Kenne jemanden, der jemanden kennt.
übertrieben.
Für Eilige: Reichsbürgerbezügliches unterstrichen, der Rest ist aber auch nicht uninteressant.
Spoiler
Er geht rigoros gegen „Reichsbürger“ vor, kritisiert den Frauenüberschuss in der Justiz und deren permanente Personalnot: Reiner Rühmann (54) ist seit 25 Jahren Richter, vertritt selbstbewusst seinen Standpunkt und macht Karriere. Er wurde Ende 2015 Direktor des Amtsgerichts in Koblenz – jetzt wechselte er ans Landgericht. Er zog im Koblenzer Justizhochhaus von der zweiten in die dritte Etage und arbeitet künftig als Stellvertreter von Gerichtspräsident Stephan Rüll. Rühmann ist darum künftig Vizechef von rund 200 Richtern, die im Landgerichtsbezirk Koblenz arbeiten – zwischen Cochem und Betzdorf, Bad Neuenahr-Ahrweiler und Lahnstein. Unsere Zeitung traf ihn zum ausführlichen Interview:
Herr Rühmann, Sie arbeiten künftig als Vizechef des Landgerichts Koblenz. Was kommt da auf Sie zu?
Ich arbeitete 15 Jahre lang vor allem in der Verwaltung von Gerichten. Künftig werde ich das auch tun, aber auch wieder mehr als Richter arbeiten. Ich übernehme den Vorsitz einer Großen Strafkammer und leite den neuen Prozess zum Aktionsbüro Mittelrhein.
Ach was? Den unendlichen Neonaziprozess mit anfangs 26 Angeklagten, der 2017 nach fünf Jahren wegen „überlanger Verfahrensdauer“ abgebrochen wurde?
Ja, genau.
Wann beginnt die Neuauflage des Prozesses? Noch 2018?
Wenn es nach mir geht, schon.
Haben Sie sich ein konkretes Ziel gesetzt, das Sie als Vizechef des Landgerichts erreichen wollen?
Nein, ich bin ja Vizepräsident, nicht Präsident. Es ist nicht meine Aufgabe, Ziele zu definieren.
Sondern? Was ist Ihre Aufgabe?
Ich arbeite in 90 Prozent meiner Arbeitszeit als Vorsitzender Richter. In meiner restlichen Zeit vertrete ich den Präsidenten des Landgerichts in vielfältigen Verwaltungsangelegenheiten.
Sie arbeiten seit 25 Jahren als Richter. Was hat sich verändert?
Es gibt immer mehr Querulanten – Menschen, die einen Konflikt mit unserem Rechtsstaat haben, aber dessen einfachste Regeln nicht anerkennen. Man nennt sie in der Regel „Reichsbürger“, ich nenne sie Rechtsverweigerer.
Was tun diese Leute?
Sie parken falsch, weigern sich aber hartnäckig, das Knöllchen zu bezahlen, da sie behaupten, es stamme vom Vertreter eines Landes, das es nicht gibt – sie meinen Rheinland-Pfalz. Andere weigern sich, einen Zivilprozess am Amtsgericht zu führen, weil sie behaupten, das sei kein rechtmäßiges Gericht. Das klingt vielleicht lustig, ist es aber nicht. Solche Leute schicken seitenlange Schriftsätze, die wir durchforsten müssen, ob sich darin vielleicht etwas Substanzielles verbirgt. Das kostet viel Zeit.
Hatten Sie persönlich schon mit „Reichsbürgern“ zu tun?
Ja. Ich bekomme ständig Schriftsätze persönlich vom Postboten zugestellt. Sie sind an den „Mann Reiner aus der Familie Rühmann“ gerichtet und verlangen zum Beispiel, dass ich eine Strafe von 50 Millionen Reichsmark bezahle oder den Gegenwert in Gold. Damit kann man auf viele Arten umgehen. Eine davon ist, alles in den Papierkorb zu werfen. Übrigens forderte mich mal ein „Reichsbürger“ in einem Prozess um Sachbeschädigung auf, ihm meinen Dienstausweis zu zeigen.
Wie haben Sie reagiert?
Gar nicht. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass ich mich in meinem Gericht, in meinem Gerichtssaal, nicht ausweisen muss.
Was passierte dann?
Nichts. Der Prozess ging weiter. Und hätte der Angeklagte einfach gehen wollen, hätte ich die Wachtmeister gerufen – die hätten ihn gestoppt. Die sogenannten Reichsbürger wollen nur Rabatz. Damit haben sie bei mir keine Chance.
Was veränderte sich noch in ihrer langen Dienstzeit als Richter?
Mir fällt auf, dass die Justiz immer weiblicher wird. Heute arbeiten am Amtsgericht Koblenz 159 Menschen – 121 Frauen und 38 Männer. Es gibt eine klare Tendenz zu mehr Frauen und immer weniger Männern: 2013 gab es am Amtsgericht Koblenz 11 Richterinnen und 13 Richter. 2018 sind es 13 Richterinnen und 9 Richter. Das Verhältnis hat sich mehr als umgekehrt.
Warum ist das so? Warum wollen so viele Frauen am Gericht arbeiten?
Weil ein Gericht trotz aller Personalnot ein attraktiver Arbeitgeber ist. Männer, die gute Juristen sind, wollen oft in erster Linie viel Geld verdienen, darum arbeiten sie statt für ein Gericht lieber in einer Anwaltskanzlei oder einem Unternehmen. Frauen, die ebenso gute Juristen sind, entscheiden sich anders. Sie bevorzugen die Unabhängigkeit eines Richters und die damit einhergehende weitgehend freie Gestaltung ihrer Arbeitszeiten. Dafür verzichten sie auf ein Mehr an Gehalt.
