Spoiler
"Betroffen und wütend" machte Böttcher das Verschwörungsgerede des Mainkofener Krankenseelsorgers bei der Gedenkandacht. Dort behauptete Radeljic-Jakic, dass die "Todeskultur des Nationalsozialismus" niemals aufgehört habe. Wie es bei der Aktion T4 darum gegangen sei, die Bevölkerung zu dezimieren, so zielten manche Kräfte auch heute darauf ab, "die Nazi-Option zu kopieren und noch einmal Millionen von Menschen zu vernichten", zitierte Radeljic-Jakic in seiner Rede den Holocaust-Überlebenden Eli Wiesel. Für ihn Beweis genug, dass die These stimmen muss. Eine Gruppe "skrupelloser, eng vernetzter Milliardäre" habe die Weltmacht inne, wolle "nutzlose Menschen durch transhumane Roboter" ersetzen.
Böttcher sah sich genötigt, entschieden zu widersprechen. Der Diakon vertrete eine Einzelmeinung, unvereinbar mit derjenigen des Klinikums. Auch die katholische Kirche heiße diese Ansichten nicht gut, war sich Böttcher sicher.
Diakon musste Gelände verlassen
Nachdem Radeljic-Jakic die Widerworte Böttchers zunächst unwidersprochen hingenommen hatte, brandeten die Differenzen im Anschluss an die Kranzniederlegung erneut auf. Radeljic-Jakic bestand darauf, dass seine Meinung fundiert sei, dass man die "Mahnungen von Holocaustüberlebenden nicht ignorieren" dürfe. Böttcher bezeichnete dies als "Quatsch", warf dem Diakon vor, Verschwörungsmythen zu verbreiten, das Volk auf plumpe Art und Weise aufzuhetzen. Die Erzählung vom "Demozid-Programm" sei falsch.
Radeljic-Jakic beschuldigte Böttcher wiederholt, seine Gedenkrede gestört zu haben. "Das geht gar nicht", polterte er. Unter Verweis auf sein Hausrecht forderte Böttcher den Kirchenvertreter auf, "in dieser Sache zu schweigen". Als Radeljic-Jakic ihm entgegnete, er solle seinerseits den "Mund halten", war Böttchers Geduld am Ende: "Verlassen Sie das Gelände", zog er einen Schlussstrich. Der Teilnehmerkreis tauschte irritierte Blicke aus, die Veranstaltung löste sich auf.
Verschwörungsgerede dem Gedenken unwürdig
Der Grund für die Gedenkfeier geriet durch den Disput in den Hintergrund. Vor 82 Jahren, am 28. Oktober 1940, begann der erste von fünf Transporten der Aktion T4 in Mainkofen. 114 Patienten der Heil- und Pflegeanstalt wurden in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz deportiert, insgesamt fielen 606 Patienten aus Mainkofen der Euthanasie zum Opfer. Erst als Bevölkerung und Teile der Kirche Bedenken äußerten, wurde T4 gestoppt.
"Tot ist nur, wer vergessen wird", leitete Bezirkstagspräsident Dr. Thomas Pröckl die gestrige Gedenkfeier ein. Dies treffe auch als Überschrift für die Gedenkstätte der Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen zu. "Hier ist eine Stätte der Erinnerung – gegen das Vergessen."
Berufliche Konsequenzen offen
Die Misshandlungen und das Töten durch das NS-Regime in Mainkofen nahmen auch nach der Aktion T4 kein Ende. In der Heil- und Pflegeanstalt wurden grausame Menschenversuche durchgeführt, 500 Patienten zwangssterilisiert. Mit dem "Bayerischen Hungerkosterlass" bekamen die Patienten ab 1942 nur noch fleisch- und fettlose Nahrung. Die Sterblichkeit stieg sprunghaft an: Über 700 Patienten starben an Unterernährung, Kälte, Krankheit, und den katastrophalen hygienischen Zuständen.
Vor diesem historischen Hintergrund erscheint das Verschwörungsgerede von Diakon Radeljic-Jakic besonders unwürdig. Ob seine Gedenkandacht berufliche Konsequenzen haben wird, ist offen.
Immerhin gibt es gleich Konsequenzen.
Muß man ja auch anerkennen.