Bei so engagierten Bearbeitern macht das "Demokratiezentrum BaWü" wirklich richtig Sinn.
Spoiler
Internet
„Kein rechtsfreier Raum“
Eine öffentlich finanzierte Meldestelle geht gegen Hass im Internet vor. Ist das staatliches Denunziantentum oder notwendige Netzhygiene?
12.08.2017
AXEL HABERMEHL
Sersheim. Das hier wurde zum Beispiel heute gemeldet“, sagt Stephan Ruhmannseder und klickt einen Screenshot an. Auf dem Monitor erscheint ein Facebook-Post von „Focus-Online“, im Artikel geht es um Hilfsorganisationen, die im Mittelmeer Migranten retten. Unter dem Beitrag hat jemand einen Kommentar hinterlassen: Er fände es besser, steht da in holpriger Sprache, wenn man Schlepper und Seenot-Retter im Meer versenkte. Das Profil des Kommentators zeigt das Porträtfoto eines älteren Mannes und einen vollen Namen, Vorname Wilfried.
„Das bewegt sich wohl im Bereich der Meinungsfreiheit“, sagt Ruhmannseder. „In solchen Fällen antworte ich dem Melder, dass das nicht justiziabel ist, und mache ihn auf andere Angebote am Demokratiezentrum aufmerksam.“ Er schließt die Datei. „Aber natürlich ist das eine schlimme Aussage: wehrlose Leute im Meer versenken“, sagt der 35-Jährige kopfschüttelnd. Dann klickt er auf den nächsten Screenshot.
Ruhmannseder – Turnschuhe, Jeans, T-Shirt, Kurzhaarschnitt – betreut beim „Demokratiezentrum Baden-Württemberg“ die „Meldestelle Respect“. Ihr Kern ist eine Eingabemaske im Internet, über die man Fälle von „Hatespeech“ (Hassrede) melden kann. Das Zentrum will damit „zu einer besseren, respektvolleren Kommunikation im Internet beitragen“.
Vorige Woche ging die Seite online, seitdem landen jeden Tag Hass und Hetze auf Ruhmannseders Monitor im beschaulichen Sersheim bei Ludwigsburg. Bisher kamen 65 Meldungen an, ein düsterbunter Mix aus Holocaust-Leugnungen, Hakenkreuz-Bildchen, sexualisierten Beleidigungen, Schmähungen gegen Juden, Moslems oder „südländische Untermenschen“, dazu der eine oder andere „♥♥♥“.
Die Debatte um den Ton im Internet ist nicht neu, doch nun hat sie ein Bundesgesetz geboren: Im Juni beschloss der Bundestag das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Unter anderem verpflichtet es große Social-Media-Betreiber, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ 24 Stunden nach Beschwerde zu löschen oder zu sperren. In schwierigen Fällen beträgt die Frist eine Woche. Geschieht das nicht, droht Bußgeld, im Extremfall bis zu 50 Millionen Euro.
„Gegenwärtig ist eine massive Veränderung des gesellschaftlichen Diskurses im Netz und insbesondere in den sozialen Netzwerken festzustellen. Die Debattenkultur im Netz ist oft aggressiv, verletzend und nicht selten hasserfüllt“, schrieb Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zur Begründung in den Gesetzentwurf. Das Gesetz sei nötig, denn: „Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte, die nicht effektiv bekämpft und verfolgt werden können, bergen eine große Gefahr für das friedliche Zusammenleben einer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft.“
Stephan Ruhmannseder lässt den Blick durch sein kleines, helles Büro schweifen. Auf seinem Schreibtisch, neben dem Laptop und einem Kommentar zum Strafgesetzbuch mit vielen Lesezeichen, steht ein ausgedrucktes Comic-Bildchen. Es zeigt einen fröhlichen Fuchs, den „Demokratiefuchs“, der sagt: „Ich habe deinen Kommentar zur Kenntnis genommen und für ♥♥♥ befunden.“
Missbilligend hinnehmen reicht den Leuten vom Demokratiezentrum nicht. Äußerungen, die gemeldet werden und die sie für strafbar halten, bringen sie zur Anzeige. Außerdem fordern sie Seitenbetreiber – oft Facebook, Youtube, Twitter – auf, die Posts zu löschen. Beraten wird die Meldestelle von einem bekannten Anwalt für IT-Recht.
Die AfD wirft dem Zentrum vor, eine „Anlaufstelle für Denunzianten“ zu bieten. Das „selbsternannte Demokratiezentrum“, klagt der Landtagsabgeordnete Emil Sänze, sei ein „willfähriger, staatlich finanzierter Helfer auf dem Weg in den Überwachungsstaat“ und zudem „auf dem linken Auge blind“. Sänze findet: „Eine Demokratie braucht keine zusätzliche Institution, die den Bürgern Strafverfolgung garantiert.“
Ruhmannseder sagt: „Wenn man gegen ,Hatespeech im Netz vorgeht, ist es klar, dass man Kritik von Rechtspopulisten erntet.“ Den Denunziations-Vorwurf könne er „nur sehr begrenzt nachvollziehen. Das Internet ist schließlich kein rechtsfreier Raum“, sagt er. „Es geht nicht um Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern darum, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit auch im Netz eingehalten werden.“
Zweimal hat er bisher Anzeige erstattet, wegen Volksverhetzung. Ein Nutzer hatte den Holocaust als Lüge bezeichnet, ein anderer schrieb, er „♥♥♥ auf Allah“ und garnierte das Ganze mit einem Hakenkreuz. Die meisten Beschwerden aber gibt Ruhmannseder weiter an die entsprechenden Seitenbetreiber und fordert sie zum Löschen auf. Das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz sieht er als „Schritt in die richtige Richtung“. Denn: „Die Verantwortung von Facebook beruht jetzt nicht mehr auf irgendwelchen eigenen Community-Standards, sondern auf deutschem Recht.“
Die Seite: demokratiezentrum-bw.de/meldestelle-respect