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Remshalden. Nur noch bis Montag, 18 Uhr, kann man sich für die Bürgermeisterwahl in Remshalden bewerben. Dann entscheidet der Wahlausschuss über die Zulassung der Bewerber. Das ist in diesem Fall etwas mehr als nur eine Formalie. Doch die Gemeindeordnung setzt nur wenige Hürden – am Ende haben vor allem die Wähler die Entscheidungsgewalt darüber, wer geeignet fürs Amt ist und wer nicht.
Vier Bewerber gibt es derzeit für das Bürgermeisteramt in Remshalden, die der Gemeindewahlausschuss prüfen muss. Eine Kandidatenzahl, die gar nichts ist gegen den wahren Ansturm, der vor fünf Jahren auf die badische 3800-Einwohner-Gemeinde Rickenbach zukam: Sage und schreibe 29 Kandidaten wollten dort in das Rennen um den Chefsessel im Rathaus gehen, darunter laut Badischer Zeitung ein ehemaliger Bordellbesitzer mit Vorstrafe und ein Kandidat der „Nein-Partei“.
Zwei Bewerber zogen ihre Bewerbung wieder zurück. Alle anderen wurden vom Wahlausschuss zugelassen – bis auf einen. Begründung: Es gebe zahlreiche Indizien, dass er nicht, wie gefordert, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintrete. Als Indizien führte der Wahlausschuss zum Beispiel auf: verschiedene rechtsextreme Aktivitäten oder sein Eintreten für die „Kommissarische Reichsregierung“, womit er also der Szene der sogenannten „Reichsbürger“ zugerechnet werden konnte.
Keine Kriterien: Geistige Gesundheit oder fachliche Qualifikation
Das Beispiel Rickenbach illustriert sehr gut die Situation bei der Zulassung für eine Bürgermeisterwahl: Die Hürden für die Bewerbung sind sehr niedrig. Aber es gibt doch gewisse Kriterien, die zu einem Ausschluss führen können. Auch in Remshalden wird sich der Wahlausschuss bei Kandidat Axel Fischer die Frage stellen müssen, ob dieser „jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Auch bei den zurückliegenden Bürgermeisterwahlen in Plüderhausen und Welzheim sowie in Urbach, wo die Wähler am 22. April ihr Kreuz machen dürfen, wurde und wird viel darüber diskutiert, ob nicht die Zulassungshürden höher sein sollten.
Nachdem unsere Zeitung vermeldet hat, dass Thomas Hornauer sich nun auch in Remshalden bewirbt, schreibt zum Beispiel eine Facebook-Nutzerin in einem Kommentar zu dem Artikel: „Ich finde es so traurig – dass solche Spaß-Kandidaten zugelassen werden sollen. Diese Fridi Miller scheint ja nicht mal strafmündig zu sein. (...) Irgendwie kommt man sich als Wähler hier echt veräppelt vor.“ Ein anderer Nutzer kommentiert zum gleichen Fall: „Jeder hat ne Chance verdient. Versteh des Problem ned. Ist doch ne öffentlich ausgeschriebene Stelle und jeder kann sich drauf bewerben.“
Fast jeder kann sich bewerben
Tatsächlich muss man sagen: Fast jeder kann sich bewerben. Ganz grob ist wählbar: wer Deutscher oder Bürger der Europäischen Union mit Wohnsitz in Deutschland ist, wer das richtige Alter hat (nicht jünger als 25, nicht älter als 67), und wer die Gewähr bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt.
Keine Einschränkung gibt es in der Gemeindeordnung dazu, bei wie vielen Bürgermeisterwahlen man antreten kann. Deswegen kann Friedhild Miller in mehr als 50 Gemeinden gleichzeitig ins Rennen gehen. Es ist auch egal, ob, wie kürzlich geschehen, ein Gutachter bei ihr von einer psychischen Erkrankung ausgeht und sie deswegen vor Gericht als schuldunfähig eingestuft wurde. Für Fälle geistiger Unzurechnungsfähigkeit legt die Gemeindeordnung lediglich fest, dass jemand dann nicht wählbar ist, wenn er dauerhaft einen Betreuer zur Regelung seiner Angelegenheiten bekommen hat. Auch kein Kriterium für die Wahlzulassung ist die fachliche Qualifikation für den Job. Ein Bewerber braucht also nicht einmal einen Schulabschluss.
