Diskussionsrunde Christen in der AfD? am Donnerstag (25.05.2017) waehrend des evangelischen Kirchentags in der Sophienkirche in Berlin-Mitte
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Kontroverse Diskussion
- Kirchentag pfeift AfD-Vertreterin aus
25.05.17 | 15:55 Uhr
Pfiffe, Protestplakate und einige im Publikum singen "We shall overcome". Die Diskussion zwischen der AfD und dem Kirchentag läuft stellenweise völlig aus dem Ruder. Uneinigkeit vor allem in der Flüchtlingspolitik oder bei der Ehe für alle. Was bitte sollte das? Von Dominik Rzepka
Eigentlich hat Anette Schultner noch gar nichts gesagt. Zumindest nichts Kontroverses. "Jeder einzelne Mensch ist gottgewollt", sagt sie, die Sprecherin der Christen in der AfD. Welcher Kirchentagsbesucher würde ihr da schon widersprechen? Doch es dauert keine fünf Minuten, da kommt der erste Protest. "We shall overvome", singen einige Zuschauer in der Sophienkirche, dem Schauplatz dieser Diskussionsrunde in Berlin-Mitte. "We shall overcome some day…"
Unruhe bei den etwa 500 Besuchern. Vereinzelt Pfiffe. Dann steht die Moderatorin der Diskussion, die ZDF-Journalistin Bettina Warken, auf. "Meine lieben Teilnehmerinnen und Teilnehmer", sagt sie. "Ich dachte, wir wären hier zusammengekommen, um einander zuzuhören und miteinander zu streiten." Lauter Beifall. So, als ob es Konsens wäre, sich nicht zu unterbrechen. Doch es wird nicht lange Konsens bleiben.
AfD: "Unkontrollierte Zuwanderung ist ein Problem"
Das liegt vor allem an den Aussagen Schultners zur Flüchtlingspolitik - vielleicht dem zentralen Streitthema zwischen der AfD und der Evangelischen Kirche. "Wir möchten ja helfen, aber wir wollen keine Destabilisierung des Landes", sagt sie. Über Angela Merkels Flüchtlingspolitik habe sie sich geärgert. "Frau Merkel hat die Grenzen geöffnet. Unkontrollierte Zuwanderung ist ein Problem." Markus Dröge, dem Berliner Landesbischof auf dem Podium, entgleiten kurz die Gesichtszüge. Aber er hat sich vorgenommen, sich nicht provozieren zu lassen.
Wer so etwas sage, sei nicht glaubwürdig. "Es ist nicht glaubwürdig, sich in der AfD zu engagieren, denn es steht kein christliches Menschenbild im AfD-Programm", sagt er. Beispiel: Obergrenze für Flüchtlinge. Ihn ärgere, dass die AfD gar nicht an einer sachlichen Auseinandersetzung interessiert sei. Laut Parteistrategie solle der Gegner zur unsachlichen Reaktion provoziert werden. "Unsinn", ruft einer aus dem Publikum. Dröge bleibt ruhig. "Gut, dann lese ich Ihnen das AfD-Papier jetzt vor." Donnernder Beifall. Die Fronten sind klar in der Sophienkirche.
Es ist wie eine Facebook-Diskussion - nur in einer Kirche
Doch es gibt auch AfD-Sympathisanten in der Kirche. Olaf Kappelt zum Beispiel, um die 60, kleiner Bauch. So ziemlich alles, was Dröge sagt, kommentiert er mit einem höhnischen "Naja". Klatscht euphorisch, wenn Schultner die Ehe für alle ablehnt oder die weltweite Christenverfolgung kritisiert. "Genau, lesen Sie mal eine Bibel in einem Flüchtlingsheim", ruft er dann in die Kirche. Und findet, dass Dröge kaum kritische Fragen gestellt werden. "Zensur", murmelt er dann. Es ist ein bisschen so, als würde man eine Facebook-Diskussion in einer Kirche verfolgen.
Denn eine Diskussion kommt hier nur selten zustande. Als Schultner versichert, die AfD schüre keine Ängste von Menschen, wird sie erst ausgelacht. Dann ausgepfiffen. "Du bist der Grund für Angst", ruft einer. "Du machst meine Familie kaputt", ein anderer. Sein Gesicht ist angestrengt, die Augen zusammengekniffen. Es ist die kalte Wut auf eine Partei, die einige hier als Nazi-Partei empfinden. Auch Bischof Dröge fühlt sich an die 1930er Jahre erinnert. "Offenbar sind wir heute wieder in einer ähnlichen Situation", sagt er.
Und dann stürmt ein 16-Jähriger die Kanzel…
Zwei Stunden dauert die Diskussion. Hart und fair sei sie gewesen, sagt Bischof Dröge hinterher. "Es ist herausgekommen, dass wir sehr unterschiedliche Auffassungen haben." Welchen Sinn eine Diskussion habe, bei dem Teilnehmer ausgepfiffen werden? Ob es richtig gewesen sei, die AfD zum Kirchentag einzuladen? Ob man ihr dieses Forum nicht hätte vorenthalten sollen? Dazu keine Antwort mehr. Dröge sieht nicht wirklich glücklich aus nach zwei Stunden Konfrontation.
