Probleme mit Reichsbürgern in der Region haben abgenommen – Absurde Vorkommnisse seit 2016
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Sie zweifeln die Existenz der Bundesrepublik an, der Personalausweis ist für sie kein anerkanntes Dokument. Reichsbürger beschäftigen auch im Landkreis Sigmaringen die Behörden, es handelt sich aber um Einzelfälle. Die Probleme mit den Verschwörungstheoretikern sind in der Region rückläufig. Im Kreis Sigmaringen sind der Polizei 25 Personen bekannt, die der Szene zugeordnet werden können, im Bezirk des Polizeipräsidiums Konstanz sind es 200. Bislang kam es zu keinen Gewalttaten, wie Polizeisprecher Markus Sauter berichtet.
Im Landratsamt sind Reichsbürger immer wieder Thema, denn diese beantragen dort sogenannte Staatsangehörigkeitsausweise, die auf der Gesetzgebung von 1913 beruhen. Auch der Kreis Sigmaringen stellt die Dokumente regelmäßig aus, die man normalerweise dafür braucht, um beispielsweise ein ausländisches Kind zu adoptieren. Während andere Landkreise, wie der Kreis Waiblingen, aufgrund der zunehmenden Arbeitslast Konsequenzen ziehen und diese Dokumente nur mit Nachweis eines berechtigten Interesses ausstellen, musste das Sigmaringer Landratsamt noch keine Maßnahmen ergreifen. Dem Landratsamt sind 32 Personen bekannt, die dem Spektrum der Reichsbürger oder Selbstverwalter zuzuordnen sind, sagt Sabine Stark, Sprecherin des Landratsamtes. 21 davon hätten bis dato einen Staatsangehörigkeitsausweis beantragt. „Wir bearbeiten die gebührenpflichtigen Verfahren und stellen die Dokumente weiterhin aus.“ Im Jahr 2016 waren es 16 Staatsangehörigkeitsausweise. „Bei uns kommen in der Bußgeldstelle regelmäßig Faxe und Schriftsätze von verschiedenen Reichsbürgern an, die ihre Bußgelder nicht bezahlen wollen. Es handelt sich immer um denselben Text, der mit neuem Datum und Aktenzeichen versehen wird. Die Kernaussage der Schreiben ist: das Landratsamt sei eine Firma, da es die Bundesrepublik Deutschland nicht gäbe. Folglich sei alles was wir tun, rechtswidrig“, so Stark.
Diese Rhetorik kommt auch Jürgen Dorner, Richter am Amtsgericht Sigmaringen, bekannt vor. Er hat selbst schon Klage wegen Nötigung gegen einen Reichsbürger eingereicht, der ihm drohte, im Falle einer Verurteilung Schadensersatz in Höhe von 100 000 Euro geltend zu machen. Es gebe in der Region mehrere Gruppen von Menschen, die die Bundesrepubliknicht anerkennen. Darunter auch sogenannte Germaniten, die eine eigene staatliche Ordnung kreieren wollen, wohingegen Reichsbürger behaupten, das deutsche Reich existiere noch. „Da spinnt jeder auf seine Weise“, sagt der Richter. Zurechnungsfähig seien diese Leute schon: „Ich habe zumindest den Eindruck“, sagt er. „Fünf bis zehn Prozent der Erziehungshaftverfahren betreffen solche Leute“, sagt der Richter. „Sie schreiben uns auch ominöse Briefe und behaupten: Es gibt gar kein Gericht. Die Meisten kommen der Zahlungsaufforderung aber in letzter Minute noch nach.“ Und so manchen Reichsbürger trifft er auch in Verhandlungen: „Die wollen einen in endlose Diskussionen verwickeln. Da darf man sich nicht drauf einlassen, sonst ufert das aus“, sagt der Richter.
