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Die Terror-Theologin und ihre Umsturzfantasien
Rädelsführerin bei einem geplanten Umsturz, Pläne für einen Blackout und die Entführung von Gesundheitsminister Karls Lauterbach? Nichts, womit man eigentlich eine 75-jährige Theologin verbindet.
Überraschende Wendung in einem rätselhaften Fall von mutmaßlich geplantem Terror. Bislang galten einige Männer als Mitglieder der terroristischen Vereinigung "Vereinte Patrioten". Sie stehen im Verdacht, einen Blackout geplant zu haben, um im dabei entstandenen Chaos eine neue Regierung zu installieren. Jetzt kommt ans Licht: Rädelsführerin der Umstürzler soll eine 75-jährige evangelische Theologin sein. Es ist eine Frau, die an der Gründung einer "Reichsregierung" mitwirkte, öffentliche Appelle an Putin geschrieben hat und mit einem berüchtigten Antisemiten eng zusammenarbeitete.
Am Donnerstag führten Einsatzkräfte der sächsischen Polizei die Frau mit den schulterlangen weißen Haaren ab aus ihrem verschachtelten, mit Holz verkleideten Haus in Flöha in Mittelsachsen. Die Theologin Elisabeth R. steht im Verdacht, Rekrutierungsgespräche mit möglichen Interessierten für einen Umsturz geführt zu haben. Außerdem soll sie in die Beschaffung von Waffen und Sprengstoff eingebunden gewesen sein und drängte wohl auf rasche Taten.
Offenbar sind die Behörden durch Aussagen der bereits inhaftierten Verdächtigen auf die mutmaßliche Rädelsführerin gekommen. Mindestens einer, Sven B. aus Falkensee, hat weitgehend gestanden. Die Männer waren nach einer fingierten Waffenübergabe festgenommen worden: NVA-Veteranen waren darunter, ein ehemaliger Elitesoldat stand mit ihnen in Verbindung, der Survival-Trainings anbot.
Nun rückt Elisabeth R. in den Fokus: In der Szene wird sie auch manchmal die "Gräfin" genannt, wenn auch noch ein weiterer Nachname mit "von" ins Spiel kommt. Sie hält wenig von der Bundesrepublik und der heutigen Staatsform, sie würde gerne im Deutschland der Regeln von 1871 leben. Sie hängt dem Gedanken eines "Ewigen Bundes" an, dessen Rechtsordnung eigentlich heute noch gelte: das Deutsche Kaiserreich. Es fehle nur an den Institutionen.
Ruhegehalt wegen Äußerungen gestrichen
Einem Lebenslauf bei einem Verlag zufolge war sie auch als Pfarrerin tätig, der Verwaltung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens war sie aber am Donnerstag nicht bekannt, wie eine Sprecherin auf Anfrage sagte. Habilitiert hatte R. an der Universität Mainz, aber auch dort finden sich seit Jahren keine Spuren mehr.
Ihre wirren Überzeugungen haben sie bereits ihr Ruhegehalt als Beamtin gekostet. Der dpa zufolge ist sie die Person im Zentrum eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz: Kein Ruhegehalt für die Frau, die sich im Ruhestand aktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigt hat. Da waren Bücher von ihr erschienen, in denen sie von gesteuerten "Asylanten-Tsunamis" zur "Vergewaltigung und Abschlachtung" schreibt und von "verschwiegenem Umbau der Hirnstrukturen" durch "Genderismus, Digitalisierung und 5G".
Das Urteil könnte ihr fast egal gewesen sein: Sie soll sich da bereits der Gruppe angeschlossen haben, die in Deutschland bürgerkriegsähnliche Zustände wollte, um eine neue Ordnung zu schaffen. R. arbeitet daran schon lange, und das auch mit einem international vernetzten Holocaust-Leugner, der von Widerstandszellen europaweit träumte: Es gibt mehrere Schreiben des "Bundesstaat Preußen – Präsidialstaat Deutsches Reich 1871", die ihren Namen tragen und den von Rigolf Hennig, "ehemaliger Präsident Freistaat Preußen, jetzt Rath-Bundesstaat Königreich Preußen-Präsidialstaat DR".