Mit Konfrontation endet die Veranstaltung dann auch. Ganz am Ende, die Moderatorin versucht gerade, etwas Versöhnliches zu sagen, stürmt ein 16-jähriger ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer nach vorne. Er hängt ein "Kein Mensch ist illegal"-Shirt über die Kanzel und fängt an, zu predigen. "Tue Deinen Mund auf für die Stummen", ruft er - ein Zitat einer Predigt aus dem November 1938. Olaf Kappelt, der AfD-Sympathisant, schüttelt mit dem Kopf. "Komm runter, komm runter", ruft er dem Jungen zu. Nein, diskutiert haben sie hier heute wirklich nicht miteinander.
Beitrag von Dominik Rzepka
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Interview | Christen in der AfD
- "Übermaß an Nächstenliebe kann verkehrt sein"
25.05.17 | 09:43 Uhr
Lange hat der Kirchentag mit sich gerungen. Am Ende hat er die AfD zu einer Diskussion eingeladen. Nicht alle finden das in Ordnung - auch wegen umstrittener Äußerungen. AfD-Mitglied Joachim Kuhs etwa begründet eine Obergrenze für Flüchtlinge mit der biblischen Botschaft.
rbb24: Herr Kuhs, die AfD und viele Christen in der AfD setzen sich für eine Obergrenze von Flüchtlingen ein und wollen christliche Flüchtlinge bevorzugen. Wie passt das mit der christlichen Botschaft zusammen? Das hätte Jesus doch niemals unterstützt.
Da kennen Sie aber die Bibel nicht gut. Die Bibel erzählt von der kanaanäischen Frau, also einer Frau, die mit Syrien zu tun hat. Als sie zu Jesus gekommen ist wegen ihres Kindes hat Jesus zu ihr gesagt: 'Ich bin nicht gesandt denn nur zu den verlorenen Schafen von dem Hause Israel.' (…) Er hat sich in der ersten Begegnung von ihr abgewandt, hat gesagt: Ich bin gar nicht gesandt, die Syrer zu retten, sondern zuerst das Haus Israel.
Da interpretieren Sie die Bibel aber sehr wörtlich…
Genau. In einer gleichen Linie argumentiert auch Paulus im Galaterbrief. Da sagt er, dass wir unsere Barmherzigkeit allen Menschen zuwenden sollen, insbesondere aber den Hausgenossen des Glaubens. (…) Die Barmherzigkeit, die Liebe wendet sich grundsätzlich an alle Menschen, das stellen wir nicht in Frage. Das machen wir auch ganz praktisch, auch ich persönlich in der Flüchtlingsarbeit, die ich mache. Aber: Wenn es darum geht, die ganze Welt zu retten, dann gibt es natürlich auch Begrenzungen. Wenn es ein Dilemma gibt, eine Entscheidung zwischen "Wem kann ich noch helfen" und "Wem kann ich aufgrund der Ressourcen nicht mehr helfen", dann entscheide ich mich für die Hausgenossen des Glaubens. Ihnen wende ich mich zuerst zu und danach den anderen.
Joachim Kuhs (Quelle: dpa/DanielMaurer)
Joachim Kuhs
Sie begrenzen die Nächstenliebe, richtig?
Natürlich. Jesus hat das auch gemacht. (…) Jesus war auch begrenzt. Er hatte auch nur 24 Stunden am Tag. Er konnte nicht alle heilen. Er hat es auch nicht getan, das steht ganz eindeutig in den Evangelien. Auch seine Zeit war begrenzt. Wir haben auch nur begrenzte Ressourcen. (…) Es kann zum Beispiel auch nicht sein, dass ich eine Arbeit tue, auch wenn ich sie von Herzen tue, gleichzeitig aber meine eigene Familie daran kaputtgehen würde. Das wäre nicht richtig, das wäre nicht christlich.
Heißt im übertragenen Sinne: Wenn zu viele syrische Flüchtlinge nach Deutschland kämen, würden Christen, würden Deutsche darunter leiden? Das wäre ihrer Auffassung nach nicht im Sinne Jesu?
Ich glaube schon. Ende 2015 waren unsere Obdachlosen in unseren Städten offensichtlich verzweifelt, weil sie übersehen wurden. Es kann nicht sein, wenn die Willkommenskultur, die ich grundsätzlich ja begrüße, zur Folge hat, dass die eigenen Bedürftigen auf der Strecke bleiben, dann stimmt etwas nicht mit dieser Willkommenskultur. Ein Übermaß an Nächstenliebe kann auch verkehrt sein.