Wie sind Sie als Chef des Amtsgerichts Koblenz mit dem Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen umgegangen?
Ich glaube, gemischte Teams funktionieren besser. Wir haben – soweit möglich – die vergleichsweise wenigen Männer strategisch verteilt, damit in jeder Abteilung wenigstens einer ist.
Was war Ihre größte Herausforderung am Amtsgericht Koblenz?
Sicher die Personalnot. Wir sind tendenziell in allen Bereichen deutlich unterbesetzt. Die Personalbemessung der Justiz legt eigentlich genau fest, wie viel Personal ein Gericht benötigt. Aber wir erfüllen diese Bemessung bei Richtern und Rechtspflegern nur zu 80 Prozent. Am Amtsgericht Koblenz fehlen mindestens vier Richter und fünf Rechtspfleger – Menschen, die Vollzeit arbeiten müssten, aber schlicht nicht da sind. Deren Arbeit müssen die anderen 22 Richter und 26 Rechtspfleger zusätzlich erledigen. Das führt natürlich zu erheblichen Belastungen, die noch verstärkt werden können, wenn ein Kollege länger erkrankt oder in Elternzeit geht.
Seit wann gibt es diese Personallücke von 20 Prozent?
Gefühlt schon immer. Bereits unsere alte Personalbemessung wurde nur zu 80 Prozent erfüllt. Vor zwei Jahren gab es eine neue – aber geändert hat sich nichts.
Was bedeutet das für einen Richter?
Ein Zivilrichter sollte im Jahr 500 Verfahren bearbeiten – das ist die Schlagzahl am Amtsgericht. Doch da wir die Personalbemessung nicht erfüllen, sind es statt 500 rund 600 Verfahren. Ich kann nicht sagen, wie viel Mehrarbeit das in Stunden bedeutet, denn Richter haben keine festen Arbeitszeiten. Aber sicher ist: Ein Richter muss am Amtsgericht Koblenz deutlich mehr arbeiten, als dies bei einer Personalbemessung von 100 Prozent der Fall wäre. Ähnlich ist es bei den Rechtspflegern und den Geschäftsstellenbeamten.
Haben Sie als Amtsgerichtsdirektor darauf hingewirkt, dass der Personalbestand erhöht wird?
Natürlich, das war für mich ein regelmäßiges Ringen mit den zuständigen Personalreferenten am Landgericht und am Oberlandesgericht. Beide versuchten, den vorhandenen Personalmangel gleichmäßig und gerecht zu verteilen. Doch was gleichmäßig und gerecht bedeutet, darüber haben wir oft lange diskutiert. Es gab keine Dienstbesprechung, bei der die Personalnot kein Thema war.
Und jetzt haben Sie die Seite gewechselt. Künftig sind Sie es, der als Vizechef des Landgerichts mit den Amtsgerichtsdirektoren über das gleichmäßige und gerechte Verteilen des Personalmangels verhandelt?
Ja, das kann passieren, wenn der Gerichtspräsident verhindert ist.
Das Gespräch führte Hartmut Wagner
Reiner Rühmann: Von Betzdorf über Mainz nach Koblenz
Es war ein Festakt mit gut 150 Politikern, Richtern, Staatsanwälten und anderen Justizmitarbeitern: Reiner Rühmann wurde Anfang 2016 vom damaligen rheinland-pfälzischen Justizminister Gerhard Robbers (SPD) offiziell in sein Amt als Chef des Amtsgerichts Koblenz eingeführt. Jetzt, zwei Jahre später, stieg Rühmann weiter auf. Seit 1. März ist er Vizepräsident des Landgerichts Koblenz. Ein Rückblick auf sein Leben als Richter: Rühmann (54) ist verheiratet und hat ein Kind. Er studierte bis 1988 Rechtswissenschaften in Bonn, arbeitete bis 1993 als Referendar im Bezirk des Oberlandesgerichts Koblenz, außerdem bis 2008 als Richter am Amtsgericht Betzdorf sowie als Referent im Justizministerium in Mainz. 2008 wurde er Vorsitzender Richter am Landgericht Koblenz, 2009 Direktor des Amtsgerichts Montabaur und 2015 Direktor des Amtsgerichts Koblenz.
Der Beruf des Richters genießt großes Ansehen – und das Amtsgericht im Koblenzer Justizhochhaus ist nach Ludwigshafen und Mainz das drittgrößte in Rheinland-Pfalz. Trotzdem wollen dort immer weniger Männer als Richter arbeiten. Reiner Rühmann, der bis Ende Februar Direktor des Amtsgerichts war, nennt dafür zwei Gründe. Erstens verdienen Richter meist weniger als Anwälte erfolgreicher Großkanzleien, was dazu führe, dass viele Männer lieber dort arbeiten. „Ich will nicht sagen, dass die Justiz schlecht bezahlt“, sagt Rühmann. „Es könnte natürlich mehr sein. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.“ Zweitens ist das Gericht gerade für Frauen ein attraktiver Arbeitgeber: „Das Gericht bietet sehr flexible Arbeitszeiten“, sagt Rühmann. „Richterinnen und Richter können ihre Arbeitszeit fast stufenlos auf bis zu 25 Prozent begrenzen.“