Sven Liebich und eine verzweifelte Staatsanwaltschaft im "Kampf gegen Rechts"....oder auch nicht.
Andererseits...genau diese Staatsanwaltschaft zeigt sich ja auch extrem fähig, engagiert und fleißg, wenn es um den Bezopften (und ein paar andere aus unserer Klientel) geht.
Spoiler
Kritik an Staatsanwaltschaft Halle
Rechtsextremist Sven Liebich – Anzeigen gegen ihn laufen oft ins Leere
Stand: 17. Juni 2020, 18:13 Uhr
Rechtsextremist Sven Liebich hetzt im Netz und auf der Straße gegen politische Gegner. Die Ermittlungen nach Anzeigen werden meist eingestellt. Betroffene erheben schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft Halle.
Der Hallenser Sven Liebich ist ein stadtbekannter Rechtsextremist. Regelmäßig hetzt er auf Demos und in sozialen Netzwerken. Im Internet verkauft er Kleidung und Aufkleber mit fragwürdigen Motiven.
Im Verfassungsschutzbericht von 2002 wird der heute 49-Jährige bereits als “Agitator” und “Aufstachler” beschrieben. "Uns ist Herr Liebich schon Ende der 1990er, Anfang der 2000er-Jahre aufgefallen, als er zum Beispiel Kontakt hatte zu Blood and Honour, eine eindeutige rechtsextremistische Organisation", erklärt Jochen Hollmann vom Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt. "Er hat damals schon agitiert. Und die größte Gefahr, die wir von ihm ausgehen sehen, ist, dass er andere Leute aufstachelt, dass andere Leute sich möglicherweise berufen fühlen, in Aktion zu treten", warnt Hollmann.
Attacken gegen "Omas gegen Rechts"
Dass Sven Liebich Leute um sich schart, um durch geballtes Auftreten Menschen einzuschüchtern, berichtet Katrin Schmidt (Name von der Redaktion zum Schutz geändert) im Gespräch mit "exakt". Als eine der "Omas gegen Rechts" in Halle engagiert sie sich gegen rechtsextreme Umtriebe. Mit vier Mitstreiterinnen hatte sie im Dezember gegen eine Demo von Sven Liebich protestiert.
Die Frauen standen mit ihren Schildern am Rand der Demo. "Wir sind sofort von Sven Liebich beschimpft worden, und er hat auch seine Leute auf uns gehetzt. Da hat uns dann eine Gruppe von ungefähr 15, 20 Leuten eingekreist und auf uns eingeschrien", sagt Katrin Schmidt. Später hätte die Liebich-Gruppe angefangen, die Seniorinnen sogar zu schubsen. "Eine von unseren Omas ist dann gestürzt", erzählt sich Katrin Schmidt. "Da gibt es offensichtlich keine Hemmungen", erklärt sie "exakt" sichtlich erschrocken.
Beleidigung oder nur "härtere Formulierung"?
Später entdeckte sie ein Video von der Situation im Internet. Im Getümmel waren die Worte des Rechtsextremisten untergegangen. Doch im Video war Liebich klar zu hören: “So fordern wir sie auf, liebe Omas, in das nächstgelegene Flüchtlingsheim zu gehen und eure drei möglicherweise auch schon vertrockneten Löcher hinzugeben, auf dass es weniger Vergewaltigungen in Deutschland gibt." Katrin Schmidt hat daraufhin Sven Liebich angezeigt.
Aber die Staatsanwaltschaft Halle erkannte hier keine Beleidigung und stellte das Verfahren ein. Die Menschenwürde werde nicht verletzt. In politischen Auseinandersetzungen müssten “auch härtere Formulierungen hingenommen werden”, so die Staatsanwaltschaft. "Ich bin in meinem Leben noch nie so beleidigt worden. Was muss der denn eigentlich noch sagen, damit eine Staatsanwaltschaft hier in Halle reagiert? Ich verstehe es nicht", ist Katrin Schmidt empört.
Wo beginnt die Verharmlosung des Holocausts?
