Ein lesenswerter Artikel zum rechtsextremen Anwalt Kohlmann, den wir hier ja in vielen Threads haben. Als Verteidiger von Ursache, als Bindeglied zur AfD, als Kopf von "ProChemnitz" etc.pp.
Er ist jetzt wohl nicht mehr Mitglied in der "Vereinigung der Strafverteidiger Sachsen/Sachsen-Anhalt".
Spoiler
Martin Kohlmann: Advokat und Provokateur
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In Szene gesetzt: Die deutsche Flagge steht kopf, während Rechtsanwalt Martin Kohlmann eine neue Wende herbeisehnt. Foto: Paul Sander/imago
Von Jens Eumann, Kai Kollenberg, Swen Uhlig, Michael Müller, Jan Oechsner und Ulrike Abraham
Bei Demonstrationen agitiert der Chemnitzer Stadtrat Martin Kohlmann seit Wochen Massen von Asylgegnern. Noch nie fielen seine Provokationen auf so fruchtbaren Boden. Als Anwalt vertritt er Asylbewerber aber ebenso wie rechte Terroristen.
Chemnitz.
Ein wenig ähnelt die Pose der Lenins am Finnischen Bahnhof von St. Petersburg. Martin Kohlmann reckt die Faust empor, während er peitschende Sätze spricht. Das Bild, das der Kopf der rechtspopulistischen Bürgervereinigung Pro Chemnitz bei den Protesten zum Besuch von Ministerpräsident Michael Kretschmer abgab, wirkt ein bisschen wie einstudiert. Es ist nur einer von vielen solchen Auftritten, die der 41-jährige Anwalt seit Ende August bis jetzt absolviert hat.
Ob Kohlmann ein begnadeter Schauspieler ist, sollen Rezensenten beurteilen. Doch sagte ein gewisser Christoph Schlingensief schon 2001 über den damals für die Republikaner im Stadtrat sitzenden Abgeordneten, durchs Theater sei er einen Schritt weiter. Schlingensiefs Urteil fiel in die Zeit seiner Hamlet-Inszenierung am Theater Zürich. Was der 2010 gestorbene Provokateur der Theaterwelt allerdings damals im Blick hatte, war eine Abkehr Kohlmanns von der rechten Szene.
Für Hamlet hatte sich der Regisseur neben Profischauspielern eine Handvoll waschechter Neonazis ins Boot holen wollen. Nur ausstiegswillig sollten sie sein. In Schlingensief-Manier löste das Projekt mit punktgenauer Provokation schon im Vorfeld Proteste aus. In Ermangelung genügend archetypischer Hardliner-Glatzen, die zur Läuterung bereit gewesen wären, griff der Theatermann auch auf scheinbar nicht ganz ins Bild passende Leute zurück. Zwar wurde Kohlmann wegen aufkommender Zweifel am Ausstiegswillen vom Team geschasst. Der stets auf Irritationen setzende Regisseur aber blieb unbeirrt: "Ich gehe davon aus, dass er sein Stadtratsmandat als Republikaner irgendwann zurückgibt", sagte Schlingensief der "Freien Presse" 2001.
Tat er auch. Kohlmann verließ Jahre später die rechtskonservative Partei, nahm aber nicht die von Schlingensief avisierte Richtung. Wegen der demagogischen Reden der letzten Wochen gilt er Sachsens Verfassungsschutz jetzt als rechtsextrem. Der Generalstaatsanwalt prüft, inwieweit er zu Straftaten aufgerufen hat. Doch der Reihe nach.
Aus Zürich zurück, schickte sich Jurastudent Kohlmann einst an, vieles effektiver zu gestalten als vor seinem Theater-Exkurs. Provoziert hatte er immer, doch waren Aktionen schon mal verpufft. Gegen die Wehrmachts-Ausstellung, die laut Ratsbeschluss nach Überarbeitung in Chemnitz Station machen sollte, hielt er eine Rede. Die wollten andere Abgeordnete aber nicht hören und ließen ihn im Ratssaal vor leeren Reihen zurück. Immerhin war es Kohlmann gelungen, Oberbürgermeister Peter Seifert (SPD) so in Rage zu bringen, dass dieser sich vergaß. Mit dem Kommentar, Seifert habe in einer Rede Chemnitzer Opfer des Weltkriegsbombardements verhöhnt, provozierte Kohlmann einen Satz, den ein OB nicht sagen darf. Seifert betitelte ihn mit dem fäkalsprachlichen Wort für ein rückwärts gewandtes Körperteil. Nur scheiterte Kohlmann mit dem Anliegen, einen Widerruf zu erzwingen. Der Satz "Sie sind ein A...loch!" sei Meinungsäußerung, nicht Faktenbehauptung und nicht widerrufbar, hieß es am Verwaltungsgericht.
