem Bezirk herrsche Ruhe, teilte Amtsgerichts-Direktor Günther Bergholz mit.
Die Polizeiinspektion Aurich/ Wittmund teilte auf Anfrage mit, dass Reichsbürger strafrechtlich vor allem in Erscheinung treten, wenn es Konflikte mit Mitarbeitern von Verwaltungsbehörden gibt. Genaueres verriet die Sprecherin aber nicht.
Landkreis Aurich
Die wohl gravierendste Begegnung mit einem Reichsbürger hatten Mitarbeiter des Landkreises Aurich in diesem Jahr. Dort kam es zu einem sogenannten waffenrechtlichen Anhörung. Die steht unter anderem an, wenn der Staatsschutz einen eingetragenen Waffenbesitzer der Reichsbürger-Szene zuordnet. Anschließend bekommt er Besuch vom Ordnungsamt. In Aurich ging es dabei um einen 49-Jährigen, der einen kleinen Waffenschein besaß (berechtigt zum Führen Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen). Der Mann habe ihn freiwillig abgegeben, teilte Landkreis-Sprecher Rainer Müller-Gummels mit. Darüber hinaus verweigerten Verwaltungsmitarbeiter seit 2018 in sechs Fällen die Ausstellung von Staatsangehörigkeitsausweisen - erstens, weil es Hinweise darauf gab, dass die Antragssteller Reichsbürger sind, zweitens, weil kein Anspruch darauf bestand (fehlendes Sachbescheidungsinteresse). Drei Fälle aus dem laufenden Jahr sind noch in Bearbeitung. Mit einem Staatsangehörigkeitsausweis wird die deutsche Staatsangehörigkeit nachgewiesen. Benötigt wird er eigentlich nur in besonderen Fällen, zum Beispiel bei Adoption, Einbürgerung des ausländischen Ehegatten, Approbation, Eintritt in ein Beamtenverhältnis). Da Reichsbürger häufig Reisepass und Personalausweis als Identitätsnachweis ablehnen, versuchen sie gerne, an Staatsangehörigkeitsausweise zu kommen. Insgesamt habe der Landkreis nur verhältnismäßig selten mit Reichsbürgern zu tun, sagt Müller-Gummels. Allerdings bekommt die Verwaltung neuerdings ziemlich viele E-Mails von Verschwörungstheoretikern, die sich zu den Corona-Maßnahmen äußern. Man ahnt: nicht gerade freundlich."