Igor Matviyets ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Halle. Dort wollte im Oktober 2019 ein Rechtsextremist jüdische Menschen ermorden, scheiterte jedoch an der Tür und tötete anschließend eine Passantin und einen Gast in einem Döner-Imbiss. Und ausgerechnet in der Stadt dieses Anschlags verkauft Sven Liebich gelbe so genannte Judensterne übers Internet und bewirbt sie mit “Der Dieselfahrer ist der neue Jude”. Für Igor Matviyets ist das eine unerträgliche Verharmlosung des Holocausts. Deshalb hat er Liebich angezeigt.
"Der Vergleich entbehrt jeder Grundlage", so Igor Matviyets. "Wir kennen die Konzentrationslager, die Vernichtungslager. Wir wissen, was für ein Leid damals stattgefunden hat. Wie grenzenlos entmenschlichend der Umgang war, mit jüdischen Menschen oder mit anderen Minderheiten. Und sich hinzustellen und zu sagen, dass jetzt der Dieselfahrer genauso behandelt wird wie jüdische Menschen. Ich hatte die Hoffnung, dass das strafrechtlich verfolgbar ist", erklärt Igor Matviyets "exakt".
Aber auch seine Anzeige wurde eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Halle sieht in Liebichs Dieselfahrer-Stern lediglich eine “bewusst übersteigerte Ausdrucksform”. Für Igor Matviyets nicht nachvollziehbar. Zumal viele Politiker nach dem Anschlag auf die Synagoge gefordert haben, gegen Antisemitismus stärker vorzugehen. Davon spüre das Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Halle nichts. "Es ist sehr frustrierend", so Igor Matviyets.
Kritik an der Staatsanwaltschaft Halle
Valentin Hacken vom "Bündnis Halle gegen Rechts." kritisiert die Arbeit der Staatsanwaltschaft Halle seit Jahren. Liebich veröffentliche private Adressen, verbreite Lügen und das bliebe meist ohne strafrechtliche Konsequenzen, so Hacken.
"In der Folge bedeutet das, dass Rechtsextreme wie Sven Liebich einen unglaublichen Spielraum in dieser Stadt bekommen, weil sie wissen, sie müssen sich vor Strafverfolgung keine Sorgen machen", erklärt er. "Man sollte jeden Regelverstoß verfolgen", betont Jochen Hollmann vom Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt. So halte er es für möglich, Sven Liebich doch irgendwann einen "sogenannten Warnschuss" verpassen zu können.
Auf exakt-Nachfrage erklärt die Staatsanwaltschaft Halle schriftlich: Im Oktober 2019 seien bereits über 200 Verfahren gegen Liebich bekannt gewesen. Wie viele seitdem dazu gekommen sind, erfahren wir nicht. Die Verfahren zu zählen, sei zu aufwendig. “Sie können aber sicher sein, dass wir sehr sorgfältig prüfen, nichts durchgehen lassen und Anklage erheben, wenn es rechtlich möglich ist", betont die Staatsanwaltschaft Halle in dem Schreiben.
Forderung nach zentraler Staatsanwaltschaft für rechtsextreme Delikte
Der Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel (Bündnis 90 / Die Grünen) gehört ebenfalls seit Jahren zu den Kritikern der Staatsanwaltschaft Halle. Nicht nur im Fall Sven Liebich zeige sich, dass nicht konsequent genug vorgegangen werde.
Es braucht ein Umdenken, es braucht ein tatsächlich konsequenteres Vorgehen. Und manchmal ist ein Umdenken auch nur durch personelle Veränderungen zu erreichen", sagt er "exakt". Sachsen-Anhalt brauche eine zentrale Staatsanwaltschaft, die speziell für rechtsextreme Delikte zuständig ist. Andere Bundesländer hätten damit schon positive Erfahrungen gemacht, so der Innenpolitiker der Grünen.
Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) will die Staatsanwaltschaften mit mehr Personal ausstatten, aber eine solche zentrale Staatsanwaltschaft lehnt sie ab. "Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft, das heißt die Zuständigkeit einer Staatsanwaltschaft für das gesamte Land Sachsen-Anhalt, halte ich nicht für den richtigen Weg. Ich halte es für wichtiger, dass die Staatsanwaltschaften vor Ort handeln, weil die auch eine andere Ortskenntnis haben und auch eine andere Kenntnis von den handelnden Personen", erklärt sie "exakt". Personelle Konsequenzen bei der Staatsanwaltschaft in Halle schließt die Justizministerin aus, dafür sehe sie keinen Anlass, betont sie im Interview.