Fortan plante Kohlmann Aktionen in Rats- und Gerichtssaal besser. Seine Klage am Amtsgericht hatte Erfolg. Noch vorm ersten Staatsexamen erstritt er 2003 vom Alt-OB 500 Euro Schmerzensgeld wegen der Jahre zurückliegenden Beleidigung.
Im Juni 2005 gab Kohlmann den Landesvorsitz bei den Republikanern ab, den er seit 2004 innehatte. Im Oktober trat er ganz aus der Partei aus. Laut Kohlmann hatte es "Meinungsverschiedenheiten" gegeben, die er nicht näher erörterte. Laut dem späteren Rep-Landeschef Mario Heinz ging es um Strafermittlungen, die seit der Bundestagswahl gegen Kohlmann liefen. Er hatte kandidieren wollen und Unterstützer-Unterschriften gebraucht. Es kam zum Vorwurf, Unterschriften seien nicht rechtmäßig zustande gekommen. Kohlmann räumte ein, ihm sei der Fall einer entmündigten Frau bekannt, die wohl unterzeichnet habe. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Es war nicht nachzuweisen, dass Kohlmann selbst Unterschriften gefälscht hätte. Doch führte der Fall zum Bruch mit der Partei. Dass Kohlmann zunächst Vorsitzender der Rep-Fraktion im Stadtrat blieb, ließ die Gemeindeordnung zu.
Was man nicht zuließ, war, dass er im Folgejahr als Oberbürgermeister-Kandidat für die DSU antrat. Die Partei war im Stadtrat gar nicht vertreten. Bis zum Oberverwaltungsgericht suchte Kohlmann seine Zulassung zu erstreiten, vergeblich. Nach der OB-Wahl focht er diese noch an, verzögerte so den Amtsantritt von OB Barbara Ludwig, scheiterte aber auch damit. Zwei Jahre später scheiterte er am Wähler. Als Landratskandidat der DSU im Erzgebirge landete er mit 1,4 Prozent im ersten Wahlgang auf dem letzten Platz.
Blieben ihm höhere Ämter verwehrt, gelang es Kohlmann doch immer wieder, Wellen zu schlagen. "Jede seiner Reden im Stadtrat war eine Provokation", entsinnt sich Hubert Gintschel von der Fraktion der Linken, der mit Kohlmann bereits vor Gericht landete. 2005 hatte Kohlmann dem damals 56-jährigen Ratsherrn unterstellt, er habe Drogen genommen, als Gintschel fürs Musikfestival "Splash" das Wort ergriff. "Inzwischen achtet Kohlmann darauf, dass Äußerungen unterhalb strafrechtlicher Konsequenzen bleiben", sagt Gintschel. Ob er da aktuell recht hat, muss sich zeigen.
Bei Kohlmanns Handeln zumindest war das ohnehin nicht immer so. Im April 2009, zwei Jahre nach seiner Zulassung als Anwalt, inszenierte er einen Coup, dessen Gerichtsfolgen absehbar waren. Nach Gründung der neuen "Bürgervereinigung Pro Chemnitz" durch einen Ex-CDU-Mann und dessen Erklärung, zur nächsten Ratswahl mit Kohlmanns Republikaner-Fraktion anzutreten, lag der Aktion natürlich politisches Kalkül zugrunde.
