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In Bayern leben mindestens 1700 "Reichsbürger" - und die werden zunehmend gewalttätig
"Spinner", dieses Wort fällt am Mittwoch immer wieder. Doch das Stadium eines Spinners haben viele der sogenannten "Reichsbürger" längst verlassen, darin sind sich die Abgeordneten im Innenausschuss des Landtags über alle Parteien hinweg einig. "Demokratiefeindlich", "geradezu erpresserisch", "überdurchschnittliche Affinität zu Waffen" - all das wird den "Reichsbürgern" bescheinigt.
Besonders besorgniserregend aus Sicht von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist allerdings: "Sie werden zunehmend gewalttätig." Den Fall im fränkischen Georgensgmünd, als bei einer Razzia im Oktober 2016 ein "Reichsbürger" den Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos erschossen hat, bezeichnet Herrmann als "traurigen Höhepunkt einer Gewaltspirale".
Mindestens 1700 Menschen in Bayern seien eindeutig als "Reichsbürger" identifiziert, 1600 weitere Personen werden von Behörden überprüft. Erschreckend hohe Zahlen, "die noch mal eine ganz andere Dimension haben", wie SPD-Mann Florian Ritter sagt. Auch der Freistaat als Arbeitgeber ist betroffen. Zu den verdächtigten "Reichsbürgern" gehören 15 Polizisten und vier weitere Staatsbedienstete. Dem einzigen Angestellten aus diesem Quartett wurde bereits gekündigt, gegen die drei Beamten liefen Disziplinarverfahren, wie der Innenminister darlegt. Drei der 15 Polizisten befinden sich im Ruhestand, gegen die weiteren zwölf Polizisten seien Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Sechs von ihnen wurden laut Herrmann suspendiert, bei den anderen sechs reichten die Erkenntnisse dafür noch nicht aus.
Zu jenem halben Dutzend zählt offenbar auch ein Beamter im Fall Georgensgmünd, wie Landespolizeipräsident Wilhelm Schmidbauer sagt. Man könne "leider nicht ausschließen", dass der Täter durch einen Polizisten vorab über den Einsatz informiert worden sei. Es gebe sogar "Indizien in diese Richtung", aber das Verfahren laufe noch. Die gute Nachricht: Der Polizist, der damals schwer verletzt wurde, habe seinen Dienst inzwischen wieder aufgenommen, wenn auch eingeschränkt.
Nach den Todesschüssen von Georgensgmünd hatte Herrmann angeordnet, die Beobachtung von sogenannten "Reichsbürgern" zu forcieren. "Wir wollen möglichst genau wissen, mit wem wir es zu tun haben und welche Gefahren von diesen Personen ausgehen können", sagt der Minister. Die Ergebnisse sind wenig beruhigend: Bis zu 200 "Reichsbürger" werden einem "harten Kern" zugerechnet, 40 Personen seien eindeutig in der rechtsextremen Szene zu verorten. 130 "Reichsbürger" besäßen Waffen, in 240 weiteren Fällen werde noch geprüft. "Die Zahlen belegen eindeutig, dass ,Reichsbürger' eine gewisse Affinität zu Waffen haben", sagt der Innenminister - gemessen an der Gesamtbevölkerung sogar überdurchschnittlich viele. Wer die Existenz der Bundesrepublik Deutschland infrage stelle, in dessen Händen hätten Waffen und Munition aber nichts zu suchen, betont Herrmann.
Etwa 10 000 "Reichsbürger" leben nach Angaben der Behörden in ganz Deutschland, der bayerische Anteil ist mit 1700 Personen vergleichsweise hoch. Es wäre jedoch verfrüht zu sagen, dass der Freistaat ein Schwerpunkt sei, erklärt der Präsident des bayerischen Verfassungsamtes, Burkhard Körner. Sehr heterogen und wenig untereinander vernetzt sei die "Reichsbürger"-Szene, sie existiere in Großstädten ebenso wie auf dem Land, sagt Körner. Im Chiemgau etwa. Oder in Ostbayern.
Die rechtsextreme Szene lehnt die "Reichsbürger" ab
Auch politische Kontakte werden vom Verfassungsschutz geprüft. Zwei "Reichsbürger" stehen offenbar in Verbindung zur AfD, laut Körner sogar in herausgehobenen Positionen. Eine der beiden Personen gehöre als Beisitzer dem AfD-Landesvorstand an, eine Frau sei stellvertretende Vorsitzende eines Münchner Ortsverbandes. "Das zeigt überdeutlich, aus was für einer braunen Suppe die AfD ihre Mitglieder bezieht", sagt SPD-Mann Ritter.
Ein Mann, der sich als keltischer Druide bezeichnet und an der Spitze einer mutmaßlich rechtsextremen Terrorgruppe stand, die vor Wochen zerschlagen wurde, soll ebenfalls den "Reichsbürgern" nahestehen. Und er soll Kontakte nach Bayern gepflegt haben. 2013 habe er eine Veranstaltung von Michael Stürzenberger, dem Vorsitzenden der rechtspopulistischen Partei "Die Freiheit", besucht - 2014 eine weitere der NPD. Aber selbst die rechtsextreme Szene lehne die "Reichsbürger" weitgehend ab, sagt eine Vertreterin des Innenministeriums. Begründung: Es handele sich um "Spinner".
Die meisten "Reichsbürger" sind zwischen 40 und 69 Jahre alt, drei von vier sind männlich, wie Herrmann sagt. In keinem Bundesland werde gegen die Bewegung so konsequent vorgegangen wie in Bayern. Das stimme schon, sagen Oppositionspolitiker, doch das Engagement komme reichlich spät, wie die neue Fraktionschefin der Grünen, Katharina Schulze, kritisiert. Die Bewegung sei bis zum Attentat auf den Polizisten "wohl unterschätzt" worden, finden Christoph Rabenstein (SPD) und Eva Gottstein (Freie Wähler). Von harmlosen Spinnern könne man nun sicher nicht mehr sprechen. Der Ausschussvorsitzende Florian Herrmann (CSU) sagt, er gehe nicht davon aus, dass das Thema mit dem heutigen Tag beendet sei.