In Görlitz darf ein Reichsbürger nicht mehr als Kontrolleur im ÖNV tätig sein.
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Donnerstag, 09.11.2017
Reichsbürger in Bus und Bahn
Für die Verkehrsgesellschaft Görlitz (VGG) achtete ein Kontrolleur auf Gesetze, die er selbst gar nicht anerkennt. Nun musste er gehen.
In den Görlitzer Stadtbussen und Straßenbahnen fehlt seit Montag ein Fahrscheinkontrolleur. Der Mann zählt sich zur sogenannten Szene der Reichsbürger. Als das jetzt bekannt wurde, reagierte das Unternehmen mit einer internen Prüfung. „In deren Ergebnis haben wir entschieden, dass der betreffende Mitarbeiter sofort freigestellt wird“, bestätigt Michaela Mehls, Leiterin Unternehmenskommunikation der Dussmann Group Berlin. Die Firma Dussmann ist von der Verkehrsgesellschaft Görlitz (VGG) vertraglich beauftragt, Fahrscheinkontrollen durchzuführen.
Hinweise auf die den Staat ablehnende Orientierung des Betreffenden hatte es bereits einige gegeben, allerdings ohne Beweise. Bis sich der Kontrolleur von sich aus outete. Während einer Kontrolle war es in einer Straßenbahn zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Fahrgästen und einem anderen Kontrolleur gekommen, gegen den deshalb wegen Körperverletzung ermittelt wurde. Der bewusste Kollege wurde zur Zeugenbefragung geladen, erschien aber nicht. Stattdessen sandte er die Ladung zur Staatsanwaltschaft mit dem Vermerk zurück, dass er das bestehende Rechtssystem nicht akzeptiere. Vergleichbar äußerte er sich, nachdem er zur Vernehmung polizeilich vorgeführt worden war. Deshalb stellte die Staatsanwaltschaft in einer anderen strittigen Sache wegen Leistungserschleichung das Verfahren ein. „In der der VGG zugesandten Einstellungsmitteilung haben wir ausgeführt, den Herrn auch künftig als seriösen Zeugen nicht akzeptieren zu können“, bestätigt Oberstaatsanwalt Sebastian Matthieu: „Mehr geht nicht. Logischerweise haben wir keine Dispositionsbefugnis hinsichtlich des VGG-Personals.“ Durch Aktenübersendung informiert wurde zudem die für die Dussmann-Kontrolleure zuständige Gewerbeaufsicht in Dresden. Das war im Frühjahr 2017. „Dabei konnten wir dieser staatlichen Stelle ganz konkrete Hinweise geben“, bestätigt Matthieu: „Ob etwas passierte, haben wir nicht erfahren.“
Offenbar nichts, doch anders jetzt: Im Zusammenhang mit einem neuen Ermittlungsverfahren gegen andere Kontrolleure kam auch dieses Thema wieder hoch. Nun genügte ein Anruf am vorigen Freitag, und VGG sowie Dussmann Group nahmen Kontakt zur Staatsanwaltschaft auf. Seit Montag kontrolliert der Mann nicht mehr. Zwar steht nirgends, dass eine gedankliche Orientierung an Reichsbürgertümelei verboten wäre, doch „ein Kontrolleur, der die Justiz nicht anerkennt, erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine Beschäftigung in dieser sensiblen Sicherheitsaufgabe“, begründen sowohl Michaela Mehls als auch der Geschäftsführer der VGG, Frank Müller, übereinstimmend.
Der Vorfall reiht sich ein in eine aktuelle sächsische Bestandsaufnahme. Soeben schätzte das Landesamt für Verfassungsschutz ein, dass in Sachsen 718 sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter leben. Mit 190 rechnet die Polizei in den Kreisen Görlitz und Bautzen. Man geht davon aus, dass sich die Zahl schnell weiter erhöhen wird. Oberstaatsanwalt Matthieu sieht die Zahl ebenfalls skeptisch: „Denn es gibt eine sehr große Dunkelziffer. Längst nicht jeder, der solches Gedankengut hegt, äußert es auch so deutlich.“ Bedenklich vor allem aus Sicht der Verfassungsschützer ist, dass um die zwölf Prozent aller Reichsbürger als rechtsextrem gelten. Als Reichsbürger bekannte Personen begingen allein in Sachsen in den vergangenen fünf Jahren über 1 500 Straftaten, vor allem Verkehrsdelikte, Urkundenfälschungen, Beleidigungen, Nötigungen, auch Gewaltdelikte – und Leistungserschleichung, also jene Straftaten, deren Bekämpfung Aufgabe und Auftrag der Fahrscheinkontrolleure ist.