Es ging um ein Bild, das ein junger Künstler - zugleich Rep-Mitarbeiter - im Auftrag einer Berufsschule an deren Speisesaalwand gemalt hatte. Kurz vor der Enthüllung entpuppte sich das Gemälde als ideologisches Bekenntnis. Das Panorama der Stadt war mit rechtsextremen Symbolen gespickt, die zuerst keiner bemerkt hatte. Dem Rathaus-Beschluss, das Gemälde zu übertünchen, stellte sich Kohlmann entgegen. Er stieg in die Schule ein und verschanzte sich mit anderen hinter Mobiliar vor dem Bild. Die Polizei räumte die Störer aus dem Weg - ebenso wie sie Kohlmann wenig später in gleicher Sache aus dem Ratssaal entfernte. Er hatte erneut so sehr provoziert, dass die Oberbürgermeisterin ihn des Saales verwies. Da er freiwillig nicht ging, ließ man ihn rausbringen. Beide Fälle wertete man vor Gericht als Hausfriedensbruch.
Provokation pflegt Kohlmann auch im Gerichtssaal, wo er als Verteidiger von Szene-Kameraden auftritt oder auch mal als Beistand von Kontaktleuten aus dem Unterstützernetz der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund". Er verteidigt aber auch messerstechende Asylbewerber. Am Landgericht Chemnitz etwa forderte er Freispruch für einen 18-jährigen Albaner, der eine Gruppe Tunesier beim Grillen überfallen und zwei von ihnen lebensgefährlich verletzt hatte. Immerhin gab es Bewährung.
Am Amtsgericht Zwickau unterstellte er einem von rechten Kameraden mit Chilisauce bespritzten SPD-Bundestagsabgeordneten schon mal, sein Anzug habe wohl schon vor der Attacke der Reinigung bedurft. Bei Leuten in Antifa-Nähe sei nicht klar, dass sie saubere Kleidung trügen. Am Oberlandesgericht Dresden, wo Kohlmann einen der Angeklagten der Terror-Gruppe Freital verteidigte, beließ er es nicht bei Sticheleien. Gleich zu Beginn wurde er mit Handyverbot belegt, da er unerlaubt Fotos vom ersten Prozesstag ins Netz gestellt hatte. Zum Abschluss im Februar implizierte er eine Drohung, die man in ähnlicher Form oft von Reichsbürgern hört. Die drohen Strafverfolgern schon mal standrechtliche Erschießung an. So weit ging Kohlmann nicht. Doch sagte er, er hoffe, dass sich seine Worte aus dem Plädoyer einmal strafschärfend auswirken. Und zwar in einem Prozess, der nach einem Systemwechsel gegen die gerade urteilenden Oberlandesrichter zu führen sei - wegen Freiheitsberaubung. Eine Drohung? Auf den Hinweis der Nebenklage hob Kohlmann die Hände. Er habe nur eine Hoffnung geäußert. Dennoch prüft die Rechtsanwaltskammer Sachsen derzeit, ob sie beim Generalstaatsanwalt ein berufsrechtliches Verfahren einleitet.
Exemplarisch macht der Vorfall Mechanismen von Kohlmanns Rhetorik klar, die er auch bei Reden nutzt. Seine Formulierungen provozieren Assoziationen, gegebenenfalls auch Aktionen, ermöglichen aber stets distanzierendes Händeheben. Bei einer Demo der Bürgerinitiative gegen die Erstaufnahme für Asylbewerber in Chemnitz-Ebersdorf bedauerte er 2015, dass es Demonstranten nicht erlaubt sei, Waffen mitzuführen. Eine solche Freigabe fördere Respekt im Umgang. Pro Chemnitz warb derweil im Netz für "Bürgerstreifen". Man wolle Sicherheit nicht länger dem Staat überlassen. Die Polizei warnte: "Bürgerstreifen" seien weder legitimiert noch zielführend. Sie verwies auf Risiken: Selbstjustiz! Verletzt zu werden! Zu verletzen! Sich strafbar zu machen!
Während die Demos in Ebersdorf selbst zu besten Zeiten wenige 100 Teilnehmer zählten, ist seit dem Tod von Daniel H. alles anders. Der 35-Jährige wurde am Stadtfestwochenende vermutlich von aus Syrien und dem Irak stammenden Asylbewerbern erstochen. Pro Chemnitz und AfD verstanden es, die mit falscher Darstellung des Tathergangs im Netz aufgeheizte Stimmung zu nutzen. Ihre Demonstrationen, die weltweit Schlagzeilen provozierten, zählten Tausende Teilnehmer. Seit er bei Schlingensief einst letzten Schliff erhielt, war die Bühne für den provozierenden Advokaten Kohlmann noch nie so groß.