Zugang zum Amt als „hohes demokratisches Gut“
„Der freie Zugang zum Amt des Bürgermeisters hat in Baden-Württemberg eine lange Tradition und ist ein hohes demokratisches Gut, dem keine unverhältnismäßigen Hürden entgegengestellt werden sollten“, sagt Carsten Dehner, ein Sprecher des baden-württembergischen Innenministeriums. Daher verzichte die Gemeindeordnung darauf, konkrete Anforderungen an die Eignung der Bewerber zu stellen.
Schon eine Ebene höher, beim Amt des Landrats, gelten solche konkreten Anforderungen, die das Innenministerium überprüft. „Landratsämter sind große Behörden, für die man eine gewisse Qualifikation braucht“, sagt Carsten Dehner. Es ist allerdings egal, wie groß die Behörde ist, die ein Bürgermeisteranwärter zu führen hätte, ob er sich also in einem Dorf mit 2000 Einwohnern oder in der Großstadt Stuttgart als Oberbürgermeister bewirbt. Die Zugangsvoraussetzungen sind praktisch identisch. Der einzige Unterschied ist, dass in Städten ab 20 000 Einwohnern ein Bewerber eine bestimmte Anzahl an Unterschriften von Wahlberechtigten vorweisen muss, die seine Kandidatur unterstützen.
Wer Bürgermeister wird, entscheiden nach wie vor die Wähler
Auch davon abgesehen lässt sich folgern: Die Entscheidung, wer als Bürgermeister geeignet ist, treffen allein die Wähler. Carsten Dehner meint dazu: „Die Wähler können sehr fein entscheiden, ob jemand geeignet ist oder nicht.“
Sollte jemand gewählt werden, bei dem sich nach der Amtseinführung zeigt, dass er offensichtlich ungeeignet ist, dann kann ein Bürgermeister seines Amtes auch wieder enthoben werden. Die Gemeindeordnung sagt dazu: „Wird der Bürgermeister den Anforderungen seines Amts nicht gerecht und treten dadurch so erhebliche Missstände in der Verwaltung ein, dass eine Weiterführung des Amts im öffentlichen Interesse nicht vertretbar ist, kann, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen, die Amtszeit des Bürgermeisters für beendet erklärt werden.“ Die Entscheidung darüber trifft das Verwaltungsgericht auf Antrag der Rechtsaufsichtsbehörde.
Im eingangs erwähnten Beispiel der Gemeinde Rickenbach gewann die Wahl übrigens ein Diplom-Verwaltungswirt mit Berufserfahrung in einer Behörde. Er ist heute noch Bürgermeister. Der „Reichsbürger“ klagte gegen seine Nichtzulassung, wurde aber vor Gericht abgewiesen. Auch seine Bewerbung als Papst in der Nachfolge von Benedikt XVI blieb erfolglos.
Sonderfall Reichsbürger
Bei Bewerber Axel Fischer wird sich der Remshaldener Wahlausschuss die Frage stellen müssen, ob dieser ein wichtiges Kriterium erfüllt: Er muss die Gewähr bieten, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. Fischer selbst, dass er das Grundgesetz und den Staat anerkennt. Er hat aber seinen Personalausweis gegen einen Staatsangehörigkeitsausweis eingetauscht und verbreitet Thesen, nach denen die BRD „nur eine „Verwaltungseinheit der aus Zion ferngesteuerten Alliierten“ und eine „Übergangsform“ darstellt, „in der die deutsche Nation auf allen Ebenen aufgelöst werden soll“. Solche Thesen und die Praxis mit dem Ausweis findet man in einer vielschichtigen Szene, die mit dem Sammelbegriff „Reichsbürger“ gemeint ist und die der Verfassungsschutz im Blick hat.
Carsten Dehner, Sprecher des Innenministeriums in Stuttgart, meint: Den Einzelfall zu beurteilen sei Sache des Gemeindewahlausschusses. Aber: Ein „mündliches Bekenntnis“ zu Demokratie und Grundgesetz und zu sagen, „ich bin kein Reichsbürger“, das reiche nicht, wenn das übrige Verhalten dazu nicht passe.
Außer dem Fall der Gemeinde Rickenbach in Baden ist Dehner kein Fall bekannt, in dem ein Bewerber mit diesem Hintergrund versucht hat, Bürgermeister zu werden.
In Bayern – wo das Kommunalrecht wieder etwas anders ist als in Baden-Württemberg – gibt es derzeit einen Fall, der Schlagzeilen gemacht hat: In Bolsterlang im Allgäu läuft ein Ermittlungsverfahren gegen die amtierende Bürgermeisterin wegen des Verdachts, der Szene der „Reichsbürger“ nahezustehen.