Christoph Freudenreich, Direktor des Amtsgerichts Sigmaringen, stellt fest, dass die Zahlen der Verhandlungen gegen Reichsbürger in der Region leicht zurückgegangen sind. Er führt dies auf rigorosere Reaktionen und die Beobachtung durch den Verfassungsschutz nach Gewalttaten, wie der Tötung eines Polizisten durch einen Reichsbürger in Franken, zurück. „Es wird einfach konsequenter Anzeige auf Nötigungen erstattet, anstatt diese Leute nur als Spinner abzutun“, sagt Freudenreich.
Vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen werden Verhandlungen aus dem gesamten Gebiet des Regierungsbezirks Tübingen geführt. Otto-Paul Bitzer, Sprecher des Verwaltungsgerichts, kennt die Fälle: Ein Reichsbürger aus Ulm wollte gerne seinen Personalausweis an die Stadt Ulm zurückgeben, ein anderer, in Schlesien geborener, wollte seinen Geburtsort im Melderegister ändern lassen: Statt Polen wollte er „Deutsches Reich – Provinz Schlesien“ eintragen lassen. Ein anderer klagte, um die Staatsangehörigkeit „Königreich Baden-Württemberg“ zu bekommen. „Da fragt man sich schon: Wie kommt man darauf?“, so Bitzer. Solche Klagen würden abgewiesen, die Kosten trage der Kläger, vorausgesetzt, er sei zahlungsfähig. „Manchmal holen wir Gerichtswachtmeister dazu, weil man nie weiß, wie sich die Leute verhalten.“ Doch die wenigsten seien gewaltbereit, den meisten gehe es um die Sache. „Die haben sich Gedankengebäude errichtet, sind aber oft harmlos.“ Seit Anfang 2016 beschäftigen die Reichsbürger das Verwaltungsgericht, manchmal versuchen sie auch das Alltagsgeschäft zu stören. „Wir sind das Gericht, das dem Bürger Rechtsschutz gegen den Saat zusichert. Manche landen bei uns, weil sie verbittert und enttäuscht sind. Es ist der Preis des Rechtsstaates, damit umzugehen – und wir werden auch fertig damit“, so Bitzer.
Ein Gerichtsvollzieher des Sigmaringer Amtsgericht, der namentlich nicht genannt werden möchte, sagt: „Häufig gibt es bei den Reichsbürgern nicht viel zu verpfänden. Die meisten von ihnen leben von Hartz IV und beziehen auch Kindergeld, wollen aber mit dem Staat nichts zu tun haben.“ Der Gerichtsvollzieher geht unter Polizeischutz in die Wohnungen. Passiert sei noch nie etwas. Er spricht von zwei bis drei Überzeugungstätern im Kreis, die schon mehrfach eingesessen hätten. „Sie sind nicht zwingend der rechtsradikalen Szene zuzuordnen“, sagt der Gerichtsvollzieher.
Ein Großteil der Selbstverwalter, die vor dem Amtsgericht Sigmaringen aufschlagen würden, seien Trittbrettfahrer. „Darunter sind auch seriöse Leute, Lehrer, Ärzte oder Sozialarbeiter.“
So machen die Reichsbürger den Behörden zu schaffen:
Sie versuchen Gerichte mit hohem Papieraufkommen zu beschäftigen und blockieren beispielsweise mit mehreren Hundert Seiten dicken Faxen die Leitung.
Sie reichen Klagen gegen Richter, Gerichtsvollzieher und Beamte ein, wenn diese beispielsweise Busgelder einfordern. Den Klagen müssen die Betroffenen binnen einer Frist widersprechen, sonst bleiben sie auf den Kosten sitzen.
Sie nutzen Rechtslücken dafür aus: Auf Malta wird einer Klage stattgegeben, wenn der Beschuldigte nicht binnen drei Wochen vor Ort vor dem Gericht Einspruch einlegt. Das erschwert die Arbeit für Betroffene. Die Rechtslücke soll nun beschlossen werden.
Sie lassen Mitarbeiter von Behörden, mit denen sie im Streit sind, in ein öffentliches Schuldnerverzeichnis in den USA eintragen und wollen damit Schadensersatzzahlungen erreichen. Effektiv sind solche Methoden nicht, aber sie halten die Behörden auf Trab. (sz)