Ob die Generalstaatsanwaltschaft mit dem Verdacht des Aufrufs zu Straftaten jene Rede im Blick hat, die Kohlmann gleich am Tag nach dem Tod von Daniel H. am Marx-Monument hielt, ist ungewiss. Doch sagte er dort: "Wenn es eine funktionierende Justiz gibt, brauchen wir keine Selbstjustiz", implizierend, dass es auch Umstände gibt, die Selbstjustiz erfordern können. Aufbrandende Sprechchöre forderten: "Widerstand" und "Ausmisten". Kohlmann legitimierte: "Noch fordern wir, aber wenn die Politik nichts tut, dann tun wir es selbst." Verklausuliert solidarisierte er sich sogar mit Gesetzesbrechern: "Als Bürgerbewegung Pro Chemnitz rufen wir auf, dies weiter im Rahmen der geltenden Gesetze zu tun. Aber persönlich kann ich mittlerweile jeden gut verstehen, der angesichts des offenen Rechtsbruchs der Bundesregierung sich selber diese Zwangsjacke nicht mehr anziehen möchte." Geltende Gesetze als Zwangsjacke? Erneut rief er zu Bürgerstreifen auf. "Holen wir uns unsere Städte zurück."
Zweieinhalb Wochen später trat am Schloßteich eine Gruppe in Erscheinung, die Ausweise kontrollieren wollte und Ausländer angriff. Aus der Gruppe stammen fünf der acht Männer, die inzwischen unter dem Verdacht, eine Terrorgruppe namens "Revolution Chemnitz" gebildet zu haben, in Haft sind. Während Kohlmann letztere öffentlich als Leute bezeichnet, die ein "bissl Frust" abließen, verwahrt er sich dagegen, die Gruppe am Schloßteich sei eine Bürgerstreife in seinem Sinne: "Da haben, soweit man es aus der Presse so weiß, ein paar Leute 'wilde Sau' gespielt und wohl friedliche Menschen belästigt ... Eine Bürgerstreife, wie wir sie organisieren und ausbilden, hält sich an die Gesetze, beschützt friedliche Menschen gleich welcher Herkunft und schreitet nur bei Straftaten oder schwereren Ordnungswidrigkeiten ein", schreibt er auf Anfrage.
So sehr Kohlmann für sich reklamiert, sich an Gesetze zu halten: Wegen Hausfriedensbruchs ist er rechtskräftig verurteilt, ebenso wegen Steuerhinterziehung. Die Hände hebt er angesichts aktuell von der Staatsanwaltschaft Dresden gegen ihn geführter Ermittlungen. Wie ein Steckbrief wurde auf der "Pro Chemnitz"-Facebook-Seite der Haftbefehl eines Verdächtigen im Stadtfest-Todesfall veröffentlicht. Rechtswidrig. Er habe das Dokument nicht ins Netz gestellt, wisse auch nicht, wer das getan habe, sagt Kohlmann. Als "lächerlich" beurteilt er, dass Sachsens Verfassungsschutz ihn nun als Rechtsextremisten einstuft. Die angeheizte Situation in Chemnitz, in der stets mit fremdenfeindlichen Angriffen zu rechnen sei, führte Verfassungsschutz-Stabschef Martin Döring auf die seit August fast wöchentlichen Demonstrationen mit Kohlmanns Auftritten zurück.
In seiner Agitation bei Protesten der Asylgegner sieht Kohlmann keinen Widerspruch dazu, dass er rechtlich auch Asylbewerber vertritt. "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps", schreibt er auf Anfrage. "Es ist manchem 'Normalbürger' unverständlich, wie man die bösen Vergewaltiger verteidigen kann, manchem 'Rechten', wie man böse Ausländerbanden verteidigen kann, und manchem Gutmenschen, wie man böse Nazis verteidigen kann. Das alles fußt auf einem falschen Verständnis des Anwaltsberufes." Man müsse nicht schön finden, was dem Mandanten vorgeworfen wird, aber als Anwalt dafür Sorge tragen, dass rechtsstaatliche Regeln "nicht zu seinen Ungunsten verletzt werden". Einen Widerspruch hat vorige Woche die Vereinigung der Strafverteidiger Sachsen/Sachsen-Anhalt aber zwischen Kohlmanns Agitation und seiner Mitgliedschaft ausgemacht. Der Verband schloss ihn aus.