Es sind Schreiben, in denen die Rede davon ist, dass der Versailler Vertrag und die Weimarer Verfassung von 1919 nicht rechtmäßig zustande gekommen seien, also die Verfassung von 1918 weiterhin gelte. "Wilhelm Imperator Rex-Nachfahren", wie sie sich nennen, leben unverändert in einer parlamentarischen Monarchie ohne Kaiser seit dem 28. Oktober 1918.
So etwas haben R. und Hennig "an alle 'Regierungen' der Welt" geschrieben und zugleich ihre "völkerrechtlich bindende Zustimmung zu den Deklarationen zum Beenden des Krieges" erklärt. Es ist ihre Zustimmung zu einem "Friedensvertrag", der auch immer wieder von der Querdenker-Szene vor den Botschaften Russlands und der USA gefordert wurde.
In den Briefen wimmelt es von antisemitischen Begriffen wie "Kryptojuden" und "Weltjudentum", das den Deutschen die Vernichtung erklärt habe. Dieser Sprachgebrauch wundert nicht. Der Mann, der neben ihr unterschrieb, Rigolf Hennig, war einer von Europas führenden Antisemiten, Politiker bei Republikanern und NPD. Bei anderen Briefen gab sie seine Adresse in Verden an der Aller an.
Hennig war der deutsche Chef der rechtsextremen "Europäischen Aktion", die sich 2017 in Deutschland nach Razzien auflöste. Das Parteiprogramm der "Europäischen Aktion" sei der NSDAP nachempfunden, sagte in Österreich eine Staatsanwältin im Schlusswort, als dort fünf Mitglieder vor Gericht standen. Die Neonazi-Gruppierung habe einen Umsturz auf ein außerparlamentarisches System geplant. In Deutschland verliefen Ermittlungen dem Anschein nach im Sande.
Verbindungen zu Neonazi Thorsten Heise
Hennig ist auch der Mann, der als Autor herhalten sollte für Texte, die offenbar Björn Höcke unter dem Pseudonym Landolf Ladig geschrieben hat. Hennig sei Verfasser, behauptete der Neonazi Thorsten Heise. Hennig soll den militanten Rechtsextremisten Heise beim Aufbau von Strukturen in Niedersachsen unterstützt haben, Heise meldete auch den Tod von Hennig: Der Vater von acht Kindern ist am 19. März gestorben.
Damit erlebte er nicht mehr die Festnahmen der Männer, die Elisabeth R.* um sich gesammelt haben soll. R., so heißt es von der Generalbundesanwaltschaft, habe bei den Umstürzlern im administrativen Teil eine übergeordnete Stellung eingenommen und habe Vorgaben gemacht, um die Pläne der Gruppierung voranzutreiben und zu koordinieren. Ihre Schreiben mit ihren völkerrechtlichen Erklärungen sollten zum Zug kommen, wenn die neue Regierung eingesetzt wird.
In der in sich zerstrittenen Reichsbürgerszene gab es auch Akteure, die vor ihr gewarnt hatten. Auch ohne die Umstürzler verfolgte sie diese Pläne offenbar weiter: In einer Telegram-Gruppe von Reichsbürgern ist die Rede davon, dass Anfang Oktober bei 35 Anwesenden sechs neue Minister benannt worden seien. Die seien von einem "preußischen Regenten" ohne Wahlen nach Kriegsrecht ernannt worden. Elisabeth R. plane eine weitere Versammlung etwa zwei Wochen später.
Sie wird nicht teilnehmen können. Ein Haftrichter entschied am Donnerstagnachmittag, dass die Terrorverdächtige in Untersuchungshaft kommt.