"Ein Übermaß an Nächstenliebe kann auch verkehrt sein" - mit so einer Aussage werden Sie sehr heftigen Widerspruch auf dem Kirchentag auslösen…
Das mag schon sein. (…) Ich will aber das Prinzip klarmachen, dass das Gegenteil dabei rauskommen kann, wenn ich etwas übertreibe. Das heißt aber nie und nimmer, dass wir in der AfD die Menschen nicht lieben oder grundsätzlich ablehnen. (…) Ich finde es auch nicht richtig, wenn man uns Menschenhass, Rassismus oder Homophobie vorwirft. Das ist völliger Unsinn. In der AfD kümmern sich viele um Flüchtlinge. Wir haben eine multikulturelle Parteimitgliedschaft, wir haben Schwarze, Muslime und Homosexuelle bei uns in der Partei. (…)
Zum Beispiel ihre Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, Alice Weidel, die mit einer Frau zusammenlebt. Wie passt das zusammen?
Auch Frau Weidel würde z.B. sagen, dass es grundsätzliche Position der AfD ist, dass es keine Adoption für Homosexuelle geben soll.
Aber hat sie nicht sogar ein Kind mit ihrer Partnerin?
Ihre Lebensgefährtin hat zwei Kinder. Sie leben in der Schweiz, keine Ahnung, wie es da ist. (…) Die Frage ist ja, ob sie als Ehepaar die Adoption vornehmen können. Diese Gleichstellung wollen wir nicht haben. Wir sagen: Grundsätzlich braucht ein Kind Vater und Mutter und das ist dem anderen vorzuziehen.
Das klärt den Widerspruch aber nicht auf…
Ich sehe da keinen Widerspruch. Es geht ja um das Grundsätzliche. Um das, was wir für 'das Normale' halten. 80 Prozent aller Kinder wachsen in 'normalen Verhältnissen' auf. Sie leben mit einem Vater und der Mutter zusammen. Das ist der Normalfall in Deutschland. Dann gibt es leider eine zu große Anzahl von Alleinerziehenden, die haben es wirklich schwer und brauchen ohne Frage unsere Hilfe. Aber das ist ja kein erstrebenswertes Lebensmodell, dass ein Kind nur bei einer Mutter oder einem Vater aufwächst.
CHRISTEN IN DER AFD
Die Christen in der AfD haben nach eigenen Angaben eine dreistellige Anzahl von Mitgliedern. Etwa 40 Prozent sind evangelisch, 30 Prozent katholisch und weitere 30 Prozent freikirchlich organisiert. Verglichen mit der Gesamtbevölkerung ist damit insbesondere die freikirchliche Gruppe, die als konservativ eingestuft werden kann, überdurchschnittlich stark vertreten. Joachim Kuhs, 60 Jahre alt, zehn Kinder, ist stellvertretender Sprecher der Christen in der AfD. Nach teils heftigen Diskussionen hatte sich der Kirchentag für eine Einladung der Christen in der AfD entschlossen - vor allem, um ihr keine Rolle als Opfer zuzubilligen.
Das heißt, die Lebensweise von Alice Weidel ist eigentlich nicht erstrebenswert?
Ja, so ist es. Da hat sie auch nichts dagegen, wenn wir, die Christen in der AfD, das betonen. Das ist für sie okay. Es ist ihr Modell. Aber sie macht es nicht zum Lebensmodell für Andere. (…)
In der theologischen Literatur heißt es oft, dass viele Mitglieder in Freikirchen Homophobie hinter einer pro-familiären Argumentation verstecken. Ist das bei Ihnen auch so?
Ich weiß nicht, wie Sie Homophobie definieren. Es klingt halt einfach so schrecklich. Ich sehe mich und diejenigen, die Homosexualität als Lebensmodell ablehnen, nicht als homophob an. (…) Bei uns wird nicht über Homosexuelle abgelästert oder geschimpft. Wir haben doch so viele davon, also was soll das?
Der Kirchentag hat sich im Vorfeld schwer damit getan, die Christen in der AfD einzuladen – vielleicht auch aufgrund einiger der Positionen, die Sie in diesem Interview markiert haben. Wie haben Sie die Diskussion um ihre Einladung wahrgenommen?
Wir haben mit dieser Ausgrenzung schon länger zu tun. Deswegen war ich am Schluss sehr glücklich darüber, dass sich der Kirchentag dann durchgerungen hat, das Gespräch zu ermöglichen. Es geht doch darum, dass man über diese Dinge spricht. Andere Gruppen, auch konservative Gruppen, werden ja auch eingeladen. Vielleicht nur wir nicht, weil wir zu konservativ sind. Aber ich bin froh, dass man uns diese Plattform, dieses Podium bietet. Denn damit kann man vielen Vorurteilen begegnen.
Das Gespräch mit Joachim Kuhs hat Dominik Rzepka für rbb|24 geführt. Das Interview wurde mit seinem Einverständnis aufgezeichnet.
Dieser Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung, ausführlicher können Sie das Interview oben im Beitrag hören.