Der sorglose Genießer
Ein Radebeuler will von Polizisten überfallen worden sein. In einem anderen Fall spielt er selbst Polizist.
Von Jürgen Müller
Die ganze Welt ist schlecht, hat sich gegen den 50-jährigen Radebeuler verschworen. Die Polizisten machen Falschaussagen, um ihn zu belasten, das Gericht protokolliert seine Aussagen nicht richtig und nur lückenhaft und die Presse schreibt schlecht über ihn. So Anfang April, als schon einmal eine Verhandlung vor dem Meißner Amtsgericht stattfand. Die endete nach 45 Minuten. Da stellte sich heraus, dass der Angeklagte ein Tonband mitlaufen ließ. Gestern nun der zweite Anlauf, diesmal mit akribischen Einlasskontrollen vor dem Saal. Die Anklagepunkte freilich sind die gleichen: Am 29. Juni vorigen Jahres soll der Radebeuler auf dem Kirchplatz in Radebeul einem Infomobil der Bundesregierung die Zufahrt auf dem Platz verstellt haben. Den Fahrer, einen Mitarbeiter und einen Sicherheitsmann soll er massiv beleidigt haben.
Die Mitarbeiter des Bundestages soll er mit den Worten „Warum kommt ihr Arschlöcher jetzt erst, obwohl der Platz schon den ganzen Tag gesperrt ist“, empfangen haben. So schildert es jedenfalls ein Zeuge. Auch Worte wie „Staatsfeinde“, „Verräter“, „Oberarschlöcher“ und „Bonzen“ sollen gefallen sein. Auch das streitet er ab. „Solche Worte gehören nicht zu meinem aktiven Sprachgebrauch.“ Er habe Angst um sein Haus gehabt, als der Truck über den Fußweg auf den Platz fuhr. Dabei besitzt er gar kein Haus, im Grundbuch steht nur seine Frau. Danach soll ihn der Truck umgefahren haben, so dass er zu Boden ging und sich verletzte. Noch so ein Märchen. „Ich kam im Schritttempo angefahren, als sich der Angeklagte mit ausgebreiteten Händen vor das Fahrzeug stellte. Ich habe ihn auf keinen Fall berührt“, sagt der Fahrer. Weder ihm noch der später eintreffenden Polizei erzählt der Angeklagte etwas von Verletzungen. Der Mann sei sehr aufgebracht gewesen, fühlte sich im Recht und habe sich nicht beruhigen lassen, so der Zeuge. Der Truck habe auf dem Platz nichts zu suchen, behauptete der Radebeuler. Auch als der Fahrer die verkehrsrechtliche Anordnung der Stadt zeigt, stimmt ihn das nicht um. Er zeigt den Fahrer an, weil der ihn umgefahren und ein Verkehrsschild beschädigt habe. Den Polizisten wirft er Strafvereitelung im Amt vor.
Hausrecht im Auto
In einem anderen Fall soll er bei einer Verkehrskontrolle Widerstand geleistet haben. Er wurde angehalten, weil er den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte. Er weigerte sich, Ausweis und Führerschein zu zeigen, stattdessen schob er nur die Zulassung und eine Metro-Karte mit Foto durchs Fenster. Als ein Polizist ins Auto greift, um den Zündschlüssel abzuziehen, soll er das Fenster geschlossen haben. In letzter Sekunde kann der Polizist den Arm herausziehen. Die gesamte Aktion soll er ebenfalls auf Tonband aufgezeichnet haben. Er glaubt, dass er das durfte. „In meinem Auto habe ich Hausrecht, da kann ich machen, was ich will“, sagt er. Die Schilderungen der Polizisten bezeichnet er als Märchen. „Die Brüder Grimm waren bessere Märchenerzähler“, sagt er. Er spricht davon, von der Polizei überfallen worden zu sein. Der Märchenerzähler ist wohl er.
Unzufrieden mit seinem Leben?
Was der Anlass für diese völlig sinnlosen Taten ist, kann das Gericht nicht ergründen. Möglicherweise hat er schlechte Erfahrungen mit Behörden gemacht, vielleicht ist es ja auch eine generelle Unzufriedenheit mit seinem Leben. Nach eigenen Angaben ist er seit mehreren Jahren krank, hat deshalb auch kein Einkommen, kann sich nicht mal behandeln lassen, weil er kein Geld für eine Krankenversicherung habe. Er lebe vom Einkommen seiner Frau. Früher habe er sein Geld mal mit der Bewertung von Immobilien verdient.
Trotz seiner Krankheiten ist er in verschiedenen Vereinen tätig, so in einem weltweit agierenden Männerbund, dessen Name übersetzt so etwas wie „sorglose Genießer“ bedeutet.
Für die Staatsanwältin steht fest, dass die Anklagepunkte zutreffen. „Sie sind nicht die Polizei“, sagt sie dem Angeklagten. Das Motiv sei reiner Ärger gewesen. Schon einmal stand der Mann 2010 wegen falscher Verdächtigung vor Gericht in Meißen. Die Richterin hatte das Verfahren damals eingestellt. Das empfand der Mann wohl als eine Art Freibrief. Lehren aus der Verhandlung habe er jedenfalls nicht gezogen, so die Staatsanwältin, die eine Gesamtgeldstrafe von 3 500 Euro für den angeblich Mittellosen fordert.
So hoch fällt das Urteil nicht aus. Der Richter verhängt wegen falscher Verdächtigung, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung eine Geldstrafe von 900 Euro. Bei der Höhe zieht er den Regelsatz heran, den Hartz-IV-Empfänger erhalten. Er wolle nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen, sagt der Richter, die Ursache für das nicht nachvollziehbare Handeln des Angeklagten sei nicht zu ergründen.
Quelle:
http://www.sz-online.de/nachrichten/der-sorglose-geniesser-3108915.html