VGG-Chef Müller bekräftigt, die „Subunternehmen deutlich auf den Prüfstand“ stellen zu wollen, besonders nach dem aktuellen Fall. Auch Veränderungen in der Auftragsvergabe schließt er nicht aus.
Was sind Reichsbürger?
Für sogenannte Reichsbürger existiert das Deutsche Reich weiter. Sie orientieren sich wahlweise in den Grenzen des Kaiserreiches oder von 1937.
Sie sehen in der BRD keinen souveränen Staat, weil er gar nicht existiere. Demnach gebe es auch keine Regierung. Selbiges gelte für Kommunen und Landkreise. Es seien alle Gesetze, Bescheide und Gerichtsurteile nichtig. Einige geben ihren Personalausweis und Führerschein ab und „basteln“ sich eigene Fantasie-Dokumente.
Eine weitere These ist, dass die BRD mit der Wiedervereinigung aufgehört hat zu existieren. Auch leiten einige aus der Tatsache, dass zwischen Deutschland und seinen Kriegsgegnern 1945 kein Friedensvertrag geschlossen wurde, eine angeblich fehlende Legitimation der Bundesrepublik ab. Eine besonders kuriose Theorie ist, dass die BRD kein Staat, sondern eine Firma sei – weil der Personalausweis angeblich so heißt, weil die Menschen keine Staatsbürger, sondern Personal seien.
Noch ein echtes Prachtexemplar aus Auerbach, da scheinen einige Verfahren in der Berufung zusammengefaßt worden zu sein.
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Finanzbeamte: "Dieser Brief hat gestunken"
Ein 62-Jähriger soll einen Brief ans Finanzamt Plauen mit Kot beschmiert haben. Gestern vor Gericht stritt er das ab. Polizisten und Richter nannte er Lügner und Verbrecher.
Von Manuela Müller
erschienen am 08.11.2017
Zwickau/Plauen. Der langzeitkranke Elektroingenieur aus dem Plauener Umland soll im Februar letzten Jahres einen mit Kot beschmierten Brief ans Finanzamt verschickt haben. Jetzt steht er vor Gericht. Bei seinem Prozess im Landgericht Zwickau wurden gestern weitere Details dazu bekannt.
Eine Mitarbeiterin des Plauener Finanzamts erzählte, wie sie diesen Brief aus dem Kuvert gezogen hatte: "Man hat einen Geruch vernommen. Fäkalgeruch." Der kleine Brief ohne Absender sei in der Poststelle der Behörde gelandet, wie alle anderen Briefe auch. Die Poststelle öffne die Schreiben und ordne sie den zuständigen Abteilungen zu. Der verunreinigte Brief sei nicht nur ein bisschen mit Kot beschmiert gewesen. "Ich wollte ihn auseinanderfalten, habe es aber gelassen. Der war überall vollgemacht", sagte die 55-Jährige. In dem Brief habe ein loses Blatt gesteckt, das zu einem Antrag auf Lohnsteuerermäßigung gehört habe. Darauf stand die Steuernummer des 62-Jährigen. Die Behörde konnte mit dieser Nummer den Absender identifizieren. "Passiert das häufig?", fragte Richter Torsten Sommer. "Nein, gar nicht", sagte die Finanzamtsmitarbeiterin.
Der mutmaßliche Briefeschreiber stritt die Vorwürfe ab. Er habe mit diesem Brief nichts zu tun. Der Mann kam im Arbeitskittel und mit Gummistiefeln zu seinem Prozess. Er ist in vogtländischen Behörden dafür bekannt, dass er Groll gegen staatliche Institutionen hegt.
Das Auerbacher Gericht, das zuletzt häufig mit ihm zu tun hatte, sieht ihn nicht als klassischen Reichsbürger. Er selbst soll aber bekennender Reichsdeutscher sein. Demnach existiert ein sechsseitiges Schriftstück, auf dem er den Rechtsstaat und seine Institutionen in Frage stellt. Die in Kleingruppen zersplitterten Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik nicht an. Den Prozess gestern in Zwickau sicherten mehrere Polizisten und Justiz-beamte ab, weil der 62-Jährige als aggressiv gilt.
Polizisten, Staatsanwalt und den Richter beschimpfte er gestern als Lügner und Verbrecher. Sein Pflichtverteidiger, dem er das Wort verboten hatte, saß im Zuschauerbereich des Gerichtssaals. Stattdessen nahm die Ehefrau des 62-Jährigen als Rechtsbeistand neben ihm Platz.
Bei dem Prozess, der nächste Woche fortgesetzt wird, handelt es sich um eine Berufung. Das Amtsgericht Auerbach hatte den Vogtländer zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Strafe bekam er nicht nur wegen des Kot-Briefes. Im Auerbacher Gericht hatte er randaliert und das Sicherheitspersonal verletzt. Das Landgericht Zwickau muss nun erneut dazu verhandeln.